+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
F rast mit seinem PKW auf einer gesperrten Straße in einen Karnevalsumzug, um eine große Zahl an Menschen zu töten. Er führt bewusst viele Lenkmanöver aus, um möglichst viele Personen zu treffen. 88 Personen verletzen sich infolge des Zusammenstoßes mit dem Wagen bzw. durch vom Wagen umhergewirbelte Gegenstände.
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F könnte sich wegen versuchten Mordes strafbar gemacht haben, indem er seinen Wagen in den Rosenmontagsumzug lenkte (§§ 211, 22, 23 Abs. 1).
Ja, in der Tat!
Eine Versuchsstrafbarkeit setzt voraus, dass der Täter mit
(1) Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung
(2) unmittelbar ansetzt,
(3) rechtswidrig und schuldhaft handelt und
(4) nicht strafbefreiend zurückgetreten ist.
Mörder ist, wer rechtswidrig und schuldhaft einen anderen Menschen tötet und dabei mindestens ein Mordmerkmal erfüllt (§ 211 Abs. 2 StGB).
Sofern zuvor nicht bereits der vollendete Mord angeprüft und abgelehnt wurde, ist zu Beginn der Prüfung des Versuchs kurz festzustellen, dass F nicht wegen vollendeten Mordes strafbar ist und das unvollendete Delikt im Versuch strafbar ist. Mord ist ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB), der Versuch ist daher stets strafbar (§ 23 Abs. 1 StGB).
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2. F hatte Tatentschluss hinsichtlich des Todes anderer Menschen.
Ja!
Tatentschluss umfasst den Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie eventuell vorliegende deliktsspezifische subjektive Merkmale.
Es war das erklärte Ziel von F durch seine Fahrt möglichst viele Menschen zu töten. Er handelte somit vorsätzlich hinsichtlich der Tötung anderer Personen.
3. Beim versuchten Mord ist der Tatentschluss nur in Bezug auf die Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe zu prüfen (subjektive Merkmale).
Nein, das ist nicht der Fall!
Beim versuchten Mord werden alle Mordmerkmale im Tatentschluss geprüft. Dieser umfasst den Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Merkmale und somit auch die Mordmerkmale, die bei einem vollendeten Delikt im objektiven Tatbestand geprüft würden.
Die Prüfung der Tatbestandsmerkmale erfolgt bei der Versuchsprüfung rein subjektiv. Zu prüfen ist, ob sie verwirklicht wären, wenn die Vorstellung des Täters wahr geworden wäre.
4. Der Tatentschluss bezüglich einer Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln scheidet bereits deshalb aus, weil ein Auto seiner Natur nach grundsätzlich nicht gemeingefährlich ist.
Nein, das trifft nicht zu!
Gemeingefährlich ist ein Tötungsmittel, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Zahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Es ist also insbesondere auf die Eignung und Wirkung des Mittels in der konkreten Situation abzustellen. Das Mordmerkmal ist also auch dann erfüllt, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, das seiner Natur nach nicht gemeingefährlich ist (z.B. ein Auto). Maßgeblich ist allein die Eignung des Mittels zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation. 5. F hatte Tatentschluss bezüglich einer Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln.
Ja!
Abzugrenzen ist die Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel von einer „schlichten“ Mehrfachtötung. Letztere liegt vor, wenn sich ein Täter gegen eine Mehrzahl individualisierter Opfer richtet und keine Zufallsopfer in Kauf nimmt.
BGH: Es wäre F zwar darauf angekommen, möglichst viele Personen zu töten, und er habe durch die Lenkmanöver seine Tötungsabsicht auf die Personen in seinem Fahrweg individualisiert. F habe darüber hinaus aber auch bewusst in Kauf genommen, dass Personen außerhalb seines Fahrwegs durch umherfliegende Gegenstände in Lebensgefahr geraten würden. Er habe keine Kontrolle darüber gehabt, welche der sich nur in der Nähe des Fahrweges befindlichen Personen in Lebensgefahr geraten würden (RdNr. 9ff.).
6. F hatte zudem Tatentschluss bezüglich eines Heimtückemordes.
Genau, so ist das!
Heimtückisch handelt, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist, wer sich zu Beginn des Angriffs keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. Wehrlos ist, wer infolgedessen in seiner Verteidigung eingeschränkt ist.
In Fs Vorstellung haben die Fußgänger im abgesperrten Bereich nicht mit einem Angriff gerechnet. Sie waren somit arglos und infolgedessen wehrlos. Dies hatte F bewusst ausnutzen wollen.
7. Hat F unmittelbar zur Tat angesetzt?
Ja, in der Tat!
Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv - unter Zugrundelegung seiner Vorstellung - Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.
Indem F durch die Menge fuhr, hat er bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung selbst begonnen. Er hat unmittelbar angesetzt. Zudem handelte er rechtswidrig und schuldhaft. Er ist nicht strafbefreiend zurückgetreten und deshalb strafbar wegen versuchten Mordes nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1, Var. 3 StGB.
8. Eine Strafbarkeit nach § 315b StGB scheidet aus, da dieser ausschließlich für Eingriffe von außen in den Straßenverkehr gilt.
Nein!
Grundsätzlich soll § 315b StGB verkehrsfremde Eingriffe unterbinden. Das meint solche Verhaltensweisen, die von außen her die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs beeinträchtigen, indem sie diesen in seinem ungestörten, geregelten Ablauf gefährden. Nur ausnahmsweise werden innerhalb des Verkehrs vorgenommene Eingriffe einbezogen und zwar, wenn der Verkehrsteilnehmer den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr „pervertiert“ (sog. verkehrsfeindlicher Inneneingriff).
