Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub, u.a.

Aneignungsabsicht bei bloßer Sachentziehung – Raub oder räuberische Erpressung? (BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 1 StR 75/24)

Aneignungsabsicht bei bloßer Sachentziehung – Raub oder räuberische Erpressung? (BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 1 StR 75/24)

15. April 2025

6 Kommentare

4,7(13.996 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

O teilt viele Beiträge auf der Plattform XY. A und B sind von Os Inhalten genervt. Damit O keine weiteren Beiträge teilen kann, wollen sie Os Handy wegnehmen. Sie betreten Os Zimmer, A schlägt O. B droht mit einem Messer, O die Zunge abzuschneiden. A nimmt dem eingeschüchterten O das Handy ab. A und B gehen damit weg.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Aneignungsabsicht bei bloßer Sachentziehung – Raub oder räuberische Erpressung? (BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 1 StR 75/24)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A und B könnten sich wegen mittäterschaftlichen schweren Raub strafbar gemacht haben, indem sie den O mit einem Messer bedrohten, schlugen und sein Handy mitnahmen (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Dies setzt tatbestandlich voraus, (1) Objektiver Tatbestand (a) Grundtatbestand (§ 249 Abs. 1 StGB) •Wegnahme einer fremden beweglichen Sache •Qualifiziertes Nötigungsmittel •Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme (b) Qualifikation (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) (c) Gegenseitige Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB: Gemeinsame Tatausführung aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit wesentlichen Tatbeiträgen (2) Subjektiver Tatbestand •VorsatzZueignungsabsicht •Objektive RW der erstrebten Zueignung und Vorsatz diesbezüglich Zudem müssten A und O rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Dies musst Du für jeden Mittäter gesondert feststellen, hier gibt es keine Zurechnung. Prüfe die Mittäter gemeinsam, wenn beide Personen gleich handeln (d.h. wie eine Person) oder beide Personen einen Tatbestand nur verwirklichen, wenn man die Handlungen gegenseitig zurechnet (additive Mittäterschaft).
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Bei Os Handy handelt es sich um eine für A und B fremde bewegliche Sache. Haben A und B diese auch weggenommen (§ 249 StGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Sache ist beweglich, wenn sie tatsächlich fortgeschafft werden kann. Sie ist für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist. Wegnahme ist der Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam meint die tatsächliche Sachherrschaft eines Menschen über eine Sache, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen wird. Der Täter bricht den Gewahrsam, wenn er ihn ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers aufhebt. Os Handy war eine für A und B fremde bewegliche Sache. Zunächst hatte O die tatsächliche Sachherrschaft daran. Indem A und B Os Handy mitnahmen, beendeten sie diese und erlangten eine eigene Sachherrschaft an Os Handy. Dies geschah gegen Os Willen. A und B haben Os Handy weggenommen. Handle unproblematische Punkte in der Klausur schnell ab.

3. Indem A den O geschlagen hat, hat er Gewalt i.S.d. § 249 Abs. 1 StGB gegen O angewandt.

Ja!

Gewalt ist jede körperliche Tätigkeit, durch die körperlich wirkender Zwang ausgeübt wird, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. A hat O ins Gesicht geschlagen. Damit liegt Gewalt i.S.d. § 249 Abs. 1 StGB (= qualifiziertes Nötigungsmittel) vor. Auch dieser Punkt ist hier unproblematisch. Eine lange Diskussion des Gewaltbegriffs wäre die falsche Schwerpunktsetzung.

4. Indem B dem O das Messer vorhielt und sagte, er würde Os Zunge abschneiden, hat er ebenfalls Gewalt angewandt (§ 249 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Brich Deine Prüfung nicht vorschnell ab, weil keine Gewalt vorliegt. Das qualifizierte Nötigungsmittel des § 249 Abs. 1 StGB kann auch in einer Drohung liegen. Gewalt ist jede körperliche Tätigkeit, durch die körperlich wirkender Zwang ausgeübt wird, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Drohung ist das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Im Gegensatz zu § 240 StGB muss bei § 249 StGB das Übel eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben sein. Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn sie unmittelbar bevorsteht oder jederzeit in eine Schädigung umschlagen kann und ohne sofortige Abwehrmaßnahmen nicht mehr abgewendet werden kann. B hat zwar keinen körperlich wirkenden Zwang auf O ausgeübt. B drohte O aber, dessen Zunge abzuschneiden. Das Abschneiden der Zunge ist eine Gefahr für Os Leib. B hielt dem O das Messer schon vor dem Mund. Mithin liegt eine Drohung i.S.d. § 249 Abs. 1 StGB vor.

