+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Mieterin M zieht aus. Im Anschluss fordert Vermieter V die M auf, die vertraglich wirksam vereinbarten Schönheitsreparaturen an den Wänden und Böden vorzunehmen. Als M sich weigert, holt V einen Kostenvoranschlag ein (€8.000) und verlangt von M die Erstattung der voraussichtlich anfallenden Kosten.

Einordnung des Falls

Fiktiver Schadensersatz im Mietrecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach h.M. ist es per se unwirksam, den Mieter zu verpflichten, Schönheitsreparaturen durchzuführen (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 535 Abs. 1 S. 2 BGB ist die Mangelbeseitigung grundsätzlich Aufgabe des Vermieters. Da die Pflicht zu Schönheitsreparaturen hiervon allerdings nur ein kleiner Teil ist, ist es nicht stets unwirksam, dem Mieter diese Pflicht zu übertragen. Es handelt sich vielmehr um eine Abwägungsfrage im Einzelfall. Vorliegend wurde wirksam vertraglich vereinbart, dass M bei ihrem Auszug Schönheitsreparaturen an Wänden und Böden vornehmen muss. Problematisch ist die Übertragung dieser Pflicht auf den Mieter insbesondere in Fällen, wo die Wohnung unrenoviert übergeben wurde, starre Fristen vorgegeben werden oder es Klauseln zur konkreten Art des Ausführung gibt.

2. Da M ihrer Reparaturpflicht nicht nachgekommen ist, steht V dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zu.

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Ja, in der Tat!

Ein Schadensersatzanspruch wegen Nichtleistung (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB) besteht, sofern (1) ein Schuldverhältnis besteht, (2) der Schuldner - trotz Möglichkeit - nicht ordnungsgemäß leistet (Pflichtverletzung) und (3) eine vom Gläubiger gesetzte, angemessene Nachfrist erfolglos abgelaufen ist. Ferner muss (4) der Schuldner seine Pflichtverletzung zu vertreten haben und schließlich (5) dem Gläubiger hierdurch ein Schaden entstanden sein. Zwischen V und M bestand ein Wohnraummietvertrag (§§ 535, 549 BGB), aus dem M Schönheitsreparaturen schuldete. Ihre Pflicht hat sie trotz Fristsetzung nicht erfüllt; das Vertretenmüssen wird vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).

3. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung konnten bei beendetem Mietverhältnis auch fiktive Mängelbeseitigungskosten verlangt werden.

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Ja!

Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konnten Schadensersatzansprüche statt der Leistung im Mietrecht auch mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen aber (noch) nicht aufgewendeten (fiktiven) Kosten bemessen werden.

4. Im Werkvertragsrecht und im Kaufrecht konnten hingegen noch nie fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangt werden.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Sowohl bei der Berechnung des Schadensersatzes statt der Leistung in der kaufrechtlichen Mängelhaftung (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB) als auch im Werkvertragsrecht galt jahrzehntelang der Grundsatz, dass Schäden auch schon vor der tatsächlichen Mängelbeseitigung anhand der fiktiven Mängelbeseitigungskosten berechnet werden können. Aus der Literatur gab es für diese Art der Schadensberechnung teilweise massive Kritik. Begründet wurde dies damit, dass im Fall der fiktiven Schadensberechnung der Geschädigte finanziell vom Schadensfall profitieren könne, sofern er auf die tatsächliche Reparatur verzichte; dies sei jedoch ein Verstoß gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot.

5. Der BGH ist inzwischen aber von der fiktiven Abrechnung im Werkvertragsrecht abgewichen.

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Ja, in der Tat!

VII. Senat des BGH: Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, könne seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, Urt. v. 22.02.2018, VII ZR 46/17). Denn ein Vermögensschaden entstehe erst dann, wenn der Besteller den Schaden beseitigen lasse. Bis dahin stelle der Mangel der Werkleistung nur ein Leistungsdefizit, jedoch noch keinen Vermögensschaden dar (RdNr. 32ff.)

6. Im Gleichlauf mit dem Werkvertragsrecht können auch im Mietrecht keine fiktive Mängelbeseitigungskosten mehr ersetzt verlangt werden.

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Nein!

BGH: Auch nach der geänderten Rechtsprechung des VII. Zivilsenats bezüglich des Werkvertragsrechts sei weiter an der fiktiven Schadensbemessung im Mietrecht festzuhalten (RdNr. 27ff.). Die Entscheidung sei nicht auf andere Vertragstypen übertragbar, da sie auf Besonderheiten des Werkvertragsrechts basiere. Zwar gebe es auch im Mietrecht mit § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB einen dem § 637 Abs. 3 BGB vergleichbaren Vorschussanspruch, jedoch beziehe dieser sich nur auf das laufende Mietverhältnis. Zudem bestehe keine Gefahr der Überkompensation, da nur die notwendigen Kosten geltend gemacht werden können und die Gebote von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gelten.Gleiches gelte auch bei einem Schadensersatzanspruch neben der Leistung, bei dem ebenfalls weiterhin fiktiv abgerechnet werden dürfe.

7. V hat gegen M einen Anspruch auf Erstattung der im Kostenvoranschlag veranschlagten €8.000 (§§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB).

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Genau, so ist das!

Die Voraussetzungen liegen dem Grunde nach vor und der BGH hat klargestellt, dass der Vermieter seinen Schaden auch weiterhin fiktiv bemessen werden darf. V kann also Ersatz der voraussichtlich erforderlichen, noch nicht aufgewendeten Kosten für die Schönheitsreparaturen verlangen. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BGH noch einmal klargestellt, dass die Änderungen in der Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht nicht ohne Weiteres auf andere Vertragstypen übertragen werden können und im Mietrecht weiterhin fiktiver Schadensersatz möglich ist. Für die im Originalfall noch ausstehenden tatsächlichen Feststellungen zu Grund und Höhe des Schadens hat er dann zurück an das Berufungsgericht verwiesen.

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