Strafrecht

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Entscheidungen von 2024

„Vermögensverlust großen Ausmaßes“ gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB beim Versuch? (BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 107/24)

„Vermögensverlust großen Ausmaßes“ gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB beim Versuch? (BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 107/24)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A will in einem Autohaus eine Probefahrt machen und das Auto (Wert: € 90.000) später nicht zurück bringen, sondern behalten. Gegenüber Verkäufer V gibt sie sich als interessierte Kundin aus. V begleitet A allerdings auf der Probefahrt. A kann ihren Plan nicht in die Tat umsetzen.

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Einordnung des Falls

„Vermögensverlust großen Ausmaßes“ gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB beim Versuch? (BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 107/24)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte sich wegen Betrugs strafbar gemacht haben, indem sie V vorspiegelte, sie wolle ein Auto kaufen (§§ 263 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB sind: (1) Täuschung über Tatsachen (2) Täuschungsbedingter Irrtum (3) Irrtumsbedingte Vermögensverfügung (4) Verfügungsbedingter Vermögensschaden A müsste zudem vorsätzlich, mit Bereicherungsabsicht, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.
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2. A hat V gegenüber vorgespiegelt, sie sei eine „normale“ Kundin und interessiert daran, ein Auto zu kaufen. Reicht das, um eine Täuschung über Tatsachen anzunehmen?

Ja!

Eine Täuschung ist das bewusste Einwirken auf das Vorstellungsbild des Getäuschten zur Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums. Tatsachen sind Vorgänge der Gegenwart oder der Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Dazu gehören neben den äußeren auch sog. innere Tatsachen (Gedanken, Wissen, Absichten).A hat so getan, als wollte sie ein Auto kaufen. Tatsächlich hatte sie das aber nie vor, sondern wollte das Auto lediglich bei der Probefahrt entwenden. A hat damit über ihre Absichten und somit über eine innere Tatsache getäuscht.

3. V hat A geglaubt und ist so einem Irrtum unterlegen. Wirkt es sich unmittelbar vermögensmindernd aus, dass er A von ihm begleitet das Auto zur Probe fahren ließ?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der täuschungsbedingte Irrtum müsste zu einer Vermögensverfügung des Getäuschten geführt haben. Eine Vermögensverfügung ist jedes freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Hier lohnt sich eine saubere Argumentation, um zum Trickdiebstahl abzugrenzen. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Gewahrsamsinhaber dem Täter aufgrund der Täuschung eine eigene, generelle Herrschaftsspähre über die Sache einräumen wollte (= Vermögensverfügung) oder seine eigene Zugriffsmöglichkeit bewahren wollte (= lediglich Gewahrsamslockerung). V ist mit A gemeinsam im Auto gefahren. Er wollte und hat A dabei nicht den alleinigen Gewahrsam am Auto überlassen. V hat nicht über Vermögen verfügt. A hat sich nicht nach § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.Anders läge der Fall, wenn V der A das Auto zur Probefahrt ohne Begleitung überlassen hätte. Diese geht über eine reine Gewahrsamslockerung hinaus (BGH, 4 StR 458/00), sodass eine Vermögensverfügung vorläge.

4. A könnte sich aber wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht haben, indem sie V vorspiegelte, sie wolle ein Auto kaufen (§§ 263 Abs. 1, 22, 23 StGB).

Ja, in der Tat!

Dafür müsste die Vorprüfung ergeben, dass die Tat nicht vollendet und der Versuch des Delikts strafbar ist. Dann müsste A mit Tatentschluss unmittelbar zur Tat angesetzt haben. Zudem müsste sie rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben und dürfte nicht mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten sein.

5. Handelte A mit Tatentschluss bezüglich der Verwirklichung des Tatbestands von § 263 Abs. 1 StGB?

Ja!