5. Aus dem Wortlaut des § 249 Abs. 1 („mit“ Gewalt und „unter“ Anwendung von Drohung) lässt sich schließen, dass die Anwendung des Nötigungsmittel kausal für die Wegnahme sein muss.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach h.M. wird beim Raub Finalität vorausgesetzt, was nicht zuletzt an dem Wortlaut des § 249 Abs. 1 StGB festgemacht wird. Nicht erforderlich ist, dass die Gewalt und/oder Drohung kausal für die Wegnahme waren (es heißt nicht „durch“). Voraussetzung für die Finalität ist, dass die Gewalt und/oder die Nötigung aus Sicht des Täters gerade zur Erzwingung der Wegnahme erforderlich ist. Die Anwendung von Gewalt oder Drohung darf somit nicht als bloße „Begleiterscheinung“ der Entwendung einer fremden Sache erfolgen, sondern sie muss gezielt darauf gerichtet sein, den Gewahrsamsbruch durch Ausschaltung eines erwarteten oder geleisteten Widerstands zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern. Die Gewalt und das Drohen waren aus Sicht des A und B zu Os Einschüchterung und damit zur Erzwingung der Wegnahme erforderlich. Zudem ist durch das Drohen mit dem Messer auch die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt im subjektiven Tatbestand des § 249 Abs. 1 StGB, weswegen wir hier nicht vertieft auf § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingehen.

6. Weil nur A das Handy weggenommen hat, fehlen die Voraussetzungen für die gegenseitige Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB.

Nein!

Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB setzt (1) eine gemeinsame Tatausführung mit wesentlichen Tatbeiträgen sowie (2) einen Entschluss zur gemeinsamen, arbeitsteilig auf vergleichbarer Augenhöhe begangenen Tat voraus. A und B hatten gemeinsam den Entschluss gefasst, O mit Gewalt und Drohung sein Handy wegzunehmen. Bei der Ausführung dieses Plans wirkten sie auch arbeitsteilig zusammen, denn A schlug den O, B drohte ihm mit dem Messer und A entwendete das Handy. Aus der Sicht beider diente die Gewalt als Mittel der Gewahrsamserlangung, so dass auch der Finalzusammenhang zwischen Gewalt und Wegnahme vorliegt. Alle Handlungen sind wesentliche Tatbeiträge, die sich zur Tatbestandserfüllung addieren. Diese können mithin dem jeweils anderen als eigene zugerechnet werden (§ 25 Abs. 2 StGB). A und B haben den objektiven Tatbestand des schweren mittäterschaftlichen Raubes (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB) erfüllt.

7. Subjektiv muss Zueignungsabsicht vorliegen. Ist diese schon immer dann gegeben, wenn der Täter die Sache selbst benutzen möchte?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Zueignungsabsicht zerfällt in eine Ent- und eine Aneignungskomponente. Erforderlich ist (1) der (mindestens Eventual-)Vorsatz dauerhafter Enteignung sowie (2) die Absicht der (zumindest) vorübergehenden Aneignung. Enteignung(svorsatz) bezeichnet die gewollte dauerhafte Verdrängung des Berechtigten (Eigentümers) aus seiner Sachherrschaftsposition. Aneignung ist die beabsichtigte Einverleibung der Sache in das Vermögen des Täters (Selbst-Aneignung) oder eines Dritten (Dritt-Aneignung). Für die Zueignungsabsicht reicht es daher nicht aus, dass der Täter die Sache selbst benutzen möchte. Damit kannst Du lediglich die Aneignungsabsicht begründen. Ob ein Enteignungsvorsatz vorliegt, musst Du gesondert prüfen. Bei mittäterschaftlichem Raub musst du für jeden Täter dessen (Selbst- oder Dritt-)Zueignungsabsicht prüfen. Wenn bei einem Täter die Zueignungsabsicht fehlt, liegt keine Mittäterschaft vor, sondern bloße Beihilfe. Bei mittäterschaftlicher Nötigung reicht es jedoch aus, wenn die wegzunehmende Sache einem der Beteiligten zugeeignet werden soll.

