Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub, u.a.
Aneignungsabsicht bei bloßer Sachentziehung – Raub oder räuberische Erpressung? (BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 1 StR 75/24)
Aneignungsabsicht bei bloßer Sachentziehung – Raub oder räuberische Erpressung? (BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 1 StR 75/24)
15. April 2025
6 Kommentare
4,7 ★ (13.996 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O teilt viele Beiträge auf der Plattform XY. A und B sind von Os Inhalten genervt. Damit O keine weiteren Beiträge teilen kann, wollen sie Os Handy wegnehmen. Sie betreten Os Zimmer, A schlägt O. B droht mit einem Messer, O die Zunge abzuschneiden. A nimmt dem eingeschüchterten O das Handy ab. A und B gehen damit weg.
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Einordnung des Falls
Aneignungsabsicht bei bloßer Sachentziehung – Raub oder räuberische Erpressung? (BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 1 StR 75/24)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A und B könnten sich wegen mittäterschaftlichen schweren Raub strafbar gemacht haben, indem sie den O mit einem Messer bedrohten, schlugen und sein Handy mitnahmen (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Bei Os Handy handelt es sich um eine für A und B fremde bewegliche Sache. Haben A und B diese auch weggenommen (§ 249 StGB)?
Ja, in der Tat!
3. Indem A den O geschlagen hat, hat er Gewalt i.S.d. § 249 Abs. 1 StGB gegen O angewandt.
Ja!
4. Indem B dem O das Messer vorhielt und sagte, er würde Os Zunge abschneiden, hat er ebenfalls Gewalt angewandt (§ 249 Abs. 1 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Aus dem Wortlaut des § 249 Abs. 1 („mit“ Gewalt und „unter“ Anwendung von Drohung) lässt sich schließen, dass die Anwendung des Nötigungsmittel kausal für die Wegnahme sein muss.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Weil nur A das Handy weggenommen hat, fehlen die Voraussetzungen für die gegenseitige Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB.
Nein!
7. Subjektiv muss Zueignungsabsicht vorliegen. Ist diese schon immer dann gegeben, wenn der Täter die Sache selbst benutzen möchte?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. A und B wollten verhindern, dass O weitere Beiträge mit seinem Handy teilt. Kann man allein aus diesem Grund ihre Zueignungsabsicht annehmen?
Nein, das trifft nicht zu!
9. Der BGH hielt es für nicht ausgeschlossen, dass A und B das Handy erst später entsorgen und vorübergehend nutzen wollten. Wäre in diesem Fall die Aneignungsabsicht ebenfalls von vornherein ausgeschlossen?
Nein!
10. Nach der Rspr. ist § 249 Abs. 1 StGB ein Spezialdelikt zu §§ 255, 253 StGB. Könnten sich A und B danach wegen räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben?
Genau, so ist das!
11. Nach der Rspr. müssten A und B mit Bereicherungsabsicht gehandelt haben (§§ 255, 253 StGB). Reicht es dafür, dass A und B bloßen Besitz an dem Handy erlangen wollten?
Nein, das trifft nicht zu!
12. Scheidet eine Strafbarkeit von A wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB schon deswegen aus, weil B nur daneben stand, O „nur“ mit dem Messer drohte und ihn nicht selbst verletzte?
Nein!
13. Nur A hat eine eigenhändige Körperverletzung begangen. Scheidet eine mittäterschaftliche Begehung des B nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB damit aus?
Nein, das ist nicht der Fall!
14. Nach einer wertenden Betrachtung der Gesamtumstände hat B eindeutig nur Beihilfe zu As Tat geleistet (§§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 27 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
15. A und B haben sich zudem wegen mittäterschaftlicher Nötigung strafbar gemacht (§§ 240 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB).
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Wesensgleiches Minus
18.3.2025, 11:34:50
Hat jemand Beispiele für den Fall, dass die
Zueignungsabsicht(
§ 242, § 249 ff.) verneint, aber die
Bereicherungsabsicht(§§ 253, 255) bejaht wird? 🙏🏻 Kann mir da gerade nichts zu vorstellen :|

Simon
21.3.2025, 11:21:17
Ein klassisches Beispiel, das mir einfällt, wäre die "Spazierfahrt" mit einem fremden Auto. Fall: T schlägt den O, der gerade in seinen 911er einsteigen will, nieder, da auch T einmal mit einem solchen Sportwagen eine Runde drehen will. Nach einer Stunde stellt er das Auto - wie von Anfang an beabsichtigt - wieder auf dem Grundstück des O ab. Lösungsvorschlag: Strafbarkeit des T nach § 249 I StGB mangels
Enteignungsvorsatzes (-). Die §§ 253 I, 255 StGB scheiden nach der h.L. aus, denn aufgrund der
vis absolutaliegt keine
Vermögensverfügungdes O vor. Nach der Rspr. geht die räuberische
Erpressunghingegen durch, denn T hat Gewalt gegen eine Person angewendet (qualifiziertes
Nötigungsmittel), den O dadurch zu einer Duldung genötigt (
Nötigungserfolgund
nötigungsspezifischer Zusammenhang) und ihm infolgedessen einen Vermögensschaden zugefügt (die Verfügbarkeit des Porsche hat insbesondere bei hypothetischer Nutzungsmöglichkeit und hypothetischem Nutzungswillen einen wirtschaftlichen Wert). Zudem handelte er vorsätzlich und mit der Absicht stoffgleicher
rechtswidriger
Bereicherung, denn T will sich diese dem O entgangene Nutzungsmöglichkeit gerade in sein Vermögen einverleiben. Eine Strafbarkeit aus § 248b I StGB tritt im Wege gesetzlicher Subsidiarität zurück, die §§ 223 I, 240 I, II StGB werden von der räuberischen
Erpressungkonsumiert. Letztlich gibt es m.E. zwei Hauptanwendungsfälle, in denen die
Bereicherungsabsichtzu bejahen, aber die
Zueignungsabsichtzu verneinen ist: (1) Der Täter hat keinen
Enteignungsvorsatz, die vorübergehende Aneignung hat jedoch wirtschaftlichen Wert und stellt deshalb einen Vermögensvorteil bzw. -nachteil dar (s.o.) und (2) es liegt kein körperlicher Gegenstand vor, sondern z.B. eine Forderung, deren
Abtretungder Täter erzwingt.

Wesensgleiches Minus
21.3.2025, 13:33:03
Vielen Dank @[Simon](131793) für deine Ausführung. Super hilfreich! 🫶🏻

Simon
21.3.2025, 16:50:19
Gerne :)
Marco
18.3.2025, 15:42:05
man wird hier wohl im Examen § 239b I Var. 1 der Bemächtigungsvariante anprüfen müssen und an der stabilen Bemächtigungslage (h.M.) scheitern lassen. Das Abschneiden der Zunge dürfte § 226 I Nr. 1 Var. 3 und damit die
Drohungdes § 239b erfüllen

Moltisanti
18.3.2025, 22:50:02
Interessant