Verwirkung der Verfahrensrüge - Zwischenrechtsbehelf

19. Februar 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A rügt in der Revision gegen ein Landgerichtsurteil, dass sein Beweisantrag von der Kammer zu Unrecht abgelehnt wurde (§ 244 Abs. 3, 6 S. 1 StPO) und dass ein Hinweis der Vorsitzenden (§ 265 Abs. 1 StPO) verspätet erging. Im Prozess hatte A dies noch wortlos hingenommen.

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Einordnung des Falls

Verwirkung der Verfahrensrüge - Zwischenrechtsbehelf

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A rügt vorliegend zwei Verfahrensverstöße.

Ja!

Verfahrensvorschriften betreffen den Weg, auf dem das Gericht zu seinem Urteil gelangt ist. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt vor, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Handlung unterblieben ist, fehlerhaft vorgenommen wurde oder überhaupt unzulässig war.A rügt die unzulässige Ablehnung eines Beweisantrags (§ 244 Abs. 3, 6 S. 1 StPO) und die Verletzung der Hinweispflicht (§ 265 Abs. 1 StPO). Beides gerügten Verstöße betreffen das Verfahren.
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2. In der Hauptverhandlung steht dem Angeklagten gegen Verfahrensverstößen regelmäßig der Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO zur Verfügung.

Genau, so ist das!

Die Beteiligten können eine sachleitende Anordnung des Vorsitzenden als unzulässig beanstanden (§ 238 Abs. 2 StPO). Der Begriff der sachleitenden Anordnung ist sehr weit zu verstehen. Dies sind alle Maßnahmen, die auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss gewinnen können. Der Beteiligte muss nur geltend machen, in seiner prozessualen Rechtsstellung oder schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt zu sein. So kann kein Verfahrensverstoß des Vorsitzenden von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Norm herausgenommen werden. Sogar eine Platzzuweisung oder die Anordnung, ein Fenster zu öffnen, kann auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss haben, wenn dadurch etwa die Kommunikation mit dem Verteidiger erschwert wird oder der Angeklagte der Beweisaufnahme nicht konzentriert folgen kann.

3. A hat die Verletzung der Hinweispflicht (§ 265 Abs. 1 StPO) nicht schon in der Hauptverhandlung gerügt. Ist seine Rüge deshalb in der Revision verwirkt?

Ja, in der Tat!

Ein Verfahrensfehler kann in der Revision grundsätzlich nur geltend gemacht werden, wenn der Revisionsführer schon in der Vorinstanz vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat und gegen die Anordnung des Vorsitzenden vorgeht. Die Revision ist damit „subsidiärer" Rechtsschutz. Zweck der Vorschrift ist es gerade, dass Verfahrensfehler durch das Gericht selbst korrigiert werden und eine Revision vermieden wird. Wird dieser Rechtsbehelf im Prozess nicht eingelegt, ist die Verfahrensrüge in der Revision verwirkt.Statt den verspäteten Hinweis hinzunehmen, hätte A diesen unmittelbar rügen müssen.

4. A hätte auch die Ablehnung des Beweisantrags schon in der Hauptverhandlung rügen müssen, um diesen Fehler in der Revision geltend machen zu können.

Nein!

Der Anwendungsbereich des Zwischenrechtsbehelfs (§ 238 Abs. 2 StPO) ist nicht eröffnet, wenn ein fehlerhafter Beschluss vorliegt. Denn der Zwischenrechtsbehelf (§ 238 Abs. 2 StPO) richtet sich nur gegen Anordnungen des Vorsitzenden. Beschlüsse sind aber vom Spruchkörper, hier also von der Kammer zu fällen. Unabhängig davon, ob der Vorsitzende fälschlicherweise allein entscheidet, oder ob das Gericht einen fehlerhaften Beschluss trifft, ist der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 2 StPO nicht eröffnet. Die Ablehnung eines Beweisantrags muss durch Beschluss ergehen (§ 244 Abs. 3, 6 S. 1 StPO). Die fehlerhafte Ablehnung kann in der Revision also auch ohne vorherige Einlegung des Zwischenrechtsbehelfs gerügt werden. Weitere Ausnahmen vom Vorrang des Zwischenrechtsbehelfs findest Du im Meyer-Goßner/Schmitt, § 238 RnNr. 24.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Maximilian

Maximilian

2.12.2023, 20:28:55

Die korrekte Fundstelle (66. Aufl. 2023) lautet MG 238\22.

Mareici

Mareici

4.11.2024, 13:57:13

Auch in der 67. Auflage 2024 findet man die Kommentierung unter MG 238/22.

JURA

juravulpes

26.3.2024, 20:00:07

Was genau soll die Gerichtsentscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO bei einem verspäteten Hinweis bringen? Ist es nicht vielmehr so, dass in diesem Fall aufgrund des unterbliebenen Aussetzungsantrags nach § 265 Abs. 4 StPO eine

Rügepräklusion

in Betracht kommt?

JURA

juravulpes

4.4.2024, 12:05:36

Die

Rügepräklusion

kann hier außerdem schon deshalb nicht auf eine Verletzung der Beanstandungs

obliegenheit

nach § 238 Abs. 2 StPO gestützt werden, da in den Fällen des Unterlassens prozessual gebotener Maßnahmen und bei dem Verstoß gegen zwingende, dem Vorsitzenden keinen Entscheidungsspielraum belassende Verfahrensvorschriften eine Beanstandung in der Hauptverhandlung ausnahmsweise nicht erforderlich ist.

YM

Y. M.

10.5.2024, 12:55:45

Hallo Jurafuchs - Team. Ich finde eure Ausführungen zu §

238 II StPO

in Ansehung von §

265 StPO

sehr verwirrend. Wie soll ich denn etwas rügen, wenn ich gar nicht weis, dass das Gericht von veränderten

Tatsachen

ausgegangen ist? Eine Rüge ist m.E bei einem schlichten unterlassen nicht möglich. Ich habe hierzu auch nur ein

Urteil

des BGH gefunden, bei welchem ein verspäteter Hinweis ergangen ist (ok - das verstehe ich ja). Aber aus BGH NStZ 2012, 344 kann doch jetzt nicht geschlossen werden, dass stets bei Verletzung des §

265 StPO

ein Zwischenrechtsbehelfs notwendig ist?

FI

fisko

17.12.2024, 14:10:53

Ich finde deinen Gedanken wirklich sehr schlau, Hut ab vor der Transferleistung an dieser Stelle. Ich habe in der Kommentierung im MG/S nichts gefunden, was für eine Rügepflicht spricht und verstehe es (v.a. dank deines Kommentars) so, dass bei unterlassenem Hinweis automatisch

Verwirkung

eintreten würde, wenn keine Rüge erfolgt. Denn in dem Moment, wo die Entscheidung des Gerichts aufgrund des fehlenden Hinweises den Angeklagten ereilt, ist es zu spät für die Rüge nach §

238 II StPO

. Und das kann natürlich nicht sein. ABER: In dem Fall geht es um einen VERSPÄTETEN Hinweis des Gerichts, nicht um einen gänzlich unterlassenen Hinweis. Das Gericht muss frühstmöglich hinweisen (MG/S § 265 Rn. 32). Wenn es das nicht tut, besteht die Gefahr, dass der Angeklagte eine andere/besser

Verteidigung

sstrategie nicht eingeschlagen hat. Sobald das Gericht den Hinweis erteilt, es aber früher hätte tun müssen, kann dies gerügt werden und damit im Falle einer Revision zur Aufhebung des

Urteil

s führen. Insofern sind die Ausführungen im Fall mMn zutreffend.


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