8. A und B wollten verhindern, dass O weitere Beiträge mit seinem Handy teilt. Kann man allein aus diesem Grund ihre Zueignungsabsicht annehmen?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Zueignungsabsicht zerfällt in eine Ent- und eine Aneignungskomponente. Erforderlich ist (1) der (mindestens Eventual-)Vorsatz dauerhafter Enteignung sowie (2) die Absicht der (zumindest) vorübergehenden Aneignung. Enteignung(svorsatz) bezeichnet die gewollte dauerhafte Verdrängung des Berechtigten (Eigentümers) aus seiner Sachherrschaftsposition. Aneignung ist die beabsichtigte Einverleibung der Sache in das Vermögen des Täters (Selbst-Aneignung) oder eines Dritten (Dritt-Aneignung). BGH: Wenn der Täter die Sache – ohne sie behalten zu wollen – an sich bringt, um sie sogleich zu beschädigen, wegzuwerfen oder zu zerstören, ist die Aneignungsabsicht zu verneinen (RdNr. 5). Hier wollten A und B dem O zwar das Handy entziehen und O so dauerhaft aus seiner Sachherrschaftsposition als Eigentümer verdrängen (= Enteignungsvorsatz). Ihr Ziel war es jedoch nicht, selbst das Handy zu nutzen oder sich dieses anderweitig anzueignen. Damit fehlt ihre Aneignungsabsicht. Der BGH verwies hier zurück an das LG, weil dieses nichts zur Aneignungsabsicht von A und B ausführte.

9. Der BGH hielt es für nicht ausgeschlossen, dass A und B das Handy erst später entsorgen und vorübergehend nutzen wollten. Wäre in diesem Fall die Aneignungsabsicht ebenfalls von vornherein ausgeschlossen?

Nein!

Aneignungsabsicht ist auch dann zu bejahen, wenn der Täter die Sache nur vorübergehend wirtschaftlich nutzen will. Der Zueignungsabsicht steht es also nicht entgegen, wenn der Täter schon bei Begehung den Plan hat, die Sache später zu entsorgen oder zu zerstören. Auch steht es der Aneignung nicht entgegen, wenn der Täter mit der Wegnahme ein weiteres Ziel erstrebt (RdNr. 6). Der BGH wies darauf hin, dass eine Aneignungsabsicht vorliegend nicht ausgeschlossen ist, weil A und B das Handy möglicherweise später entsorgen wollten oder ihr Hauptziel war, zu verhindern, dass O weiter Beiträge posten konnte. Allerdings hatte das LG nicht untersucht, was mit dem Handy nach der Wegnahme passierte und ob A oder B oder ein Dritter dieses wirtschaftlich nutzten (RdNr. 7). Mangels ausreichender Anhaltspunkte haben A und B den subjektiven Tatbestand des schweren Raubes nicht erfüllt. Sie haben sich nicht nach §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.

10. Nach der Rspr. ist § 249 Abs. 1 StGB ein Spezialdelikt zu §§ 255, 253 StGB. Könnten sich A und B danach wegen räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben?

Genau, so ist das!

Die Rechtsprechung sieht den Raub als lex specialis zur räuberischen Erpressung. Danach ist jeder Raub auch eine räuberische Erpressung. Nach dem Wortlaut des §§ 255, 253 StGB ist ausreichend, dass der Täter das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Mit der Wegnahme des Handys geht auch die Duldung der Wegnahme durch O einher. Nach der Literatur besteht ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung, sodass für einen tauglichen Nötigungserfolg eine – hier nicht gegebene - (freiwillige) Vermögensverfügung des Opfers erforderlich ist. Die Abgrenzung zwischen § 249 StGB und §§ 255, 253 StGB ist ein klassisches Problem, welches Du hier in unserem Kurs zum Strafrecht BT findest. Achte bei Deiner Bearbeitung darauf, am Fall zu arbeiten und nicht bloß auswendig Gelerntes aufzuschreiben. Mangelnder Fallbezug wird oft als fehlendes Verständnis gewertet.

11. Nach der Rspr. müssten A und B mit Bereicherungsabsicht gehandelt haben (§§ 255, 253 StGB). Reicht es dafür, dass A und B bloßen Besitz an dem Handy erlangen wollten?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei fehlender Zueignungsabsicht (§ 249 Abs. 1 StGB) kommt nach der Rspr. grundsätzlich eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung in Betracht. Dann muss der Täter allerdings mit Bereicherungsabsicht handeln (RdNr. 9). Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der bloße Besitz einer Sache ist aber nur dann ein Vermögensvorteil, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. (RdNr. 9). Es ist nicht ersichtlich, dass A und B Os Handy selbst nutzen wollten. Damit handelten sie nicht in der Absicht, sich einen wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteil zu verschaffen und damit ohne Bereicherungsabsicht. Aus demselben Grund scheitert auch eine Strafbarkeit nach § 242 StGB. Auch an diesem Ergebnis könnte sich noch etwas ändern, wenn das LG neue tatsächliche Feststellungen trifft. Bereicherungsabsicht fehlt nach dem BGH, wenn es dem Täter beim Abpressen eines Mobiltelefons nur darum geht, dem Opfer einen Denkzettel zu verpassen (RdNr. 9).

