Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2022

Diebstahl mit Waffen & mutmaßliches Einverständnis

Diebstahl mit Waffen & mutmaßliches Einverständnis

21. November 2024

4,8(17.592 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizist P wird zu einem LKW-Unfall gerufen. Dort nimmt er einige unbeschädigte Käsekisten der A-GmbH im Wert von €400 mit, die zu verderben drohen. P weiß allerdings, dass noch keine Freigabe durch den für die Prüfung des Transportgutes zuständigen Havariekommissar erfolgt ist.

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Einordnung des Falls

Diebstahl mit Waffen & mutmaßliches Einverständnis

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P könnte sich wegen Diebstahls strafbar gemacht haben (§ 242 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Der Tatbestand des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) setzt (1) objektiv (a) die Wegnahme (b) einer fremden, beweglichen Sache und (2) subjektiv (a) Vorsatz sowie (b) die Absicht rechtswidriger Zueignung voraus.
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2. Bei dem Käse handelt es sich um eine fremde, bewegliche Sache.

Ja!

Eine bewegliche Sache ist ein körperlicher Gegenstand, der tatsächlich fortbewegt werden kann. Eine Sache ist fremd, wenn sie (auch) im Eigentum einer anderen Person steht und nicht herrenlos ist. Herrenlos ist eine Sache, wenn der Eigentümer den Besitz mit Verzichtswillen aufgibt. Die Kisten mit Käse sind körperliche Gegenstände und können tatsächlich fortbewegt werden. Der Käse steht im Eigentum der A-GmbH als ursprüngliche Rechtsinhaberin. Allein der Umstand, dass die Kühlkette unterbrochen ist, lässt noch nicht darauf schließen, dass A ihr Eigentum am Käse aufgeben wollte. Er war somit für P fremd. Auf den wirtschaftlichen Wert oder ideellen Wert der Sache kommt es für einen Diebstahl nicht an. Auch wertlose Gegenstände fallen unter den Schutzbereich des § 242 StGB, er schützt das Dispositionsrecht des Eigentümers.

3. Liegt eine Wegnahme vor, wenn A mit der Mitnahme des Käses durch P einverstanden gewesen wäre?

Nein, das ist nicht der Fall!

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ob und wer Gewahrsam an einer Sache hat, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des täglichen Lebens. Spätestens als A über den Unfall informiert worden war, hatte sie Kenntnis vom Standort des LKWs und der Ladung erlangt, und bekam dadurch eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit (Sachherrschaft) hierauf. Ihren (Mit-)Gewahrsam am Käse hat P aufgehoben, indem er ihn abtransportierte. Sofern A mit der Mitnahme einverstanden gewesen wäre, wäre der Gewahrsamswechsel aber nicht gegen oder ohne ihren Willen erfolgt. Es läge dann kein Gewahrsamsbruch vor. Allerdings hat sich A diesbezüglich nicht geäußert.Bei Transporten hat zunächst der LKW-Fahrer die tatsächliche Herrschaft über Fahrzeug und Ladung und ist somit Gewahrsamsinhaber. Neben ihm kann auch sein Geschäftführer Mitgewahrsam haben. Dies kommt auf die Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten während der Fahrt an.

4. Eine Strafbarkeit des P durch die Mitnahme des Käses scheidet möglicherweise aber dann aus, wenn ein mutmaßliches Einverständnis der A vorlag.

Ja, in der Tat!

