+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A überlässt T seinen PKW, damit T diesen für A vermietet. T gibt den PKW an M, der den PKW verkauft. Als der ahnungslose A bei T nach dem PKW fragt, ruft T gemeinsam mit A den „Mieter“ per Video an, um A zu beruhigen.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
...Wird geladen
Einordnung des Falls
Zueignung (§ 246 Abs. 1 StGB) - Uneinigkeit der Senate (BGH, Beschl. v. 13.03.2024 – 4 StR 442/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T könnte sich wegen Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Auto an M gegeben hat, damit dieser es verkauft.
Genau, so ist das!
Eine Strafbarkeit des T nach § 242 Abs. 1 StGB scheidet aus, weil A dem T das Auto freiwillig überlassen hat. Damit liegt kein Gewahrsamsbruch (= keine Wegnahme) vor. Insbesondere in solchen Fällen musst Du an die Unterschlagung als Auffangtatbestand denken.
Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) setzt voraus:
(1) Objektiver Tatbestand: Täter eignet sich oder einem Dritten eine fremde, bewegliche Sache rechtswidrig zu. Gegenstand der Zueignung kann die Sache selbst oder der in ihr verkörperte Sachwert sein.
(2) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Zudem muss der Täter rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.
2. Der PKW ist eine für T fremde, bewegliche Sache.
Ja, in der Tat!
Eine Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Sie ist für den Täter fremd, wenn sie weder in dessen Alleineigentum steht noch herrenlos ist. Eine Sache ist dann beweglich, wenn sie tatsächlich fortgeschafft werden kann. Es genügt, wenn die Sache dazu erst beweglich gemacht wird.
Der PKW ist ein körperlicher Gegenstand, der fortgeschafft werden kann. Da er in As Eigentum steht, ist er für T auch fremd. Im Originalfall hatte A einige Fahrzeuge geleast und T überlassen. Auch in diesem Fall waren die im Eigentum des Leasinggebers stehenden PKWs für T fremd.
3. T müsste sich den PKW zugeeignet haben. Handelt es sich hierbei um ein ausschließlich subjektives Merkmal (wie i.R.d. § 242 StGB)?
Nein!
Anders als beim Diebstahl (§ 242 StGB) ist die
Zueignung bei § 246 StGB ein objektives Tatbestandsmerkmal. Es wird daher neben dem (subjektiven) Zueignungswillen auch ein objektives Element der
Zueignung vorausgesetzt. Es ist umstritten, wie dieses auszusehen hat. Vertreter der Manifestationstheorien verlangen als objektives Element, dass sich der Zueignungswille nach außen erkennbar manifestiert. Ein Erfolg wird nicht verlangt. Andere Ansätze setzen hingegen einen Zueignungserfolg voraus.
Im Jahr 2023 kehrte sich der BGH von seiner bisherigen Rspr. ab: Zuvor war die Rspr. der Manifestationstheorie gefolgt. Mit Urteil vom 29.11.2023 (6 StR 191/23) hat der 6. klargestellt, dass die bloße Manifestation des Zueignungswillens nicht (mehr) ausreiche, sondern vielmehr ein Zueignungserfolg vorliegen müsse. Dazu müsse sich der Täter zumindest vorübergehend den wirtschaftlichen Wert der Sache einverleiben und den Eigentümer dauerhaft von der Nutzung ausschließen.Diese Entscheidung haben wir ebenfalls für Dich aufbereitet. Du findest sie hier .4. Nach Rspr. des BGH aus 2023 müsste sich T hier zumindest vorübergehend den wirtschaftlichen Wert des PKWs einverleibt und den Eigentümer dauerhaft von der Nutzung ausgeschlossen haben.
Genau, so ist das!
Während zuvor in der Rechtsprechung die Manifestationslehre vertreten wurde, hat sich der 6. Senat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2023 der Zueignungstheorie angeschlossen. Eine
Zueignung i.S.v. § 246 StGB setzt danach voraus, dass der Täter sich die Sache oder den in ihr verkörperten wirtschaftlichen Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt. In dem hier dargestellten Fall wies der 4. Senat jedoch darauf hin, dass er keinen Anlass sieht, sich dieser Meinung anzuschließen (RdNr. 39f.).
5. Es konnte nicht nachgewiesen werden, ob T das Auto dem M bewusst überlassen hat, damit M dieses verkauft. Reicht der Umstand, dass T der letzte Besitzer des PKWs war aus, um Ts Zueignungswillen zu bejahen?
Nein, das trifft nicht zu!
Nach der – hier gefolgten – Manifestationstheorie muss sich dass sich der Zueignungswille nach außen erkennbar manifestieren. BGH: Für eine Unterschlagungshandlung sei zwar nicht erforderlich, dass die Handlung des Täters das Eigentum des Geschädigten rechtlich beseitigt oder beeinträchtigt. Der Umstand, dass der Angeklagte der „letzte rekonstruierbare Besitzer“ der Fahrzeuge war, lässt für sich genommen aber noch keine Tathandlung erkennen, die als Manifestation eines Zueignungswillens in Betracht käme (RdNr. 27).
Der BGH stellt klar, dass das Überlassen einer rückgabepflichtigen fremden Sache an einen Dritten, der diese veräußern und den erzielten Kaufpreis an den Täter zur Einverleibung in dessen Vermögen abführen soll, eine Manifestation des Zueignungswillens darstellen kann (RdNr. 25). Im Originalfall fehlten jedoch festgestellte (deliktische) Verbindungen zwischen T und den Mittelsmännern.
6. Ist das durch T veranlasste Video, das A beruhigen sollte, tauglicher Anknüpfungspunkt für eine täterschaftliche Unterschlagungshandlung?
Nein!
BGH: Ebenfalls kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine täterschaftliche Unterschlagungshandlung ist die festgestellte Veranlassung eines „Videocalls“. Allein in dem Vortäuschen einer absprachegemäßen Verwendung der überlassenen Sache manifestiert sich nicht der Wille des Täters nach außen, eine eigentümerähnliche Herrschaft über die Sache ausüben zu wollen (RdNr. 29).
7. Hat T sich wegen Unterschlagung (§ 246 StGB) strafbar gemacht?
Nein, das ist nicht der Fall!
Mangels einem nach außen erkennbar manifestierten Zueignungswillen (objektive Zueignung) hat T sich nicht wegen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, sondern bleibt straflos. Es konnten keine ausreichenden Feststellungen zu Verbindungen zwischen T und den Abnehmern der Autos getroffen werden, die als tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Unterschlagungshandlung reichten.
Der 4. Senat des BGH nutzte das Urteil aber, um klarzustellen, dass er an seiner Rechtsprechung zum objektiven Element der Zueignung festhält. Er weist aber auch darauf hin, dass auch die (restriktivere) Ansicht des 6. Senats nicht zu einem abweichenden Ergebnis geführt hätte.