Die Täterin handelt mit Tatentschluss, wenn sie Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale hat und eventuell bestehende deliktsspezifische subjektive Tatbestandsmerkmale erfüllt.A gab sich gegenüber V als interessierte Kundin aus, damit dieser ihr das Auto für eine Probefahrt überließe. Dabei wollte sie dann mit dem Auto wegfahren, um es behalten zu können. A handelte damit vorsätzliche bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale und mit Bereicherungsabsicht.

6. Weiterhin müsste A unmittelbar zur Tat angesetzt haben. Könnte A dies dadurch getan haben, dass sie kommunikativ auf V eingewirkt hat?

Genau, so ist das!

Ein unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.A hat sich gegenüber V als „normale” Käuferin ausgegeben, um ihn so dazu zu bringen, ihr das Auto für eine Probefahrt zu geben. Sie wollte so erreichen, dass V ihr schon kurze Zeit später das Auto zur Probefahrt ohne Aufsicht überließe. A hat damit unmittelbar zur Tat angesetzt.

7. Im Ergebnis scheidet eine Strafbarkeit der A wegen versuchten Betruges strafbar dennoch aus (§§ 263 Abs. 1, 22, 23 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

A handelte rechtswidrig und schuldhaft. Sie ist auch nicht mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten. A hat sich damit wegen versuchten Betruges strafbar gemacht.

8. A könnte sich zudem wegen versuchten Betruges in besonders schwerem Fall strafbar gemacht haben (§§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22, 23 StGB).

Ja!

Dafür müsste A einen versuchten Betrug begagnen haben und dabei das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (Vermögensverlust großen Ausmaßes) verwirklicht haben.

9. Wäre ein tatsächlich eingetretener Vermögensschaden beim Autohaus von € 90.000 ein Vermögensverlust großen Ausmaßes im Sinne des § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB?

Genau, so ist das!

Ein Vermögensverlust großen Ausmaßes liegt vor, wenn die Höhe der Schadensverursachung außergewöhnlich hoch ist. Das Ausmaß ist dabei opferbezogen zu bestimmen. Es kommt bei der Bestimmung also auf den Verlust des Opfers, nicht auf den Gewinn des Täters an. Der Schaden muss laut BGH aber bei mindestens € 50.000 liegen (BGH NStZ 2004, 155).Der Wert des Pkw liegt bei € 90.000. Es ist davon auszugehen, dass auch für ein Autohaus ein Schaden in dieser Höhe außergewöhnlich hoch ist. Zudem ist die Mindestgrenze der Rspr. bei weitem überstiegen.

10. Tatsächlich konnte A ihren Plan nicht umsetzen, der Schaden ist nicht eingetreten. A hat diesen Verlust aber angestrebt. Reicht das, um eine Versuchsstrafbarkeit nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22, 23 StGB zu begründen?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem Wortlaut des Gesetzes („herbeiführt”) ist für den besonders schweren Fall notwendig, dass der Verlust großen Ausmaßes tatsächlich eingetreten ist. Die ständige Rspr. lehnt deswegen eine Strafbarkeit wegen versuchten Betruges in besonders schwerem Fall ab, wenn ein Vermögensverlust großen Ausmaßes im Rahmen des Versuchs lediglich angestrebt wurde. A hat sich daher nicht nach §§ 263 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alt. 1, 22, 23 StGB, sondern „nur“ nach §§ 263 Abs. 1, 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SUE0412

Sue0412

8.11.2024, 21:50:17

Hallo zusammen, verstehe ich das richtig, dass das Ergebnis dieses Falles jetzt nur eine Strafbarkeit wegen versuchten Betrugs ist und ein besonders schwerer Fall nicht vorliegt? Falls dem so ist, dann verstehe ich die letzte Subsumtion nicht so recht🫣.. Also genauer gesagt die Paragraphenkette.. Es ist die gleiche Paragraphenkette und dann wird einmal die Strafbarkeit verneint und dann wiederum die Strafbarkeit nach derselben Paragraphenkette bejaht. Wie kann das denn sein..? Kann mir jemand eventuell hier weiter helfen? Vielen Dank vorab und liebe Grüße Sue

LO

Lorenz

9.11.2024, 12:32:32

Ich denke, dass allein die Paragraphenkette falsch ist. Der Rest passt.

LELEE

Leo Lee

10.11.2024, 05:16:04

Hallo Sue0412 und Lorenz, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen, weshalb wir den Text nunmehr entsprechend korrigiert haben. Wir möchten uns bei dir vielmals dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

NI

Nils

12.11.2024, 09:53:05

Wird hier in dem Überlassen zur Probefahrt die Vermögensverfügung gesehen, weil mich die Konstellation eher an den Trickdiebstahl erinnert.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

15.11.2024, 09:42:35

Hey Nils, danke für die gute Nachfrage! In der Tat sollte man hier in der Klausur sauber arbeiten und deutlich machen, dass es hier besonders auf die Abgrenzung zwischen der Vermögensverfügung und der Wegnahme ankommt. Ein Trickdiebstahl wäre dann zu bejahen, wenn die Täuschung der Täterin lediglich zu einer

Gewahrsamslockerung

beim Opfer geführt hätte und diese

Gewahrsamslockerung

wiederum die spätere Wegnahme (=

Gewahrsamsbruch

) ermöglicht hätte. Hier kommt es auf eine wertende Betrachtung des Einzelfalls, insbesondere auf die Vorstellung / den Willen des Gewahrsamsinhabers (nach der Verkehrsanschauung) an. Hierbei kann man folgende Differenzierung vornehmen: Billigung des Gewahrsamsverlusts vs.

Gewahrsamslockerung

. Die Billigung des Gewahrsamsverlust (= Vermögensverfügung) ist zu bejahen, wenn der Gewahrsamsinhaber einverstanden damit das, dass der Gegenstand in eine generelle Herrschaftssphäre des Täters sowie in eine

Gewahrsamsenklave

des Täters verbracht wird. In diesem Fall geht die Zugriffsmöglichkeit des Berechtigten mit seinem (möglicherweise täuschungsbehafteten) Willen vollständig verlustig. Hier also: Kein Trickdiebstahl, sondern Betrug. Demgegenüber verbleibt es bei einer bloß zugestandenen

Gewahrsamslockerung

, wenn der Gegenstand in der eigenen generellen Herrschaftssphäre des bisherigen Gewahrsamsinhabers verbleiben oder eine Zugriffsmöglichkeit (z.B. infolge Sichtkontakt, Wissen um Verbleib) bestehen bleiben soll (z.B. Täter täuscht vor, nur einen Anruf mit dem Mobiltelefon des Opfers tätigen zu wollen und der Täter steckt es ein). Die (unbegleitete) Probefahrt geht aber über eine

Gewahrsamslockerung

hinaus, denn hier wird die Zugriffsmöglichkeit auf das Auto bewusst aufgegeben. So auch die Rspr. des BGH: BGH 4 StR 458/00, Beschl. v. 12. Dezember 2000. Siehe auch BGHR, § 263 Abs. 1, RdNr. 15 (nachzulesen auch bei Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30.A. 2019): „Wird ein Autohändler dagegen unter Vorspiegelung eines Kaufinteresses veranlasst, ein Fahrzeug zu einer Probefahrt zu ver

leihe

n, um es dann veräußern zu können, liegt Betrug vor, weil die Verleihung eine zum Besitzverlust führende Vermögensverfügung darstellt und nicht nur eine

Gewahrsamslockerung

.“ In der Klausur im ersten Examen ist es vor allem wichtig, dass Du dieses Problem erkennst und weißt, wie Du hier argumentieren musst. Es kann natürlich hilfreich sein, die einschlägige BGH Rspr. zu kennen, aber viel wichtiger ist die eigene Argumentation. Also keine Sorge, wenn Du im Ergebnis mal nicht der Rspr. folgst. Anders natürlich im zweiten Examen, hier hilft dann aber der Kommentar! :) Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

PAT

Patrycia

12.11.2024, 13:37:44

Ist sie wegen Versuchs strafbar weil der Versuch fehlgeschlagen ist?


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