Wenn ein Einverständnis des Gewahrsamsinhaber nicht vorliegt, kann die Strafbarkeit auch unter dem Gesichtspunkt des mutmaßlichen Einverständnisses entfallen. Hierfür gelten die Regeln der mutmaßlichen Einwilligung. Ein mutmaßliches Einverständnis kommt in Betracht, wenn der Berechtigte nicht in der Lage ist rechtzeitig einzuwilligen, aber davon auszugehen ist, dass er den Maßnahmen zugestimmt hätte. Davon ist beim Handeln im Interesse oder bei mangelndem Interesse des Gewahrsamsinhabers auszugehen. Die dogmatische Einordnung des bloß mutmaßlichen Einverständnis ist umstritten: Für die Verortung im Tatbestand spricht, dass auch in diesem Fall ein entgegenstehender Wille des Betroffenen fehlt. Für die Einordnung als Rechtfertigungsgrund wird angeführt, dass Tatbestandsmerkmale stets tatsächlich vorliegen müssten. Nur ein tatsächlich bestehendes Einverständnis könne tatbestandsausschließend wirken, wohingegen ein mutmaßliches Einverständnis auf Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen sei.Da Du in der Klausur Aufbaufragen nicht diskutieren musst, kannst Du Dich frei für einen Standort entscheiden.

5. Ein mutmaßliches Einverständnis des Gewahrsamsinhabers lässt sich allein auf ein fehlendes wirtschaftliches Interesse an der Sache stützen.

Nein!

Das LG hat zur Begründung eines mutmaßlichen Einverständnisses maßgeblich auf das mangelnde Interesse der Rechtsinhaberin an der havarierten Ware aufgrund des drohenden raschen Verderbs abgestellt. OLG: Bei § 242 StGB komme es nicht notwendigerweise auf einen objektiv messbaren Substanzwert oder auf eine wirtschaftliche Interessenverletzung an. Daher könne ein mutmaßliches Einverständnis des Gewahrsamsinhabers nicht allein mit einem fehlenden wirtschaftlichen Interesse an der Sache begründet werden. Daneben müssen der Rechtsinhaber zumindest nach der Vorstellung des Täters keinerlei Interesse (mehr) haben, selbst über die konkrete Verwendung der (für ihn wirtschaftlich wertlosen) Sache zu entscheiden (RdNr. 11).Das OLG verweist in seiner Argumentation auf den BVerfG-Fall zum „Containern”.

6. Gegen ein mutmaßliches Einverständnis spricht die noch andauernde Prüfung der Verwertbarkeit der Ware durch den Havariekommissar.

Genau, so ist das!

Der mutmaßliche Wille wird unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles ermittelt. OLG: Das Interesse der Eigentümerin erschöpfe sich gerade nicht darin, die - mutmaßlich - nicht mehr verkehrsfähige Ware „irgendwie“ loszuwerden. Sie habe vielmehr ein objektives Interesse daran, dass die Ware vollständig gesichtet und entsprechend den Empfehlungen des Havariekommissars verwendet werde. Diese gründe sich zum einen auf mögliche Haftungsrisiken hinsichtlich der unkontrollierten Verbreitung der Ware; zum anderen auf Obliegenheiten gegenüber dem Transportversicherer (Beweissicherung, Feststellung Restwertes) (RdNr. 19). Dies zugrunde gelegt hatte A jedenfalls bis zum Abschluss der Prüfung ein objektives Interesse an der Ware und es liegt kein mutmaßliches Einverständnis vor. P hat durch die Mitnahme des Käses As Gewahrsam gebrochen, den Käse also weggenommen. Das OLG verglich die Konstellation mit dem Absperren eines Containerns mit nicht mehr verkaufsfähigen Lebensmitteln, wo die Rechtsprechung ebenfalls ein Einverständnis ablehnt.

7. Unterlag P hinsichtlich des mutmaßlichen Einverständnisses einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtums?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestandes (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Nicht vorsätzlich handelt, „wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört” (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Beispielsweise befindet sich der Täter, der irrtümlich davon ausgeht, das erforderliche tatbestandsausschließende Einverständnis liege vor, in einem solchen vorsatzausschließendem Irrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. P wusste, dass die Prüfung durch den Havariekommissar noch nicht abgeschlossen war. Ihm waren somit die objektiven Umstände, die ein fortbestehendes Interesse der A verdeutlichten, bekannt, sodass er nicht von einem mutmaßlichen Einverständnis ausgehen durfte. Auch im Übrigen handelte er vorsätzlich und mit (Dritt-) Zueignungsabsicht, rechtswidrig und schuldhaft. Irrt der Täter nur über die „Erlaubtheit“ seines Handelns, kommt noch der Erlaubnisirrtum (§ 17 StGB) in Betracht. Dieser stellt aber nur ausnahmsweise bei Unvermeidbarkeit einen Schuldausschließungsgrund dar und führt sonst allenfalls zur Strafmilderung.

8. P hat während eines Diebstahls seine Dienstpistole bei sich geführt, sodass er auch die Qualifikation des Diebstahls mit Waffen verwirklicht haben könnte (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 1 StGB).

Ja!

Waffen sind Gegenstände, die objektiv gefährlich sind und ihrer Art nach zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen generell geeignet und bestimmt sind. Dies sind insbesondere Schusswaffen. Ein Beisichführen liegt vor, wenn dem Täter das Tatmittel während des Tathergangs zur Verfügung steht, d.h. es sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er es jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten benutzen kann (räumliche Komponente). Die Dienstpistole des P ist eine Waffe im technischen Sinne. Diese hat er am Körper getragen und somit bei sich geführt.

9. Nach der herrschenden Auffassung sind Berufswaffenträger aber vom Tatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB ausgenommen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Lediglich nach einem Teil der Literatur ist der Tatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB bei zum Waffentragen verpflichteten Tätern teleologisch zu reduzieren. Begründet wird dies damit, dass bei dieser Tätergruppe der vermutete Gefährlichkeitszusammenhang zwischen dem Beisichführen einer Waffe und der Tat nicht gegeben sei. Insofern liefe der Charakter des § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt bei Berufswaffenträgern mangels einer besonderen Beziehung der Waffe zur Tat leer. Als Polizist ist P Berufswaffenträge und hätte deshalb nach einem Teil der Literatur bereits den Tatbestand des Deibstahls mit Waffen nicht erfüllt (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB).

10. Nach der h.M. hat P dagegen auch die Qualifikation des Diebstahls mit Waffen verwirklicht (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Die h.M. bejaht mit der Rspr. einen Diebstahl mit Waffen auch bei zum Tragen verpflichteten Tätern. Der Tatbestand biete gerade keine Kriterien zur Unterscheidung von denjenigen, die ihre Waffen legal tragen und denen, die dies illegal tun. Auch eine (abstrakte) Gefährlichkeit bliebe gleich. Denn auch etwa ein Polizist könne durch plötzlich auftretende Probleme zum Einsatz der Schusswaffe verleitet werden. Allerdings fordert der BGH, dass der Täter das Tatmittel „bewusst gebrauchsbereit” bei sich führt. Insofern muss also auch dem Berufswaffenträger im Zeitpunkt der Tatbegehung bewusst sein, dass er eine Waffe bei sich trägt. P trug seine Dienstpistole bei der Tat. Folgt man der h.M. hat P sich wegen Diebstahls mit Waffen strafbar gemacht. Für die Bejahung des Vorsatzes genügt entsprechend das „sachgedankliche Mitbewusstsein”.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Johannes Nebe

Johannes Nebe

23.4.2024, 20:51:19

Die Frage nach dem mutmaßlichen Einverständnis passt nicht exakt zur Antwort. Gefragt ist, ob die Strafbarkeit AUSSCHEIDET, wenn ein mutmaßliches Einverständnis vorliegt. In der Antwort steht dann, dass die Strafbarkeit unter diesem Gesichtspunkt entfallen KANN.

LELEE

Leo Lee

24.4.2024, 13:01:15

Hallo Johannes Nebe, vielen Dank für den wichtigen Hinweis! In der Tat ist die Fragestellung mit dem „absoluten“ Ton insofern unpassend zur Antwort, als die Strafbarkeit lediglich – im Gutachtenstil – ausscheiden „kann“. Wir haben diesen Fehler nun korrigiert, damit keine Missverständnisse mehr passieren können! Wir danken die vielmals dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Johannes Nebe

Johannes Nebe

24.4.2024, 13:03:07

Herzlichen Dank, Leo Lee!

LELEE

Leo Lee

24.4.2024, 13:04:18

Sehr gerne :)!


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