+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der zur Tatzeit 19-jährige A, der mittlerweile 23 ist, wird wegen Mordes vor dem Schwurgericht verurteilt. Er geht in Revision, weil er meint, der Fall hätte vor der Jugendkammer verhandelt werden müssen. In der Verhandlung hatte er keine Rüge erhoben.

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Einordnung des Falls

Zuständigkeit der Jugendgerichte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ob die Jugendgerichte oder die allgemeine Strafgerichtsbarkeit zuständig sind, ist eine Frage der sachlichen Zuständigkeit.

Nein!

Die Jugendgerichte haben mit der Aburteilung jugendlicher Straftäter eine besondere Aufgabe. Sie sind hierfür etwa mit besonderen Sanktionsmöglichkeiten und einem eigenen Verfahren ausgestattet. Früher ging die Rechtsprechung deshalb davon aus, dass die Jugendgerichte eine eigene sachliche Zuständigkeit haben. Heute ordnet man die Jugendgerichte aber in das Gefüge der ordentlichen Strafgerichte ein. Schon nach § 33 Abs. 2 JGG sind Jugendgerichte der Amtsrichter als Jugendrichter, das Schöffengericht (Jugendschöffengericht) und die Strafkammer (Jugendkammer). Es liegt also eine Frage der funktionellen Zuständigkeit vor.
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2. Da A zum Zeitpunkt des Prozesses 23 Jahre alt ist, ist für ihn die Jugendkammer nicht mehr zuständig (§§ 107, 33 Abs. 1 JGG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Verurteilung As als Erwachsener wäre das Schwurgericht zuständig (§ 74 Abs. 2 GVG). Für eine Verurteilung als Heranwachsender, ist die Jugendkammer zuständig (§§ 107, 33 Abs. 1, 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Heranwachsender ist, wer zum Tatzeitpunkt 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist (§ 1 Abs. 1, 2 Alt. 2 JGG). Das hat zur Folge, dass auch Angeklagte, die weit älter sind als 21 Jahre, vor den Jugendgerichten verurteilt werden können, solange sie bei der Tat noch jünger als 21 waren.A ist zwar zum Zeitpunkt des Prozesses 23, zum Tatzeitpunkt war er aber noch 19 Jahre alt. Damit waren die Jugendgerichte, konkret die Jugendkammer (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG, § 74 Abs. 2 Nr. 3 GVG), zuständig.

3. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, da die vorrangige Zuständigkeit der Jugendgerichte missachtet wurde.

Ja, in der Tat!

Ob die Jugendgerichte oder die allgemeinen Strafgerichte zuständig sind, ist eine Frage der funktionellen Zuständigkeit. Dabei geht das Jugendgerichtsverfahren grundsätzlich dem allgemeinen Strafverfahren vor. Dies gilt nicht für die Staatsschutzkammer und die Wirtschaftsstrafkammer. Das Schwurgericht ist dagegen gegenüber der Jugendkammer kein Gericht höherer Ordnung (vgl. §§ 47a, 103 Abs. 2, 112 JGG).Da die Sache trotz der Zuständigkeit der Jugendgerichte vor dem Schwurgericht abgeurteilt wurde, hat das Tatgericht die vorrangige funktionale Zuständigkeit der Jugendgerichte missachtet.

4. As Revision hat aber keinen Erfolg, da er die Unzuständigkeit nicht rechtzeitig nach § 6a StPO gerügt hat.

Nein!

Gemäß § 6a S. 2 StPO prüft das Tatgericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Zuständigkeit der besonderen Strafkammern (§ 74 Abs. 2, §§ 74a, 74c GVG) nur auf die Rüge des Angeklagten. Die Rügeobliegenheit umfasst aber nicht die Zuständigkeit der Jugendgerichte, da die Norm gerade nicht auf die Vorschriften zur Zuständigkeit nach dem JGG verweist.Da A die Zuständigkeit der Jugendgerichte geltend macht, greift die Rügepräklusion nach § 6a StPO nicht. Er kann die funktionelle Unzuständigkeit des Schwurgerichts in der Revision also auch ohne vorherige Rüge geltend machen.

5. A muss in der Revisionsbegründung darlegen, dass das Urteil auf der fehlerhaften Zuständigkeitsannahme der großen Strafkammer beruht (§ 338 Nr. 4 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Gemäß § 338 Nr. 4 StPO ist das Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat. Dies umfasst auch den Fall, dass das Tatgericht die Zuständigkeit der Jugendgerichte verkennt.Vorliegend wird damit das Beruhen vermutet. A muss also nicht darlegen, warum dass Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.Für den Klausurbearbeiter, der eine Revisionsschrift entwerfen muss, erübrigt sich der Hinweis auf § 338 Nr. 4 StPO dadurch natürlich nicht.
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