Unzuständigkeit des Gerichts, § 338 Nr. 4 StPO - Grundfall

17. April 2025

8 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A lauert B auf dessen Abendspaziergang auf und sticht den unbekümmerten B hinterrücks nieder. B verstirbt. Im Prozess vor der großen Strafkammer rügt A rechtzeitig, aber erfolglos, das Schwurgericht sei zuständig. A wird wegen Mordes (§ 211 StGB) verurteilt.

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Einordnung des Falls

Unzuständigkeit des Gerichts, § 338 Nr. 4 StPO - Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vorliegend war das Landgericht für die Anklage wegen Mordes (§ 211 StGB) erstinstanzlich zuständig (§ 74 Abs. 1 GVG).

Genau, so ist das!

Das Landgericht ist erstinstanzlich zuständig für alle Verbrechen, die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gehören (§ 74 Abs. 1 GVG).Mord ist mit der lebenslangen Freiheitsstrafe bedroht und damit ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). Die Amtsgerichte sind bei Verbrechen nur zuständig, wenn eine Strafe von bis zu vier Jahren erwartbar ist (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Es ist auch nicht ersichtlich, dass hier eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründet sein könnte (§ 120 Abs. 2 GVG). Damit ist die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts gegeben.
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2. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, weil die große Strafkammer hier nicht als Schwurgericht verhandelte (§§ 74 Abs. 2, 74e GVG).

Ja, in der Tat!

Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn die Sache rechtsfehlerhaft vor einem Gericht niederer Ordnung im Sinne des § 74e GVG eröffnet wurde. Die Schwurgerichtskammer ist gegenüber der allgemeinen Strafkammer ein Gericht höherer Ordnung im Sinne der Vorrangregelung des § 74e GVG.Für das Verbrechen des Mordes (§ 211 StGB) ist das Schwurgericht zuständig (§ 74 Abs. 2 Nr. 3 GVG). Die Verhandlung vor der großen Strafkammer, stellt somit einen Verfahrensverstoß dar (§ 74e GVG).§ 74e GVG dient der Vermeidung von Kompetenzkonflikten der grundsätzlich als gleichrangig angesehenen Strafkammern des Landgerichts.

3. Nach § 338 Nr. 4 StPO wird vermutet, dass das Urteil auf der fehlerhaften Zuständigkeitsannahme beruht.

Ja!

Wird das Verfahren vor einem Gericht niederer Ordnung im Sinne des § 74e GVG eröffnet, hat das Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen. Damit wird unwiderleglich vermutet, dass das Urteil auf dieser fehlerhaften Zuständigkeitsannahme beruht (§ 338 Nr. 4 StPO). Weil die fehlende sachliche Zuständigkeit schon ein Verfahrenshindernis darstellt, hat § 338 Nr. 4 StPO insoweit keine Bedeutung mehr. Die Norm bleibt aber relevant für Fälle der fehlenden örtlichen und funktionellen Zuständigkeit.

4. Das Urteil wird infolge des Fehlers aufgehoben und an eine andere große Strafkammer zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Wurde das Verfahren vor einem Gericht niederer Ordnung im Sinne des § 74e GVG abgeurteilt, so ist das Urteil aufzuheben und die Sache nach § 355 StPO analog an die zuständige Strafkammer, hier das Schwurgericht, zurückzuverweisen. Es besteht insoweit eine Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage mit den Fällen des § 355 StPO, da die Zurückverweisung an eine andere große Strafkammer nach § 354 Abs. 2 StPO ja wiederum bedeuten würde, dass das Verfahren bei einer funktionell unzuständigen Kammer anhängig wäre.

5. Die besondere Zuständigkeit des Schwurgerichts muss während des gesamten Strafverfahrens von Amts wegen berücksichtigt werden.

Nein!

Zwar hat das Gericht seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (§ 6 StPO). Die funktionelle Zuständigkeit des Schwurgerichts anstelle einer „normalen“ großen Strafkammer) ist davon zu unterscheiden. Diese besondere Zuständigkeit des Schwurgerichts prüft das Gericht nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen (§ 6a S. 1 StPO, § 74 Abs. 2 GVG). Anschließend ist sie vom Angeklagten zu rügen (§ 6a S. 2, 3 StPO). Die besondere Zuständigkeit des Schwurgerichts muss nur bis zu Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen berücksichtigt werden. Es handelt sich damit bei der Zuständigkeit des Schwurgerichts insbesondere nicht um eine originäre Frage der sachlichen Zuständigkeit. Sie stellt daher auch kein Verfahrenshindernis dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ri

ri

17.3.2024, 15:22:50

Ich verstehe hier die Falllösung nicht oder habe etwas nicht verstanden. § 338 Nr. 4 erfasst, soweit ich weiß nur die Fälle der sachlichen Unzuständigkeit und nicht die der funktionellen oder örtlichen. Bei der Abgrenzung

