Mitwirkung des Ratsmitglieds durch Beratung im Rat - "Stunkstadt - Green City"


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Der Rat der kreisfreien Stadt Stunkstadt will aus der Betonwüste, die sich Innenstadt nennt, einen urbanen und lebenswerten Begegnungsort machen. Der Entwurf eines Bebauungsplans sieht vor, dass die meisten Läden an den Stadtrand verlagert werden sollen. Ratsmitglied R betreibt in dem Plangebiet einen Kosmetiksalon. R meldet sich mit kritischen Beiträgen in der Ratssitzung zu Wort.

Einordnung des Falls

Mitwirkung des Ratsmitglieds durch Beratung im Rat - "Stunkstadt - Green City"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Sinn und Zweck des Mitwirkungsverbotes (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH) ist es, die Integrität der Verwaltung zu fördern und das Vertrauen der Bürgerinnen in die Verwaltung zu wahren.

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Genau, so ist das!

Die Verwaltung soll ausschließlich dem öffentlichen Wohl dienen. Kommunale Entscheidungsträger sind wegen der besonderen Lebensnähe des Kommunalrechts besonders häufig von ihren eigenen Entscheidungen selbst betroffen. Die persönliche Betroffenheit erhöht die Gefahr, dass die Mitwirkung an Entscheidungen durch individuelle Sonderinteressen und nicht ausschließlich durch das öffentliche Wohl bestimmt wird. Durch Mitwirkungsverbote soll bereits der „böse Schein“ einer parteiischen Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung, mitsamt des damit einhergehenden Ansehensverlustes, vermieden werden. Auch in nicht-kommunalrechtlichen Sachverhalten soll die Mitwirkung befangener Entscheidungsträger zurückgedrängt werden. Die allgemeinen Vorschriften dazu findest Du in §§ 20, 21 VwVfG.

2. Da der Bebauungsplan R keinen Vorteil bringen kann, ist er nicht befangen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Das Mitwirkungsverbot (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH) greift ein, wenn die Entscheidung einen Vorteil oder einen Nachteil bringen kann. Vorteil ist jede Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Lage der betroffenen Person. Ein Nachteil ist im Umkehrschluss jede Verschlechterung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Lage der betroffenen Person. Entscheidend ist, ob ein individuelles Sonderinteresse und gerade kein allgemeines gesellschaftliches, weltanschauliches oder politisches Allgemeininteresse, aus objektiver Sicht (1) konkret möglich und (2) hinreichend wahrscheinlich erscheint. R betreibt einem Kosmetiksalon in dem Plangebiet. Dieser muss wahrscheinlich an den wirtschaftlich unattraktiveren Stadtrand umziehen, wenn der Bebauungsplan beschlossen wird. Daher kann ihm die Entscheidung einen Nachteil bringen.

3. Da unsicher ist, ob Rs Kosmetiksalon an den Stadtrand verlagert wird, besteht für ihn ein „Nachteil“.

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Ja!

Es ist egal, ob der Entscheidungsbetroffene tatsächlich individuell betroffen ist! Denn bereits der „böse Schein“ einer nicht am Gemeinwohl ausgerichteten Mitwirkung soll verhindert werden. Der Vorteil bzw. Nachteil muss nicht sicher feststehen. Es reicht aus, wenn der Eintritt (1) konkret möglich und (2) hinreichend wahrscheinlich erscheint. Das ergibt sich aus dem Wortsinn (regelmäßig: „einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann“, nicht etwa „bringt“). Rs Kosmetiksalon befindet sich im Plangebiet. Es steht zwar nicht fest, ob dieser auch an den Stadtrand verlagert wird. Allerdings ist das (1) konkret möglich und (2) hinreichend wahrscheinlich, weil nach dem Bebauungsplan die meisten Läden davon betroffen sein werden. Es besteht hier deshalb bereits der „böse Schein“, dass R sich nur äußert, um einen persönlichen Nachteil abzuwenden. Wenn ein Vorteil bzw. Nachteil nicht erwiesen ist, will deine Korrektorin das Schlagwort vom „bösen Schein“ unbedingt lesen!

4. R hat an der Entscheidung mitgewirkt und dadurch gegen das Mitwirkungsverbot (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH) verstoßen.

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Genau, so ist das!

Der Entscheidungsträger darf weder beratend noch entscheidend an der Entscheidung mitwirken (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH). R hat sich in der Sitzung zu Wort gemeldet und somit beratend mitgewirkt. Selbst wenn R sich entgegen seines individuellen Sonderinteresses positiv über die für ihn nachteilhafte Angelegenheit geäußert hätte, hätte er unter Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH) an der Entscheidung mitgewirkt.

5. Führt die Mitwirkung des R an der Beratung unter Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot immer zur Nichtigkeit der Entscheidung?

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Nein, das trifft nicht zu!

Wenn ein Entscheidungsträger trotz Mitwirkungsverbot beratend oder entscheidend mitgewirkt hat, kann die Entscheidung rechtswidrig oder nichtig (insbesondere Satzungen) sein. So kann insbesondere ein Ratsbeschluss formell rechtswidrig und damit unwirksam werden. Der Verstoß ist aber nur beachtlich, wenn die Mitwirkung für das Abstimmungsergebnis entscheidend war (z.B. Art. 49 Abs. 4 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 5 Nr. 1 GO SH). Die Mitwirkung war für das Abstimmungsergebnis entscheidend, wenn die Stimme des Befangenen für das Abstimmungsergebnis ausschlaggebend ist. Da die unzulässige beratende (!) Mitwirkung für das Abstimmungsergebnis nicht entscheidend sein kann, hat sie keine rechtlichen Auswirkungen auf die Entscheidung.

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