Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2024

Unfreiwillige "Ice Bucket Challenge" als Kündigungsgrund?

Unfreiwillige "Ice Bucket Challenge" als Kündigungsgrund?

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M und ihre Vermieterin V streiten sich über die Positionierung von Ms Fahrrad im Innenhof. Um V daran zu hindern, das Fahrrad umzustellen, schüttet M an zwei kalten Januartagen einen Eimer Wasser auf V. V reicht es nun. Sie will M loswerden.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Unfreiwillige "Ice Bucket Challenge" als Kündigungsgrund?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat gegen M einen Anspruch auf Herausgabe der Wohnung, wenn das bestehende Mietverhältnis beendet worden ist (§ 546 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der Mieter ist verpflichtet, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzugeben (§ 546 Abs. 1 BGB). Das Mietverhältnis endet entweder nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit (befristetes Mietverhältnis) oder durch Kündigung der Mietvertragsparteien. Ms Verhalten könnte eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Bei der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung endet das Mietverhältnis sofort ohne Abwarten einer Kündigungsfrist. Die außerordentliche Kündigung setzt (1) einen Kündigungsgrund und (2) eine wirksame Kündigungserklärung voraus.Solange der Mietvertrag noch besteht, stellt er auch ein Besitzrecht des Mieters dar, sodass auch nach § 985 BGB keine Herausgabe verlangt werden kann.
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2. Bei Wohnraummietverträgen ergeben sich die Gründe für eine außerordentliche Kündigung abschließend aus § 543 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB kann jedes Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden. Die Norm gilt auch für Wohnraummietverhältnisse (§ 549 Abs. 1 BGB). Allerdings wird sie durch § 569 BGB ergänzt. Danach kann unter anderem die nachhaltige Störung des Hausfriedens ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (§ 569 Abs. 2 BGB). Tatbestandlich setzt dies voraus: (1) Nachhaltige Störung des Hausfriedens (2) Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung§ 569 Abs. 2 BGB nimmt eine Sonderstellung unter den besonderen Kündigungstatbeständen ein. Anders als bei den Regeltatbeständen des § 543 Abs. 2 BGB bzw. § 569 Abs. 1 BGB bedarf es einer Einzelfallabwägung, ob die Störung tatsächlich so gravierend ist, dass sie eine fristlose Kündigung rechtfertigt.

3. Liegt eine Störung des Hausfriedens vor (§ 569 Abs. 2 BGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass eine Mietpartei die aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Nutzer nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, verletzt. Die Störung muss dabei einen Bewohner der Hauses betreffen.V lebt mit M in dem Mehrparteienhaus. Ms Verhalten entspricht nicht den allgemeinen Regeln des Zusammenlebens und verletzt ihre Rücksichtnahmepflicht gegenüber V.Achtung: Wohnt der Vermieter nicht im Haus, so ist bei einer gegen ihn gerichteten Störung nicht auf § 569 Abs. 2 BGB, sondern auf die Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB abzustellen.

4. Handelt es sich auch um eine nachhaltige Störung (§ 569 Abs. 2 BGB)?

Ja!

Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass die Rücksichtnahmepflicht in schwerwiegender Weise verletzt wird. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass die Störung sich über einen längeren Zeitraum hinzieht. Aber auch einzelne Vorkommnisse genügen, soweit Wiederholungsgefahr besteht oder das Verhalten sehr gravierend war.Jedenfalls bei kalten Außentemperaturen führt das Durchnässen einer anderen Person zu erheblichen körperlichen Symptomen in Form von starkem Frieren. Dies kann sogar strafrechtlich geahndet werden, da es sich nicht mehr bloß um eine Bagatelle, sondern vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) handelt. Schon allein im Hinblick auf die Intensität liegt somit eine nachhaltige Störung vor.

5. Ist es V zumutbar, das Vertragsverhältnis mit M fortzusetzen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Unzumutbarkeit ist durch eine umfassende Abwägung der Einzelfallumstände festzustellen. Dazu gehören die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung als mildere Maßnahme, die Schwere der Pflichtverletzung oder das Verschulden. Bei Vermieterkündigungen sind zudem die Folgen des Verlusts der Wohnung für den Mieter zu berücksichtigen.M hat ihre Pflichten vorliegend in erheblichem Maße, wiederholt und zumindest bedingt vorsätzlich verletzt. Insbesondere vor dem Hintergrund der angekündigten weiteren Verletzungshandlungen ist V die Fortsetzung des Mietverhältnisses deshalb nicht zumutbar.

6. Muss V die M vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung zunächst abmahnen (§ 543 Abs. 3 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 569 Abs. 2 BGB stellt lediglich eine Ergänzung der in § 543 BGB genannten Gründe dar. Aus diesem Grund ist grundsätzlich auch bei der Störung des Hausfriedens vor der außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung erforderlich (§ 543 Abs. 3 S. 1 BGB). Bei besonders gravierenden Störungen des Hausfriedens, z.B. einer nicht unerheblichen Körperverletzung anderer Nutzer, kann diese ausnahmsweise auch entbehrlich sein (§ 543 Abs. 3 S. 2 BGB).Aufgrund der Intensität der Handlungen, sowie dem Umstand, dass M bereits angekündigt hat, ihre Attacken fortzusetzen, ist hier eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich.

7. V kann M somit die außerordentliche Kündigung erklären und die Herausgabe und Räumung der Wohnung verlangen (§ 546 BGB).

Ja!

Der Mieter ist verpflichtet, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzugeben (§ 546 Abs. 1 BGB)Sofern V das Mietverhältnis durch den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung wirksam beendet, steht ihr aus § 546 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgabe und Räumung der Wohnung zu.Referendare aufgepasst: Neben der Herausgabe (=Schlüsselübergabe) ist der Mieter auch zur Räumung verpflichtet. Bei der Formulierung der Anträge in der Klageschrift darf dieser Zusatz nicht vergessen werden! Zudem ist darauf zu achten, die streitgegenständliche Wohnung hinreichend genau zu bezeichnen.
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