Schwurgericht

oder

große Strafkammer

geht es aber um die funktionelle Zuständigkeit und § 338 Nr. 4 wäre meines Erachtens nicht anwendbar, sondern § 337 I, 6a StPO.

ri

ri

17.3.2024, 15:26:09

Nein ok, ich habe es durcheinander gebracht. Die sachliche Zuständigkeit ist bereits Verfahrensvoraussetzung und § 338 Nr. 4 erfasst die örtliche und funktionale Zuständigkeit und gerade nicht die sachliche Zuständigkeit, sorry für die Verwirrung.

sy

sy

30.1.2025, 17:41:21

aber so habe ich es auch verstanden, es wäre hier ein Verfahrenshindernis aufgrund der falschen sachlichen Zuständigkeit. § 338 Nr. 4 betrifft die örtliche. Und selbst wenn auch ich es falsch verstanden habe, wieso wird hier dann jedenfalls nicht auch über die Frage des Verfahrenshindernisses als zustätzlichen Punkt gesprochen ? Oder stehe ich hier aufm schlauch? wenn angenommen wird, dass hier de Unzuständigkeit aufgrund der gleichrangigkeit der Spruchkörper angenommen wird (und vorher nach § 16 S. 3 StPO rechtzeitig dies gerügt wurde), wäre es dann ein Fehler auch im Sinne der Verfahrenshindernisse die Thematik angesprochen zu haben ?

2cool4lawschool

2cool4lawschool

13.2.2025, 18:14:17

Ich stimme dir zu @[sy](30718). Ich kapiere auch nicht, wieso dieser Fall unter 338 Nr. 4 StPO gefasst wird. Das wäre Mmn ein Verfahrenshindernis. @[Sebastian Schmitt](263562) Hier stimmt was nicht oder?

2cool4lawschool

2cool4lawschool

13.2.2025, 18:17:23

Hey @[sy](30718), genau das habe ich mir auch gedacht. Habe jetzt 338 Nr. 4 StPO immer so eingeordnet, dass sich dieser auf die örtliche Zuständigkeit bezieht. @[Sebastian Schmitt](263562) wäre das hier nicht ein Verfahrenshindernis das vAw zu prüfen wäre?

2cool4lawschool

2cool4lawschool

13.2.2025, 18:25:09

hey @[sy](30718), der 338 Nr. 4 hat in der Tat Bedeutung verloren im Hinblick auf die sachliche Zuständigkeit, so zB wenn wir AG Amtsrichter und AG

Schöffengericht

haben. Die Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts handeln wir dann im Verfahrenshindernis und in der Sachrüge ab. Neben der örtlichen Zuständigkeit umfasst der § 338 Nr. 4 aber noch die "besondere Zuständigkeit gleichrangiger" Gerichte, also zB das

Schwurgericht

, Wirtschaftsstrafkammer und die Staatsschutzkammer. Diese besonderen Strafkammern sind in 74e GVG geregelt. Das Verhältnis

große Strafkammer

und

Schwurgericht

ist damit nicht identisch zum Verhältnis AG

Strafrichter

und

Schöffengericht

. Hoffe, es wird dadurch klarer. @[Sebastian Schmitt](263562) eine Erklärung in der Aufgabe dazu wäre noch super :)

2cool4lawschool

2cool4lawschool

13.2.2025, 18:27:33

übrigens: s. M/G, § 338, Rn. 30 :)

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

14.2.2025, 11:34:23

Hallo @[sy](30718), @[ri](98845) hat sich hier schon völlig richtig selbst korrigiert. Die (fehlende) Zuständigkeit einer großen Strafkammer als

Schwurgericht

ist keine Frage der sachlichen Zuständigkeit und dementsprechend kein Verfahrenshindernis, sondern eine Frage der funktionellen Zuständigkeit, wobei die Vorgaben des § 6a StPO zu berücksichtigen sind. Die ggf erforderliche Rüge des Angeklagten richtet sich dann nicht nach § 16 I S 3 StPO (der nur für die örtliche Zuständigkeit gilt), sondern nach der entsprechenden Regelung in § 6a S 3 StPO. Man kann das sicher iRd Verfahrenshindernisse kurz ansprechen. Ich wäre hier aber doch eher zurückhaltend, weil für Praktiker recht klar sein dürfte, dass wir es iE nicht mit einem Verfahrenshindernis zu tun haben. IRv § 338 Nr 4 StPO kommt man dann ja ohnehin näher auf die Zuständigkeit des

Schwurgericht

s zu sprechen. Das restliche Zusammenspiel hat @[2cool4lawschool](265024) inhaltlich schon gut erläutert. Wir haben die Aufgabe jetzt ergänzt und gehen insbesondere auf § 6a StPO und die Frage des Verfahrenshindernisses näher ein. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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