Ablehnung des Kollegialgerichts, § 26a StPO

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird erstinstanzlich vor dem Schöffengericht verurteilt. Nach Beginn der Beweisaufnahme hatte A „die Richter V, W und X” abgelehnt, da er sie von Anfang an für befangen hielt. Das Gesuch wurde als unzulässig verworfen. Es richte sich „gegen das Gericht als Ganzes”.

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Einordnung des Falls

Ablehnung des Kollegialgerichts, § 26a StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da alle Richter abgelehnt wurden, durften sie über das Ablehnungsgesuch nicht selbst entscheiden (§ 26a Abs. 2 S. 1 StPO). Schon deshalb hat As Revision Erfolg.

Nein!

Über die Verwerfung als unzulässig, die hier vorgenommen wurde, entscheidet das Gericht (§ 26a Abs. 1 StPO), ohne dass der abgelehnte Richter oder in diesem Fall die abgelehnten Richterinnen und Richter ausscheiden. Nur wenn das Gericht in die inhaltliche Prüfung des Gesuchs eintritt, darf der abgelehnte Richter nicht mitwirken (§ 27 Abs. 1 StPO). Da sie hier das Gesuch noch nicht in sachlicher Hinsicht prüften, durften die Richter mitwirken.
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2. Der Katalog der Verwerfungsgründe in § 26a Abs. 1 StPO ist abschließend.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unzulässig ist das Ablehnungsgesuch nach § 26a Abs. 1 StPO, wenn: (1) es nicht rechtzeitig angebracht wurde (§ 25 StPO), (2) nicht begründet und glaubhaft gemacht wurde (§§ 25 Abs. 1 S. 2, 26 Abs. 2 StPO) oder (3) das Gesuch nur zur Verfahrensverschleppung oder aus verfahrensfremden Zwecken erhoben wurde. Zwar ist § 26a StPO eng auszulegen. Die Verwerfungsgründe sind aber nicht abschließend. Unzulässig ist darüber hinaus auch die Ablehnung des Gerichts als Ganzes oder eines Richters, der mit der Sache noch nicht oder nicht mehr befasst ist.Keine Sorge: Die eng begrenzten Ausnahmen findest du in der Kommentierung des Meyer-Goßner zu § 26a StPO (RnNr. 1).

3. Das Gericht lehnte As Ablehnungsgesuch zurecht als unzulässig ab, da A das Gesuch gegen das Gericht als Ganzes richtete (§§ 26a, 338 Nr. 3 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Unzulässig nach § 26a Abs. 1 StPO ist auch die Ablehnung des Gerichts als Ganzes. Denn auch in diesem Fall liegt ein bloß formaler Fehler vor, ohne dass der abgelehnte Richter als „Richter in eigener Sache” prüft. Der Zweck der Verfahrensvereinfachung erlaubt es deshalb, die eng begrenzte Ausnahmevorschrift des § 26a Abs. 1 StPO auch in diesem Fall anzuwenden.Zwar kann das Kollegialgericht als solches nicht abgelehnt werden (Ablehnung der „Kammer” oder des „Senats”). Es ist aber zulässig, einzelne Richter in einem zusammenfassenden Gesuch - auch aus demselben Grund - abzulehnen. Dies tut A hier.„Ungeschickt” formulierte Anträge sind daher auch zunächst dahingehend auszulegen, ob nicht doch eine Ablehnung der einzelnen Richter vorliegt.

4. Das Ablehnungsgesuch wurde allerdings zu spät angebracht (§ 26a Abs. 1 Nr. 1, 25 StPO).

Ja!

Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters auch als unzulässig, wenn die Ablehnung verspätet ist (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Die Frist zur Ablehnung richtet sich nach § 25 StPO (lesen!). Sie ist in erster Instanz bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse möglich (§ 25 Abs. S. 1 StPO). Werden die Umstände, die die Befangenheit begründen, erst später bekannt, ist die Ablehnung unverzüglich geltend zu machen.A hielt die Richter und Schöffen des Gerichts von Anfang an für befangen. Damit musste er das Gesuch bis zum Beginn seiner Vernehmung anbringen. Da er erst nach Beginn der Beweisaufnahme (§ 244 Abs. 1 StPO) das Ablehnungsgesuch stellte, war es verspätet.

5. Das Tatgericht hätte die Verwerfung des Gesuchs auf die Verspätung stützen können. Kann das Revisionsgericht die Verwerfungsgründe einfach austauschen?

Genau, so ist das!

Zwar wurde das Gesuch vom Tatgericht mit der Begründung, es richte sich gegen das Gericht als Ganzes, mit Unrecht verworfen. Dem Revisionsgericht steht es aber frei, die Begründung auszutauschen, wenn ein anderer Verwerfungsgrund des § 26a StPO vorliegt. Dann ist das Gesuch nicht „zu Unrecht verworfen” im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO und die Revision hat trotz des Fehlers des Tatgerichts keinen Erfolg.Diesen Weg kann das Revisionsgericht hier gehen. Da As Gesuch als verspätet hätte verworfen werden können, liegt kein revisibler Verfahrensfehler vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JAS

Jasper

4.6.2024, 15:00:42

ein Beispiel für die Ablehnung des Gerichts als ganzes wäre hilfreich. ich kann mir darunter nichts vorstellen, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers nicht darunter fallen sollen

EN

Entenpulli

22.8.2024, 14:19:42

Das meint wohl einen Antrag, der sich nicht auf die Personen selbst bezieht. zB mit der Begründung, dass ein Freiburger Gericht auf Grund der klimafreundlichen Politik per se Autofahrer zu streng verurteile. Das Gegenbeispiel wäre dann, wenn dieses Gericht ausschließlich mit Personen besetzt wäre, die ihren Hass gegenüber Autofahrern vehement und wiederholt offensiv in der Öffentlichkeit kundgetan haben.


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