Referendariat

Die zivilrechtliche Urteilsklausur

Nebenintervention & Streitverkündung

Streitverkündung – Einstiegsfall – Beitritt/kein Beitritt, Interventionswirkung, Verjährungshemmung

Streitverkündung – Einstiegsfall – Beitritt/kein Beitritt, Interventionswirkung, Verjährungshemmung

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K hat bei B eine Kamera mit einem unbehebbaren Mangel gekauft. Trotz Minderungserklärung durch K verweigert B eine Teilrückerstattung des Kaufpreises, weshalb K Klage erhebt. B verkündet daraufhin Lieferant L formgerecht den Streit. L hatte B die Kamera vor knapp zwei Jahren verkauft.

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Einordnung des Falls

Streitverkündung – Einstiegsfall – Beitritt/kein Beitritt, Interventionswirkung, Verjährungshemmung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Streitverkündung ist die förmliche Benachrichtigung eines Dritten von einem anhängigen Rechtsstreit.

Ja, in der Tat!

Die Streitverkündung erfolgt durch eine der Parteien eines anhängigen Rechtsstreits (= Streitverkünder). Sie hat einen entsprechenden Schriftsatz einzureichen (§ 73 S. 1 ZPO), der dem Dritten (= Streitverkündungsempfänger) förmlich zuzustellen ist (§ 73 S. 2 ZPO). Der Streitverkündungsempfänger kann daraufhin dem Rechtsstreit als Nebenintervenient beitreten (§ 74 Abs. 1 ZPO). Dies muss er jedoch nicht (§ 74 Abs. 2 ZPO).  Entscheidet sich der Streitverkündungsempfänger dazu, dem Rechtsstreit als Nebenintervenient beizutreten (§ 74 Abs. 1 ZPO), so ist er als solcher zu behandeln. Es ergeben sich dann keinerlei Unterschiede zur „normalen“ Nebenintervention. Die Wirksamkeit von Prozesshandlungen durch den Streitverkündungsempfänger und die Interventionswirkung im Folgeprozess unterliegen den gleichen Voraussetzungen.
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2. Eine Interventionswirkung im Folgeprozess ist bei einer Streitverkündung nur möglich, wenn der Streitverkündungsempfänger dem Vorprozess beitritt.

Nein!

Nach § 74 Abs. 3 ZPO kann bei einer Streitverkündung die Interventionswirkung im Folgeprozess nicht nur dann eintreten, wenn der Streitverkündungsempfänger dem Vorprozess beitritt (§ 74 Abs. 1 ZPO), sondern auch dann, wenn er sich gegen einen Beitritt entscheidet (§ 74 Abs. 2 ZPO). Zur Interventionswirkung kommt es in diesem Fall, wenn (1) die Streitverkündung formgerecht (§ 73 ZPO) und zulässig (§ 74 ZPO) war, (2) der Vorprozess durch formell rechtskräftiges Urteil abgeschlossen wurde und (3) nun ein Folgeprozess zwischen Hauptpartei und Streitverkündungsempfänger stattfindet. Durch die Streitverkündung kann dem nicht beitretenden Dritten die Interventionswirkung somit „aufgezwungen“ werden. Nur in diesem Fall ist relevant, ob die Streitverkündung formgerecht und zulässig war. Findet dagegen ein Beitritt statt, hängt die Interventionswirkung wie üblich davon ab, dass dieser im Vorprozess nicht zurückgewiesen wurde.

3. Ob die Streitverkündung formgerecht war, ist im Folgeprozess von Amts wegen zu berücksichtigen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Form der Streitverkündung gilt § 295 ZPO. Hiernach gelten Formmängel, die im Folgeprozess nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gerügt werden, als geheilt. Es wird folglich nicht von Amts wegen, sondern nur auf eine Rüge hin überprüft, ob die Streitverkündung formgerecht vorgenommen worden ist.

4. Ist die Streitverkündung hier zulässig?

Ja, in der Tat!

Eine Streitverkündung ist nach § 72 ZPO zulässig, wenn einer der dort genannten Streitverkündungsgründe vorliegt. Die Streitverkündung muss entweder der Sicherung von Ansprüchen gegen Dritte (§ 72 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) oder der Abwehr drohender Ansprüche Dritter (§ 72 Abs. 1 Alt. 2 ZPO) dienen. B hatte die mangelhafte Kamera selbst von L gekauft. Durch die Streitverkündung bzw. die damit einhergehende Interventionswirkung kann er Ansprüche gegen L sichern, die bestehen, wenn er in diesem Prozess unterliegt.

5. Wenn L dem Rechtsstreit nicht beitritt und B antragsgemäß verurteilt wird, kann L die Mangelhaftigkeit der Kamera in einem Folgeprozess gegen ihn grundsätzlich nicht mehr bestreiten.

Ja!

Wenn ein Streitverkündungsempfänger dem Vorprozess beitritt (§ 74 Abs. 1 ZPO) und dieser Beitritt nicht zurückgewiesen wird oder wenn er nicht beitritt (§ 74 Abs. 2 ZPO), die Streitverkündung jedoch formgerecht (§ 73 ZPO) und zulässig (§ 72 ZPO) ist, kommt es zur Interventionswirkung (§ 74 Abs. 3 ZPO). Der Streitverkündungsempfänger wird dann im Folgeprozess mit der Behauptung nicht gehört, dass der Rechtsstreit im Vorprozess unrichtig entschieden worden sei (§ 68 HS 1 ZPO). Die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen im Vorprozess werden grundsätzlich auch im Folgeprozess als richtig und feststehend betrachtet, soweit sie für die Hauptpartei günstig sind. Die Streitverkündung war formgerecht und zulässig. Die Mangelhaftigkeit der Kamera ist im Vorprozess entscheidungserheblich und im Folgeprozess für B günstig. L kann sie daher im Folgeprozess nicht mehr bestreiten.

6. Können Streitverkündungsempfänger die Interventionswirkung im Folgeprozess auch wieder beseitigen?

Genau, so ist das!

Wenn es zur Interventionswirkung gegenüber einem Streitverkündungsempfänger kommt, steht diesem genauso wie einem Nebenintervenienten die sog. Einrede der mangelhaften Prozessführung (§§ 74 Abs. 3, 68 HS 2 ZPO) zu. Durch diese Einrede kann er die Interventionswirkung beseitigen. Hierfür muss er darlegen und ggfs. beweisen, dass er im Vorprozess verhindert war, diejenigen Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, die er nun im Folgeprozess geltend machen möchte. Nach § 68 HS 2 ZPO kann der Streitverkündungsempfänger unter anderem vorbringen, dass er durch die Lage des Rechtsstreits zur Zeit seines Beitritts an der Prozessführung gehindert war. Dieser Einwand steht ihm selbst dann zu, wenn er dem Vorprozess nicht beigetreten ist. § 74 Abs. 3 ZPO stellt klar, dass es in diesem Fall nicht auf den Beitrittszeitpunkt ankommt, sondern auf den Zeitpunkt, in dem ein Beitritt möglich war.

7. Können während des Vorprozesses eventuelle Regressansprüche des B gegen L verjähren?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB wird die Verjährung der Ansprüche des Streitverkünders gegen den Streitverkündungsempfänger durch die Zustellung der Streitverkündung gehemmt. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung ist jedoch die Zulässigkeit der Streitverkündung. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Beitritt des Streitverkündungsempfängers erfolgt oder nicht. Die Streitverkündung war zulässig, sodass die Verjährung der Ansprüche des B gegen L während des Vorprozesses gehemmt ist. Die verjährungshemmende Wirkung endet nach § 204 Abs. 2 S. 1 BGB auch nicht direkt mit dem Abschluss des Vorprozesses, sondern hält noch weitere sechs Monate an. Der Streitverkünder hat also genug Zeit, seine Ansprüche gegen den Streitverkündungsempfänger durch den Folgeprozess erneut zu hemmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB)

8. Die verjährungshemmende Wirkung der Streitverkündung tritt grundsätzlich erst in dem Moment ein, in dem sie dem Streitverkündungsempfänger zugestellt wird.

Nein!

Nach § 73 S. 3 ZPO wird eine Streitverkündung erst mit der Zustellung an den Dritten wirksam. Soll durch eine Zustellung jedoch eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (§ 167 ZPO). Die verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung tritt somit grundsätzlich bereits mit Eingang der Streitverkündungsschrift bei Gericht ein.
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