12. Scheidet eine Strafbarkeit von A wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB schon deswegen aus, weil B nur daneben stand, O „nur“ mit dem Messer drohte und ihn nicht selbst verletzte?

Nein!

Eine gemeinschaftliche Tatbegehung erfordert, dass mindestens zwei Beteiligte am Tatort als Angreifer einverständlich zusammenwirken. Beteiligte sind Täter und Teilnehmer. Eigenhändige Verletzungshandlungen durch jeden Anwesenden sind nicht erforderlich. Nach h.M. ist auch Mittäterschaft keine Voraussetzung. Dafür spricht der Strafgrund des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB: Bereits durch die Anwesenheit weiterer Mitwirkender ist das Opfer in größerer Gefahr. Für diese Gefahrerhöhung ist es irrelevant, ob die Beteiligten als Täter oder Teilnehmer handeln. Der A hat O geschlagen und damit körperlich misshandelt (§ 223 Abs. 1 StGB). Dabei stand B daneben und hat O mit dem Messer gedroht, wodurch er die Gefahr des Angriffs erhöht hat. A und B haben ferner einverständlich als Angreifer zusammengewirkt. A hat sich nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht. Beachte: Nicht jede Form der Beteiligung ist automatisch ausreichend, um § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu bejahen. Zum Beispiel reicht eine Beihilfe im Vorfeld der Tat nicht aus, wenn der Teilnehmer während der Tat nicht anwesend ist. Prüfe immer im Einzelfall, ob die konkrete Art der Beteiligung die Gefahr des Opfers erhöht.

13. Nur A hat eine eigenhändige Körperverletzung begangen. Scheidet eine mittäterschaftliche Begehung des B nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB damit aus?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob ein Beteiligter i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB Mittäter ist (§ 25 Abs. 2 StGB) oder nur Beihilfe geleistet hat (§ 27 StGB), richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen zu Täterschaft und Teilnahme. Ob jemand als Mittäter zu bestrafen ist, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände zu prüfen. Maßgeblich sind vor allem der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu. Mittäter ist, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Eine Mitwirkung am Kerngeschehen ist nicht erforderlich, es reicht auch ein die Tat fördernder Beitrag. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Eine mittäterschaftliche Begehung durch B scheidet nicht schon deshalb aus, weil er den O nicht selbst verletzt hat.

14. Nach einer wertenden Betrachtung der Gesamtumstände hat B eindeutig nur Beihilfe zu As Tat geleistet (§§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 27 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

A und B wollten O gemeinsam einschüchtern, um an Os Handy zu gelangen (= eigenes Tatinteresse des Bs). B drohte, O die Zunge abzuschneiden, woraus geschlossen werden kann, dass B die Körperverletzung durch A zumindest billigte. Bs Anwesenheit und Drohung förderten As Tat, auch ohne direkte Mitwirkung (= objektiver Tatbeitrag). A und B handelten aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses. B hat sich nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. A.A. vertretbar. Dann hätte sich B „nur“ nach §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 27 StGB strafbar gemacht. Wichtig ist, dass Du das Problem der Mittäterschaft erkennst und zwischen ihr und der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB unterscheidest. Nach BGH, Beschl. v. 26.07.2016 – 3 StR 165/16 macht sich eine an einem Raub beteiligte Person nicht wegen mittäterschaftlicher Körperverletzung strafbar, wenn sie sich vor der Tat zurückzieht, an der Gewalt nicht mitwirkt und nur an der Beute interessiert ist.

15. A und B haben sich zudem wegen mittäterschaftlicher Nötigung strafbar gemacht (§§ 240 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB).

Ja!

