Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

Isolierte Anfechtung unbegründet, weil keine materielle Teilbarkeit

Isolierte Anfechtung unbegründet, weil keine materielle Teilbarkeit

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A möchte eine alte Scheune in eine Disco umbauen und stellt den hierzu erforderlichen Antrag auf Erlass einer Baugenehmigung. Behörde B erlässt die Genehmigung mit dem Zusatz, dass A innerhalb von 4 Wochen den erforderlichen Schallschutz am Gebäude errichtet. A hält den Zeitraum für zu kurz.

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Einordnung des Falls

Isolierte Anfechtung unbegründet, weil keine materielle Teilbarkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A möchte gegen die Schallschutz-Auflage vorgehen. Können Nebenbestimmungen nach Rspr. und Lit. grundsätzlich isoliert angefochten werden?

Genau, so ist das!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (vgl. § 88 VwGO). Geht es dem Kläger nur um die Beseitigung einer Nebenbestimmung (§ 36 VwVfG) zu einem Hauptverwaltungsakt, so kann dieser sie nach Rspr. und h.L. isoliert anfechten (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) und muss gerade nicht die Verpflichtungsklage gerichtet auf Neuerlass des begehrten Verwaltungsakts ohne Nebenbestimmung erheben. Der Zusatz, dass A Lärmschutzmaßnahmen errichtet, ist eine Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). A kann diese unabhängig von der erteilten Baugenehmigung anfechten.
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2. Die Begründetheit der Klage setzt zunächst voraus, dass der Hauptverwaltungsakt und die Nebenbestimmung materiell teilbar sind.

Ja, in der Tat!

Die isolierte Anfechtungsklage gegen eine Nebenbestimmung ist begründet, wenn (1) der Verwaltungsakt materiell teilbar, (2) die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und (3) den Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Materielle Teilbarkeit liegt vor, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoll bestehen bleiben kann. Dies setzt insbesondere voraus, dass dieser nicht durch den Wegfall der Nebenbestimmung rechtswidrig wird.

3. Die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften regeln, dass der erforderliche Lärmschutz gewährleistet sein muss. Wäre die Baugenehmigung daher auch ohne den Zusatz zum Lärmschutz rechtmäßig?

Nein!

Materielle Teilbarkeit liegt vor, wenn der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoll bestehen bleiben kann. Dies setzt insbesondere voraus, dass dieser nicht durch den Wegfall der Nebenbestimmung rechtswidrig wird. Die (materielle) Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung setzt unter anderem voraus, dass die bauliche Anlage nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht (vgl. z.B. § 71 Abs. 1 BauO Bln, § 70 Abs. 1 S. 1 NBauO). Zu diesen Vorschriften gehören auch die bauordnungsrechtlichen (vgl. z.B. § 14 Abs. 2 S. 1 HBO, § 18 Abs. 2 HBauO Vorschriften über einzuhaltende Lärmgrenzen. Ohne die Nachrüstung des Lärmschutzes steht das Bauvorhaben im Widerspruch zu den bauordnungsrechtlichen Vorschriften. Die Genehmigung kann ohne die Auflage nicht sinnvoll bestehen bleiben. Die Regelungen sind nicht materiell teilbar.

4. Die isolierte Anfechtungsklage ist unbegründet. Hat A noch eine andere Rechtsschutzmöglichkeit?

Genau, so ist das!

Besteht keine materielle Teilbarkeit, kann unter Umständen eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gerichtet auf Neubescheidung erfolgreich sein. Denn auch, wenn die Nebenbestimmung nicht aufgehoben werden kann, kann sie eventuell zumindest „abgeschwächt“ werden. Zum Beispiel könnte die Behörde die konkrete Nebenbestimmung ermessensfehlerhaft erlassen haben. Dann hat die Klägerin zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung (vgl. § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO). Zwar kann A die Auflage nicht komplett „wegbekommen“. Allerdings könnte die Auflage in ihrer konkreten Ausgestaltung ermessensfehlerhaft sein. Zum Beispiel könnte die Frist von vier Wochen zu kurz und damit unverhältnismäßig sein. Dann müsste B die Erlaubnis samt (andersartiger) Auflage ermessensfehlerfrei neu erteilen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MIA

miamiu

16.3.2024, 10:35:56

Hallo, wäre hier nicht nach der neusten Rechtsprechung vom BVerwG eine isolierte Anfechtung möglich, auch wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig wäre?

Sambajamba10

Sambajamba10

17.3.2024, 19:58:39

Man muss hier dahingehend differenzieren, dass die Frage nach der isolierten

Anfechtung von Nebenbestimmungen

eine Frage ist, die sich bereits in der statthaften Klageart, also in der Zulässigkeit, stellt. Hier geht das BVerwG davon aus, dass eine solche Klage zulässig (= möglich) ist, selbst wenn der VA ansonsten rechtswidrig wäre. Die Zulässigkeit wird also nur dann verneint, wenn von vornherein das Fehlen der materiellen Teilbarkeit offenkundig ist. Im Rahmen der

Begründetheit

ist die Klage hier unbegründet, da es an der materiellen Teilbarkeit von

Nebenbestimmung

und VA fehlt, nicht weil der VA nach der Anfechtung der

Nebenbestimmung

aus einem anderen Grund rechtswidrig wäre. Die

materielle Teilbarkeit

ist daher eine zwingende Voraussetzung dafür, dass die isolierte Anfechtung auch im Ergebnis Erfolg hat.

Praetor

Praetor

26.9.2024, 23:15:59

Aus dem SV ergibt sich allein aus der Nutzung als Disko nicht unmittelbar, dass der Lärm ohne Isolierung rechtswidrig wäre. Gern ergänzen, wenn ich nichts übersehen habe.

BEN

benjaminmeister

22.10.2024, 20:57:13

Geht mir genauso 😅

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

30.10.2024, 14:54:13

Hey ihr zwei, danke für den Hinweis. Dass der Lärmschutz gesetzlich vorgesehen ist, war hier mit „erforderlich“ im Sachverhalt angelegt. Ich sehe aber, dass das etwas uneindeutig ist und habe deswegen an der entsprechenden Stelle in einer der Fragen etwas nachgeschärft. Ich hoffe, die Aufgabe lässt sich jetzt besser lösen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

BEN

benjaminmeister

30.10.2024, 21:46:16

Ja, finde sie jetzt deutlich besser! Danke dir 😄


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