§ 265 Abs. 1 StPO - Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes (Grundfall)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Totschlags (§ 212 StGB) angeklagt. In der Beweisaufnahme ergibt sich für das Gericht, dass ein Mord vorliegt (§ 211 StGB). Hierfür wird A verurteilt. A ist überrascht, da das Gericht diese neue Rechtsauffassung im Prozess nicht geäußert hatte.

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Einordnung des Falls

§ 265 Abs. 1 StPO - Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes (Grundfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wird ein Angeklagter wegen eines anderen als des angeklagten Strafgesetzes verurteilt, so muss das Gericht ihn zuvor auf den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO).

Ja, in der Tat!

Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne dass er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist (§ 265 Abs. 1 StPO). Fehlt ein solcher Hinweis, liegt ein reversibler Verfahrensfehler vor.Die Vorschrift des § 265 StPO konkretisiert die gerichtliche Fürsorgepflicht. Indem man ihn vor Überraschungsentscheidungen schützt wahrt man die Rechte des Angeklagten auf Verfahrensteilhabe und auf eine effektive Verteidigung.In der Klausur vergleichst Du die Anklageschrift und das Urteil. Stellst Du hierbei einen Unterscheid (= Divergenz) der angeklagten und abgeurteilten Delikte vor, prüfst du im Protokoll (vgl. § 274 StPO), ob ein entsprechender Hinweis vorliegt.
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2. Ein „anderes Strafgesetz“ i.S.v. § 265 Abs. 1 StPO ist zunächst jeder gesetzliche Straftatbestand, der einen in der Anklage angeführten Straftatbestand ersetzt oder ergänzt und für den Schuldspruch von Bedeutung ist.

Ja!

Ein anderes Strafgesetz im Sinne des § 265 Abs. 1 StPO ist jeder andere gesetzliche Straftatbestand, der einen in der Anklage angeführten Straftatbestand ersetzt oder ergänzt und für den Schuldspruch von Bedeutung ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts bei gleichbleibendem Sachverhalt in Erwägung gezogen wird, oder ob sie auf in der Hauptverhandlung gewonnenen neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruht.Es gibt umfassende Rechtsprechung zur Frage, wann ein anderes Strafgesetz im Sinne des § 265 Abs. 1 StPO vorliegt. Ziehe hier in der Klausur die Kommentierung im Meyer-Goßner zurate (RnNr. 8ff.).

3. A wurde statt wegen des angeklagten Totschlags (§ 212 StGB) des Mordes (§ 211 StGB) schuldig gesprochen. War ein Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO entbehrlich, weil es an einem „anderen Strafgesetz“ i.S.d. Vorschrift fehlt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein anderes Strafgesetz im Sinne des § 265 Abs. 1 StPO ist jeder andere gesetzliche Straftatbestand, der einen in der Anklage angeführten Straftatbestand ersetzt oder ergänzt und für den Schuldspruch von Bedeutung ist, egal ob der Übergang auf neuen rechtlichen oder tatsächlichen Erkenntnissen beruht.A wurde wegen Mordes statt wegen Totschlags verurteilt. § 211 StGB stellt einen gegenüber § 212 StGB eigenständigen Straftatbestand dar. Der Übergang hat damit Einfluss auf den Schuldspruch. Zu einer effektiven Verteidigung war es nötig, dass A sich auf die geänderte Rechtsauffassung des Gerichts einstellen konnte, speziell auf die angenommenen Mordmerkmale. Ein Hinweis war daher hier zu erteilen.

4. A kann erfolgreich in Revision gehen, da das Gericht keinen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO erteilt hat (§ 337 StPO).

Ja, in der Tat!

A kann erfolgreich in Revision gehen, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt und das Urteil auf diesem beruht (§ 337 StPO).Wird, wie hier, ein nach § 265 Abs. 1 StPO gebotener Hinweis unterlassen, so liegt ein Verfahrensfehler vor. Es wird regelmäßig auch nicht auszuschließen sein, dass das Urteil auf dem Fehler beruht, da der Angeklagte sich nicht auf die neue Rechtsauffassung des Gerichts einstellen konnte. Damit kann A erfolgreich in Revision gehen.
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