Denk bei Fällen wie diesen noch an die Prüfung der Nötigung. Dies wird gerne übersehen. Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB ist: (I) TB (1) Objektiver Tatbestand: (a) Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel) (b) Nötigungserfolg: Handlung, Duldung, oder Unterlassung (c) Nötigungsspezifischer Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und -erfolg (2) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (bzgl. Nötigungserfolgs ist die Vorsatzform str.) (II) Rechtswidrigkeit (1) Fehlen von Rechtfertigungsgründen (2) Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB (III) Schuld (IV) Strafzumessung: Besonders schwere Fälle (§ 240 Abs. 4 StGB) A schlug den O und B drohte ihn mit einem Messer. Dadurch duldete O die Wegnahme seines Handys. A und B führten die Tat gemeinsam aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses aus. A und B haben sich wegen mittäterschaftlicher Nötigung strafbar gemacht. Diese steht in Tateinheit (§ 52 StGB) zur gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Zusätzlich könntest Du noch (kurz) die Bedrohung (§ 241 StGB) prüfen. Diese tritt hier hinter § 240 StGB als lex specialis zurück, da sie allein im Kontext der Nötigung erfolgt. Für die Beurteilung, ob A und B durch das Betreten von Os Zimmer einen Hausfriedensbruch (§ 123 Abs. 1 StGB) begangen haben, enthält der Sachverhalt zu wenig Anhaltspunkte.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

18.3.2025, 11:34:50

Hat jemand Beispiele für den Fall, dass die

Zueignungsabsicht

(

§ 242

, § 249 ff.) verneint, aber die

Bereicherungsabsicht

(§§ 253, 255) bejaht wird? 🙏🏻 Kann mir da gerade nichts zu vorstellen :|

Simon

Simon

21.3.2025, 11:21:17

Ein klassisches Beispiel, das mir einfällt, wäre die "Spazierfahrt" mit einem fremden Auto. Fall: T schlägt den O, der gerade in seinen 911er einsteigen will, nieder, da auch T einmal mit einem solchen Sportwagen eine Runde drehen will. Nach einer Stunde stellt er das Auto - wie von Anfang an beabsichtigt - wieder auf dem Grundstück des O ab. Lösungsvorschlag: Strafbarkeit des T nach § 249 I StGB mangels

Enteignungsvorsatz

es (-). Die §§ 253 I, 255 StGB scheiden nach der h.L. aus, denn aufgrund der

vis absoluta

liegt keine

Vermögensverfügung

des O vor. Nach der Rspr. geht die räuberische

Erpressung

hingegen durch, denn T hat Gewalt gegen eine Person angewendet (qualifiziertes

Nötigung

smittel), den O dadurch zu einer Duldung genötigt (

Nötigungserfolg

und

nötigung

sspezifischer Zusammenhang) und ihm infolgedessen einen Vermögensschaden zugefügt (die Verfügbarkeit des Porsche hat insbesondere bei hypothetischer Nutzungsmöglichkeit und hypothetischem Nutzungswillen einen wirtschaftlichen Wert). Zudem handelte er vorsätzlich und mit der Absicht stoffgleicher

rechtswidrig

er

Bereicherung

, denn T will sich diese dem O entgangene Nutzungsmöglichkeit gerade in sein Vermögen einverleiben. Eine Strafbarkeit aus § 248b I StGB tritt im Wege gesetzlicher Subsidiarität zurück, die §§ 223 I, 240 I, II StGB werden von der räuberischen

Erpressung

konsumiert. Letztlich gibt es m.E. zwei Hauptanwendungsfälle, in denen die

Bereicherungsabsicht

zu bejahen, aber die

Zueignungsabsicht

zu verneinen ist: (1) Der Täter hat keinen

Enteignungsvorsatz

, die vorübergehende Aneignung hat jedoch wirtschaftlichen Wert und stellt deshalb einen Vermögensvorteil bzw. -nachteil dar (s.o.) und (2) es liegt kein körperlicher Gegenstand vor, sondern z.B. eine Forderung, deren

Abtretung

der Täter erzwingt.

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

21.3.2025, 13:33:03

Vielen Dank @[Simon](131793) für deine Ausführung. Super hilfreich! 🫶🏻

Simon

Simon

21.3.2025, 16:50:19

Gerne :)

Marco

Marco

18.3.2025, 15:42:05

man wird hier wohl im Examen § 239b I Var. 1 der Bemächtigungsvariante anprüfen müssen und an der stabilen Bemächtigungslage (h.M.) scheitern lassen. Das Abschneiden der Zunge dürfte § 226 I Nr. 1 Var. 3 und damit die

Drohung

des § 239b erfüllen

Moltisanti

Moltisanti

18.3.2025, 22:50:02

Interessant


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen