Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2024

Sind K.O.-Tropfen ein „gefährliches Werkzeug“? (BGH, Beschl. v. 08.10.24, 5 StR 382/24)

Sind K.O.-Tropfen ein „gefährliches Werkzeug“? (BGH, Beschl. v. 08.10.24, 5 StR 382/24)

5. Februar 2025

2 Kommentare

4,8(25.557 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Content Note: Dieser Fall beinhaltet einen sexuellen Übergriff.
R mischt seiner Bekannten G heimlich Gamma-Butyrolacton (als „K.O.-Tropfen“) ins Getränk. Er möchte sie damit enthemmen und sexuelle Handlungen an ihr vollziehen. So geschieht es. Aufgrund der Wirkung der „K.O.-Tropfen“ kann G keinen entgegenstehenden Willen bilden oder äußern.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Sind K.O.-Tropfen ein „gefährliches Werkzeug“? (BGH, Beschl. v. 08.10.24, 5 StR 382/24)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R könnte sich wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem er G die „K.O.-Tropfen“ verabreichte (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 Alt. 2, Nr. 3, Nr. 5 StGB).

Ja, in der Tat!

Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 Alt. 2, Nr. 3, Nr. 5 StGB sind: (1) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung (2) Durch Beibringung von Gift und/oder (3) Mittels eines gefährlichen Werkzeugs und/oder (4) Mittels eines hinterlistigen Überfalls und/oder (5) Mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung Zudem müsste R vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die „K.O.-Tropfen“ verursachten bei G unter anderem eine erhebliche Bewusstseinstrübung über mehrere Stunden. Hat R die G durch die Verabreichung der Tropfen an der Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 StGB)?

Ja!

Unter Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand nachteilig abweichenden, pathologischen Zustandes zu verstehen.Die erhebliche Bewusstseinstrübung - bis hin zu einem Zustand, in dem G keinen Willen bilden und äußern konnte - stellt einen pathologischen Zustand dar, den R durch das Verabreichen der K.O.-Tropfen hervorgerufen hat.

3. Die K.O.-Tropfen sind ein Gift im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB.

Genau, so ist das!

Ein Gift ist jeder anorganische oder organische Stoff, der durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit zu beeinträchtigen vermag. Auf den Aggregatzustand des Stoffes kommt es dabei nicht an.Die „K.O.-Tropfen“ haben dazu geführt, dass Gs Bewusstsein massiv getrübt und ihre Fähigkeit, einen Willen zu bilden und zu äußern erheblich eingeschränkt wurde. Sie sind gerade in Verbindung mit Alkohol dazu geeignet, unter anderem Übelkeit, Schwindel und Bewusstlosigkeit hervorzurufen und so die Gesundheit zu beeinträchtigen. Sie sind ein Gift im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB.

4. Damit R auch nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar ist, müsste er die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen haben.

Ja, in der Tat!

Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.Das Landgericht Dresden und der BGH sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, ob die „K.O.-Tropfen“ ein gefährliches Werkzeug im Sinne der Norm darstellen. Schauen wir uns das mal genauer an!

5. Gegen die Einordnung der „K.O.-Tropfen“ als „gefährliches Werkzeug” könnte der Wortlaut der Norm sprechen.

Ja!

So sieht es der BGH: Bei einem Werkzeug handele es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet werde. Darunter fielen gemeinhin nur feste Körper (RdNr. 19). Flüssigkeiten seien deswegen nicht vom Wortlaut erfasst.In der Vergangenheit war der BGH diesbezüglich noch etwas uneindeutig und hatte wiederholt darauf abgestellt, „K.O.-Tropfen“ seien zumindest in einer geringen Dosierung kein gefährliches Werkzeug (vgl. BGH, Beschl. v. 27.01.2009, 4 StR 473/08). In der neusten Entscheidung hat der BGH aber klar gemacht, dass „K.O.-Tropfen“ keinesfalls ein gefährliches Werkzeug sind.

6. Für die Einordnung als „gefährliches Werkzeug” könnte die hohe Gefährlichkeit der Tropfen sprechen. Darf dieses Argument höher gewichtet werden als der Wortlaut der Norm (siehe Art. 103. Abs. 2 GG)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das LG Dresden hatte argumentiert, dass „K.O.-Tropfen“ wegen ihrer immensen Gefährlichkeit und sedierenden Wirkung etwa mit dem Schlag eines Holzknüppels vergleichbar seien. Deswegen seien sie als gefährliches Werkzeug einzuordnen. Der BGH ist dem klar entgegen getreten: Die Wortlautgrenze darf wegen Art. 103. Abs. 2 GG nicht überschritten werden (RdNr. 31).Auch eine Analogie zu Lasten des Täters ist immer unzulässig.

7. Die Pipette, mit deren Hilfe G die Tropfen in Rs Getränk träufelte, könnte aber grundsätzlich ein Werkzeug sein.

Ja, in der Tat!

Die Pipette ist ein fester Körper, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet werden kann. Die Körperverletzung müsste aber auch mittels des gefährlichen Werkzeugs begangen worden sein. Das ist der Fall, wenn sie unmittelbar durch ein von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes potentiell gefährliches Tatmittel verursacht wird.R verwendete die Pipette lediglich als Dosierungshilfe - die Pipette hat selbst nicht auf Gs Körper eingewirkt. Damit haftete ihr die erforderliche potentielle Gefährlichkeit nicht an (RdNr. 24).

8. Wenn das Gift oder der gesundheitsschädliche Stoff nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB lediglich ein Spezialfall des Oberbegriffs „gefährliches Werkzeug” wäre, wäre hier das Vorliegen eines gefährlichen Werkzeugs zu bejahen.

Ja!

Die Spezialität eine Tatbestandsvariante liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den infrage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren Gesichtspunkt erfasst, also spezieller ist. Liegt der Spezialfall vor, liegt auch automatisch der Oberbegriff vor, zu dem dieser Spezialfall gehört. Ein einfaches Beispiel: Äpfel und Birnen gehören zum Oberbegriff „Obst”. Hast Du eins von beiden, hast Du gleichzeitig auch ein Obst. Wenn also das gefährliche Werkzeug das Obst wäre, wäre dies gegeben, wenn die Birne (= Gift) vorläge. Nach dem Wortlaut erfasst § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch Flüssigkeiten und Gase, was § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB nicht tut. Zudem stehen sich die „Beibringung” und die Begehung der Verletzung „mittels” des Werkzeugs gegenüber, ohne, dass das eine im anderen enthalten wäre (RdNr. 28). § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist damit kein Spezialfall des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

9. R könnte die Körperverletzung schließlich mittels eines hinterlistigen Überfalls begangen haben, indem er G die „K.O.-Tropfen“ heimlich verabreichte (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Genau, so ist das!

Ein Überfallist jeder plötzliche unerwartete Angriff auf einen Ahnungslosen. Er ist als hinterlistig einzuordnen, wenn der Täter planmäßig berechnend vorgeht, indem er seine wahre Absicht verschleiert und gerade dadurch dem Angegriffenen die Abwehr erschwert.R hat G die Tropfen heimlich ins Getränk getan. Die von G sodann eingenommenen „K.O.-Tropfen“ bewirkten planmäßig, dass G enthemmt und ihre Steuerungs- und Willenbildungfähigkeit erheblich eingeschränkt wurde. R hat damit Gs körperliche Unversehrtheit und ihr Recht auf Selbstbestimmung angegriffen. Es entsprach gerade seinem Plan, dass G das Getränk ahnungslos trinken und Rs Angriff nicht erkennen würde. Darin liegt ein hinterlistiger Überfall.

10. „K.O.-Tropfen“ sind in Verbindung mit Alkohol allgemein geeignet, lebensgefährlich zu sein. Reicht es für den § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB („mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung”) unstrittig, wenn der Täter eine abstrakte Lebensgefahr verursacht?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach Rspr. und h.L. verlangt der § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine Begehungsweise, die nach den Umständen des konkreten Falles, wie der Art, Dauer und Stärke der Einwirkung objektiv generell geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. Es sei keine konkrete Lebensgefahr im Einzelfall erforderlich. Ein Teil der Literatur verlangt hingegen diese konkrete Lebensgefahr für das Opfer im Einzelfall. Für die Ansicht von Rspr. und h.L. spricht, dass der Wortlaut auf die lebensgefährdende Behandlung, und nicht auf eine Lebensgefahr abstellt. Zudem kommt es auch in den anderen Tatvarianten des § 224 StGB auf eine abstrakt höhere Gefährlichkeit der Handlung an.