§ 315b Abs. 1 StGB setzt im objektiven Tatbestand voraus:
(1) einen Eingriff (Nr. 1-3), der
(2) für die Sicherheit des Straßenverkehrs (abstrakt) gefährlich ist und
(3) sich zu einer konkreten Gefährdung für eines der Schutzobjekte verdichtet.
9. Hat F einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgenommen?
Genau, so ist das!
Grundsätzlich gilt § 315b StGB nur für verkehrsfremde Eingriffe. Im Falle eines verkehrsfeindlichen Inneneingriff wird die Sperrwirkung jedoch durchbrochen.
Ein solcher verkehrsfeindlicher Inneneingriff erfordert, dass objektiv durch grobe Einwirkung von einigem Gewicht und subjektiv in verkehrsfeindlicher Absicht in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingegriffen wird. Dies ist gegeben, wenn ein Pkw als Waffe oder Schadenswerkzeug zweckentfremdet wird. Zudem muss nach st. Rspr. (mindestens bedingter) Schädigungsvorsatz hinzukommen.
F hat den Pkw nicht primär als Fortbewegungsmittel eingesetzt, sondern ihn absichtlich mit Schädigungsvorsatz dazu eingesetzt, Personen anzufahren. Dieses Verhalten steht an Bedeutung und Gefährlichkeit den anderen Tatmodalitäten gleich, sodass eine Pervertierung zu einem ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff (§ 315b Abs.1 Nr. 3 StGB) vorliegt.
10. F hat damit die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt (§ 315b Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
„Zwischenerfolg“ des § 315b StGB ist die (abstrakte) Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese ist eingetreten, wenn der Eingriff sich störend auf Verkehrsvorgänge auswirkt und so zu einer Steigerung der allgemeinen Verkehrsgefahr führt. Der „Straßenverkehr“ umfasst jegliche Verkehrsformen im öffentlichen Straßenraum. Dieser umfasst auch Fahrradfahrer sowie Fußgänger.
Obgleich die Straße für PKW gesperrt war, ist sie Teil des Straßenverkehrs. Durch das Hineinrasen hat F die sich dort befinden Fußgänger derart gestört, dass sich die allgemeine Verkehrsgefahr für diese signifikant erhöht hat.
11. Es fehlt aber an der notwendigen konkreten Gefährdung eines der Schutzobjekte.
Nein!
Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn es zu einer Schädigung oder einem Beinahe-Unfall kommt. Dem Schutzzweckzusammenhang ist im Straßenverkehr dann genügt, wenn der Gefahrerfolg noch als verkehrsspezifisch angesehen werden kann. Dafür muss sich die Gefahr jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückführen lassen.
Die hervorgerufenen Verletzungen zeigen, dass die körperliche Unversehrtheit der Personen in konkrete Gefahr geraten war (§ 315b Abs. 1 Hs. 2 StGB). Darüber hinaus nutzte F die Eigendynamik seines PKWs, um die Personen zu schädigen. Dem Schutzzweckzusammenhang ist genügt. Zudem handelte F mit Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatumstände.
12. F hat zudem die Qualifikationen aus § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB verwirklicht.
Genau, so ist das!
Über § 315b Abs. 3 StGB gilt § 315 Abs. 3 StGB. Nach § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB wird die Tat qualifiziert, wenn der Täter in der Absicht handelt, einen Unglücksfall herbeizuführen. Ein Unglücksfall ist ein plötzlich eintretender Zustand bei dem der Eintritt eines durch die Gefahr verursachten Schadens droht. Aufgrund des Absichtserfordernisses muss der Wille des Täters auf eine Schadensherbeiführung gerichtet sein. Auch deliktische Angriffe werden unter den Unglücksfall subsumiert.
F handelte in der Absicht, einen deliktischen Angriff auszuführen und hat 88 Menschen an der Gesundheit geschädigt. Somit ist § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB verwirklicht.
13. Zudem ist die Erfolgsqualifikation aus § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB verwirklicht.
Ja, in der Tat!
Die Erfolgsqualifikation aus § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB ist dann verwirklicht, wenn der Täter eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht hat oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen herbeigeführt hat. Eine schwere Gesundheitsschädigung ist eine solche, die vergleichbar mit den schweren Körperverletzungen aus § 226 StGB sind, und sonstige langwierige und ernsthafte Erkrankungen, die einen längeren Krankenhausaufenthalt und eventuell eine Minderung der Erwerbstätigkeit nach sich ziehen.
F hat 88 Personen verletzt und damit durch seine Tat eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen herbeigeführt.
Je nach Schwere der Verletzung kann er auch schwere Gesundheitsschädigung anderer Menschen verursacht haben. Hierzu gibt der Sachverhalt aber nicht genug Informationen.
14. F hat sich zudem der gefährlichen Körperverletzung in 88 Fällen schuldig gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Ja!
Der objektive Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) setzt eine Körperverletzungshandlung voraus - namentlich eine körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) oder Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB) einer anderen Person. Ein gefährliches Werkzeug ist jeder körperliche, bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Die Verletzungen hat F durch den Zusammenstoß mit dem Wagen bzw. die vom Wagen beschleunigten Gegenstände hervorgerufen.
Denk daran: Bei Einsatz eines Autos als gefährliches Werkzeug muss die Körperverletzung nach hM unmittelbar auf einen Kontakt zwischen Kfz und Körper zurückzuführen sein muss(RdNr. 13).Aus prozessökonomischen Gründen war im Originalfall die gefährliche Körperverletzung in einem Teil der Fälle von der Verfolgung ausgenommen worden (§ 154a Abs. 2 StPO, vgl. RdNr. 12). Zudem wurde infolge unzureichender tatsächlicher Feststellungen offen gelassen, ob auch eine das Leben gefährdende Behandlung vorlag.