Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2023
Fiktiver Schadensersatz im Mietrecht
Fiktiver Schadensersatz im Mietrecht
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Mieterin M zieht aus. Im Anschluss fordert Vermieter V die M auf, die vertraglich wirksam vereinbarten Schönheitsreparaturen an den Wänden und Böden vorzunehmen. Als M sich weigert, holt V einen Kostenvoranschlag ein (€8.000) und verlangt von M die Erstattung der voraussichtlich anfallenden Kosten.
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Einordnung des Falls
Fiktiver Schadensersatz im Mietrecht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Nach h.M. ist es per se unwirksam, den Mieter zu verpflichten, Schönheitsreparaturen durchzuführen (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Da M ihrer Reparaturpflicht nicht nachgekommen ist, steht V dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zu.
Ja, in der Tat!
3. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung konnten bei beendetem Mietverhältnis auch fiktive Mängelbeseitigungskosten verlangt werden.
Ja!
4. Im Werkvertragsrecht und im Kaufrecht konnten hingegen noch nie fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangt werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Der BGH ist inzwischen aber von der fiktiven Abrechnung im Werkvertragsrecht abgewichen.
Ja, in der Tat!
6. Im Gleichlauf mit dem Werkvertragsrecht können auch im Mietrecht keine fiktive Mängelbeseitigungskosten mehr ersetzt verlangt werden.
Nein!
7. V hat gegen M einen Anspruch auf Erstattung der im Kostenvoranschlag veranschlagten €8.000 (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Marius
17.7.2023, 00:11:32
Besteht anschließend eine Pflicht zur tatsächlichen Durchführung der Reparatur oder kann V frei verfügen? Und wenn die Reparatur anschließend durchgeführt wird und die tatsächlichen Kosten zB nur 6.000€ betragen, kann M dann die verbleibenden 2.000€ zurückverlangen?
Leonq
17.7.2023, 11:32:17
Vermieter kann mMn nicht frei verfügen, sondern muss den gezahlten Betrag tatsächlich zur Wiederherstellung verwenden, soweit dies zur Erfüllung seiner Instandhaltungspflicht erforderlich ist (folgt also nicht aus dem Schadensrecht, sondern aus 535 I 2). Deswegen hätte ich auch gesagt, dass er auch nur das verlangen kann, was tatsächlich dafür erforderlich ist, wofür ja gerade der Kostenvoranschlag regelmäßig gemacht wird. Alles darüber hinaus muss V dann zurückzahlen, da es nicht mehr vom Anspruch des V auf SsdL mit Geldersatz gedeckt ist, es also dann insoweit ohne Rechtsgrund geleistet wurde und zurückgefordert werden kann. (BGH stützt das soweit ich weiß auf 242; alternativ dolo-agit)
DominickKantor
26.8.2023, 00:00:48
Ich würde sagen, dass hier wie fast immer im Schadensrecht keine tatsächliche Nutzung des Geldes zum vorgesehenen Zweck erfolgen muss. Nur ein Vorschuss unterliegt einer Zweckbindung. Ein Schadensersatz kompensiert gerade das eingetretene Defizit am Gesamtvermögen des
Anspruchsstellers und unterliegt somit keiner Zweckbindung.
Nora Mommsen
27.10.2023, 14:00:07
Hallo in die Runde, tatsächlich ist es so, dass dort wo fiktive Mängelabrechnung möglich ist, keine Pflicht zur Vornahme der Reparatur besteht. Anders ist es nur in dem bereits angesprochenen Vorschuss. Dessen Zweck ist gerade eine etwaige Aufwendung "vorzufinanzieren". Abweichendes gilt nur im Rahmen der sog. 130 % Rechtsprechung des BGH im Deliktsrecht. Diese bezieht sich auf KfZ Reparaturen nach Unfällen und ermöglicht ein Abweichen von dem Wirtschaftlichkeitspostulat. Das dann aber eben nur unter der Einschränkung, dass eine Reparatur tatsächlich vorgenommen wird. Dann können auch Reparaturkosten ersetzt verlangt werden bis 130 % über dem Wiederbeschaffungswert des KfZ. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
_Andor_
16.8.2024, 00:03:40
Das Stichwort lautet hier: Grundsatz der Dispositionsfreiheit. Danach ist der Geschädigte grundsätzlich gerade nicht verpflichtet, eine Reparatur vorzunehmen.
mrs.jonla
27.8.2023, 10:56:14
Ich verstehe die Begründung auf dem vorletzten Slide nicht so ganz. In der Entscheidung und auch in dem vorliegenden Fall geht es um einen Anspruch des Vermieters; auf dem vorletzten Slide wird aber die Übertragung mit dem Hinweis abgelehnt, dass § 536a Abs. 2 BGB nur im laufenden mit Mietverhältnis Anwendung findet. Aber hier geht es doch um Ansprüche des Vermieters?
Nora Mommsen
28.8.2023, 17:03:30
Hallo mrs.jonla, danke für deine Frage. Der 8. Zivilsenat, der für Mietrecht zuständig ist, hat sich an der Stelle mit der Argumentation des 7. Zivilsenats auseinandergesetzt. Letzterer hatte in einem Grundsatzurteil entschieden, dass es im Werkvertragsrecht keine fiktive Schadensberechnung mehr geben wird. Unteranderem hatte der zuständige Senat dabei auf den Vorschussanspruch verwiesen. Daher spricht auch der für Mietrecht zuständige Senat dies an und sagt, dass der Rechtsgedanke nicht übertragbar ist. Dies sei unter anderem damit zu begründen, dass die Regelung nicht identisch sind, sondern unterschiedliche Konstellationen regeln - der § 536a Abs. 2 BGB eben während des laufenden Mietverhältnisses. So kam es zur Erwähnung dieser Norm. Ich hoffe ich konnte deine Frage damit ein wenig auflösen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
27.8.2023, 11:27:57
Liebes Jurafuchs-Team, ich stehe ein bisschen auf dem Schlauch. Könntet ihr nochmal ausführlich erklären, warum beim Mietverhältnis der fiktive Schadensersatz möglich ist, er beim Werkvertrag jedoch ausscheidet?
Nora Mommsen
28.8.2023, 16:51:07
Hallo QuiGonTim, danke für deine Frage. Der BGH hat dies mit der Art des Werkvertrags begründet, der sich von anderen Vertragstypen unterscheidet. Letztendlich hängt es wohl mit grundlegend abweichenden Auffassungen der unterschiedlichen Senate zu dem Thema zusammen. Der für Mietrecht zuständige VIII. Senat weicht von der Rechtsprechung des VII. Senats zum Werkrecht ab. Leider gibt es dazu keine bessere sachlich begründete Erklärung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team