11. G war fast bewusstlos. In Kombination mit der Übelkeit drohte, dass sie erbrechen und daran ersticken würde. Gs Leben war konkret gefährdet. Ist ein Streitentscheid zwischen den Ansichten zu § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nötig?

Nein!

Ein Streitentscheid ist i.R.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nur dann nötig, wenn die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Hier liegt aber sowohl eine abstrakte, als auch eine konkrete Lebensgefahr vor. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist nach beiden Ansichten erfüllt.In der Klausur verlangt niemand medizinisches Fachwissen über die Wirkung von „K.O.-Tropfen“. Der Sachverhalt wird dir in der Regel vorgeben, ob die Wirkung eine konkrete oder lediglich abstrakte Lebensgefahr begründet.Im (hier leicht abgeänderten) Originalfall hatte das Landgericht lediglich die abstrakte Lebensgefahr angesprochen und bejaht. Im Zuge der Prüfung des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (besonders schwerer sexueller Übergriff) hat der BGH festgestellt, dass auch eine konkrete Lebensgefahr möglich sei. Diese muss das LG jetzt prüfen. Dazu später mehr.

12. R erkannte die Gefährlichkeit der „K.O.-Tropfen“. Handelte er vorsätzlich?

Genau, so ist das!

Der Täter handelt vorsätzlich, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestands in Kenntnis aller objektiven Tatumstände handelt.R wollte, dass G durch die „K.O.-Tropfen“ enthemmt und in einen Zustand gebracht würde, in der er sexuelle Handlungen an ihr vollziehen könnte. Er kannte dabei die Gesundheitsgefahr der Verabreichung der „K.O.-Tropfen“. R handelte vorsätzlich bezüglich der Gesundheitsschädigung, der Beibringung eines Gifts, des hinterlistigen Überfalls und der das Leben gefährdenden Behandlung.R handelte auch rechtswidrig und schuldhaft und hat sich im Ergebnis wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 3, Nr. 5 StGB strafbar gemacht.

13. Vertiefung: R könnte sich auch wegen eines sexuellen Übergriffs (§ 177 StGB) strafbar gemacht haben, indem er G „K.O.-Tropfen“ verabreichte und dann sexuelle Handlungen an ihr vollzog.

Ja, in der Tat!

Das Sexualstrafrecht ist kein Examensstoff. Wegen der rechtspolitischen Bedeutung haben wir den § 177 StGB hier trotzdem aufgenommen.Nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt und dabei ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Genau so ist es hier geschehen.Durch das Verabreichen der „K.O.-Tropfen“ hat R zudem Gewalt (§ 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB) angewandt. Außerdem sind die „K.O.-Tropfen“ ein Mittel, das R bei sich geführt hat, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt zu überwinden. Im Ergebnis liegt damit ein besonders schwerer sexueller Übergriff (§ 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB) vor.

14. Vertiefung: wirkt es sich auf den Strafrahmen des § 177 StGB aus, dass die „K.O.-Tropfen“ nicht als gefährliches Werkzeug angesehen werden?

Ja!

Die Tat nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB wird mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Bei Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs läge die Mindeststrafe hingegen bei fünf Jahren (§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB).Der BGH betont aber, dass § 177 Abs. 7 und Abs. 8 StGB keine Strafobergrenze vorsähen. In der Strafzumessung könne die gefährliche Vorgehensweise entsprechend gewürdigt werden.Laut BGH ist es zudem nicht ausgeschlossen, dass R die G in die (konkrete!) Gefahr des Todes (§ 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB) gebracht habe - denn R hätte etwa im bewusstlosen Zustand erbrechen und daran ersticken können (RdNr. 34). Zur Klärung dieser Frage hat der BGH den Fall an das LG zurückverwiesen.Aktuelle rechtspolitische Themen werden gern im mündlichen Examen abgefragt. Geht es dabei um unbekannte Delikte, wird meist verlangt, dass Du die Norm genau liest und die Frage mithilfe des Gesetzestexts beantwortest.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen