Anwesenheitspflicht des Dolmetschers und wesentlicher Teil der Hauptverhandlung

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Engländer E ist wegen Beleidigung angeklagt, versteht aber kein Deutsch. Der Strafrichter spricht kein Englisch. Der vom Gericht bestellte Dolmetscher verpasst seinen Zug und trifft erst nach Aufruf und Belehrung der Zeugen ein. Die Verhandlung wird mit ihm fortgesetzt und E verurteilt.

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Einordnung des Falls

Anwesenheitspflicht des Dolmetschers und wesentlicher Teil der Hauptverhandlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da E kein Deutsch spricht, musste während der gesamten Verhandlung ein Dolmetscher anwesend sein (§ 185 GVG).

Genau, so ist das!

Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher zuzuziehen (§ 185 Abs. 1 S. 1 GVG). Der Dolmetscher muss dann zwingend während der Hauptverhandlung zugegen sein. Nur wenn alle Verfahrensbeteiligten der Fremdsprache mächtig sind (§ 185 Abs. 2 GVG) oder wenn der Verfahrensbeteiligte zumindest in gewissem Umfang der deutschen Sprache mächtig ist, kann von der Bestellung eines Dolmetschers abgesehen werden.Da E kein Deutsch spricht und der Strafrichter kein Englisch, war die Anwesenheit des Dolmetschers in der gesamten Hauptverhandlung Pflicht.
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2. Es liegt kein Verstoß gegen § 185 Abs. 1 GVG vor, da der Aufruf und die Belehrung der Zeugen nicht Teil der Hauptverhandlung sind.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 S. 1 StPO). Der Aufruf und die Belehrung (§ 57 StPO) der Zeugen erfolgen in der Hauptverhandlung.

3. Ein Verstoß gegen die Anwesenheitspflicht ist nur dann revisibel, wenn der Verfahrensbeteiligte während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung abwesend war (§ 338 Nr. 5 StPO).

Ja!

Ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO liegt vor, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. § 338 Nr. 5 StPO ist dann nicht anwendbar, wenn von vorneherein denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass das Urteil auf der Abwesenheit beruht. Der Begriff der Hauptverhandlung ist deshalb eng auszulegen und meint nur wesentliche Teile der Hauptverhandlung, bei denen die Abwesenheit Einfluss auf das Urteil haben kann. Zwar verstößt auch die Abwesenheit in einem nicht wesentlichen Teil gegen die Verfahrensnorm, sie ist dann aber mangels Beruhen dennoch nicht revisibel.

4. Da der Dolmetscher beim Aufruf der Sache und der Belehrung der Zeugen abwesend war, liegt ein revisibler Verstoß gegen § 185 GVG vor (§ 338 Nr. 5 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Dolmetscher muss in der Hauptverhandlung anwesend sein (§ 185 GVG). Der Begriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO wird restriktiv ausgelegt und meint nur wesentliche Teile der Hauptverhandlung. Ein revisibler Verstoß gegen die Anwesenheitspflicht liegt nur vor, wenn der Beteiligte während eines solchen Teils der Verhandlung abwesend ist. Sonst ist von vorneherein denkgesetzlich ausgeschlossen, dass das Urteil auf der Abwesenheit beruht.Der Aufruf und die Belehrung der Zeugen sind keine wesentlichen Teile der Hauptverhandlung, da ihr Inhalt keinen Einfluss auf das Urteil haben kann. Dass der Dolmetscher hier fehlte, war also unschädlich.Welche Teile der Verhandlung wesentlich und welche unwesentlich sind, findest du praktischerweise sauber aufgelistet im Meyer-Goßner (§ 338 RnNr. 37f).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DO

don.dlaw

26.3.2024, 10:03:23

hey Ihr, mir ist nicht ganz klar, warum die Belehrung der Zeugen keine Auswirkung auf das Urteil haben können soll. So könnte eine fehlerhafte oder unzureichende Belehrung doch die Aussagereichweite der Zeugen beeinflussen und damit letztlich das Urteil? merci

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.3.2024, 12:06:58

Hallo don.dlaw, danke für deine Frage! Wäre die Belehrung ausgeblieben, ist das durchaus eine andere Frage. Hier ist aber eine korrekte Belehrung der Zeugen erfolgt. Diese konnte nur für den Angeklagten nicht übersetzt werden, da der Dolmetscher noch nicht anwesend war. Dies ist nicht erheblich für die Urteilsfindung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EN

Entenpulli

27.8.2024, 14:42:16

Dürfte denn der Richter sein eigener Dolmetscher sein? Die Gerichtssprache ist ja Deutsch und er hat weder einen allgemein geleisteten Eid abgelegt noch könnte er ihn gegeüber sich selbst ablegen, oder? Dann käme es nämlich gar nicht darauf an, ob der Richter selbst Englisch spricht, oder?


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