Protokollberichtigung und Rügeverkümmerung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A wird erstinstanzlich verurteilt. In der Revisionsbegründung rügt er, der Anklagesatz sei nicht verlesen worden (§ 243 Abs. 3 S. 1 StPO). Im Protokoll ist die Verlesung nicht beurkundet. Nach Eingang der Revisionsschrift fügen die Vorsitzende und der Urkundsbeamte die Anklageverlesung nachträglich ins Protokoll ein.

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Einordnung des Falls

Protokollberichtigung und Rügeverkümmerung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Verlesung und Nichtverlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3 S. 1 StPO) kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).

Ja, in der Tat!

Die Prüfung von Verfahrensrügen wird durch die positive und negative Beweiskraft des Protokolls vereinfacht. Verstöße betreffend der Beachtung und Nichtbeachtung der wesentlichen Förmlichkeiten (§ 273 Abs. 1 StPO) können nur durch das Protokoll bewiesen werden. Die Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3 S. 1 StPO) ist eine solche wesentliche Förmlichkeit, da sie für den gesetzmäßigen Ablauf des Verfahrens von Bedeutung ist. Die Beteiligten, insbesondere die Schöffen und der Angeklagte, sollen Gewissheit über den Gegenstand der Verhandlung erlangen und die Öffentlichkeit über den Inhalt des Verfahrens informiert werden. Das gewährleistet Transparenz. Das Fehlen im Protokoll beweist so die fehlende Verlesung. Was die wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung sind, musst du nicht auswendig lernen. Hier hilft dir die Kommentierung weiter (Meyer-Goßner/Schmitt, § 273 RnNr. 6ff.)
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2. Eine nachträgliche Berichtigung des Protokolls ist für das Revisionsgericht immer unbeachtlich.

Nein!

Lange war eine Protokollberichtung nach der Rechtsprechung des BGH unbeachtlich, wenn die Berichtigung einer zulässigen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzog („Verbot der Rügeverkümmerung"). Im Jahr 2007 hat der große Senat des BGH seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass eine zulässige Berichtigung des Protokolls auch zum Nachteil des Beschwerdeführers die Beweiskraft entfallen lassen kann. Bloße Mängel des Protokolls, welche die Urkundspersonen erkannt und beseitigt hätten, dürften kein Revisionsgrund sein, aus dem der Revisionsführer Vorteile zieht. Maßgeblich sei nur die tatsächliche Sachlage. Ein Vertrauen auf ein unrichtiges Protokoll sei nicht schutzwürdig.

3. Zur Protokollberichtigung genügt es, dass die Vorsitzende und der Urkundsbeamte gemeinsam das Protokoll umschreiben.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der BGH hat zum Schutz des Beschwerdeführers genaue Vorgaben zum Verfahren bei der Protokollberichtigung gemacht: (1) Eine Berichtigung setzt sichere Erinnerung der Urkundspersonen (Vorsitzende und Urkundsbeamter) voraus. (2) Der Beschwerdeführer ist anzuhören. (3) Widerspricht er der Berichtigung substanziiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. (4) Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. Wird das Verfahren nicht eingehalten, ist die Protokollberichtigung für das Revisionsgericht unbeachtlich.

4. Entfaltet das geänderte Protokoll bei Einhaltung der Verfahrensvorgaben absolute Beweiskraft?

Nein, das trifft nicht zu!

Das Revisionsgericht prüft die Gründe der Berichtigung. Nur wenn sie die Berichtigung tragen, ist das berichtigte Protokoll überhaupt zu Grunde zu legen. Um den Beschwerdeführer zu schützen, hat der berichtigten Teil des Protokolls zudem nicht die absolute formelle Beweiskraft (§ 274 StPO). Das Revisionsgericht kann den Sachverhalt also im Freibeweisverfahren weiter aufklären. Verbleiben auch nach der Überprüfung Zweifel an der Richtigkeit des berichtigten Protokolls, ist der Entscheidung das Protokoll in der ursprünglichen Fassung zu Grunde zu legen.
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