+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der Gerichtsvollzieher hat die Münzsammlung des Vollstreckungsschuldners K durch Anbringen eines Pfandsiegels gepfändet. K entfernt das Siegel und bietet die Sammlung seinem Freund F zum Kauf an. Dieser ahnt nichts von der Pfändung, nimmt das Angebot an und holt die Sammlung bei K ab.
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Einordnung des Falls
Überwindung von Verstrickung und Pfändungspfandrecht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Durch die Pfändung der Münzsammlung ist Verstrickung eingetreten.
Ja, in der Tat!
Eine wirksame Pfändung führt zur Verstrickung des gepfändeten Gegenstands.
Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Pfändung wirksam war. Daher ist Verstrickung eingetreten.
Auch eine fehlerhaft durchgeführte Pfändung ist grundsätzlich wirksam, wenn auch anfechtbar. Eine Pfändung ist nur dann unwirksam bzw. nichtig, wenn sie an einem besonders schweren Verfahrensfehler leidet (Beispiel: es wird entgegen § 808 Abs. 2 ZPO kein Pfandsiegel angebracht).
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2. Durch das Entfernen des Pfandsiegels hat K die Verstrickung beendet.
Nein!
Die Verstrickung endet, wenn
(1) die gepfändete Sache verwertet worden ist,
(2) der Gerichtsvollzieher sie aufhebt oder
(3) die Verstrickung gutgläubig „wegerworben“ wird (§§ 135, 136 BGB).
Durch das Entfernen des Pfandsiegels hat K die Verstrickung nicht beendet. Eine Pfändung, bei der entgegen § 808 Abs. 2 ZPO kein Pfandsiegel angebracht wird, ist zwar nichtig (besonders schwerer Verfahrensfehler), sodass keine Verstrickung an der Pfandsache eintritt. Wenn das Pfandsiegel jedoch nach der Pfändung entfernt wird, führt dies nicht zum Ende der Verstrickung.
Durch das Entfernen des Pfandsiegels hat sich K strafbar gemacht nach § 136 Abs. 2 StGB („Siegelbruch“).
3. Hat F trotz der Verstrickung das Eigentum an der Münzsammlung erworben?
Genau, so ist das!
Durch die Verstrickung verliert der Vollstreckungsschuldner die Verfügungsbefugnis über den gepfändeten Gegenstand (§§ 135, 136 BGB). Ein Dritter kann dennoch wirksam Eigentum an der gepfändeten Sache erwerben, wenn dieser gutgläubig in Bezug auf seine fehlende Verfügungsbefugnis des Vollstreckungsschuldners ist (§§ 135 Abs. 2, 136 BGB).
F hat die Münzsammlung nach Vertragsschluss bei K abgeholt. Eine dingliche Einigung liegt vor und eine Übergabe der Sammlung ist erfolgt. Ferner wusste F nichts von der Pfändung bzw. der fehlenden Verfügungsbefugnis des K. F hat daher wirksam Eigentum an der Münzsammlung erworben. Hierdurch wurde die Verstrickung beendet.
Durch die Veräußerung der Münzsammlung hat sich K strafbar gemacht nach § 136 Abs. 1 StGB („Verstrickungsbruch“).
4. Durch die Pfändung ist an der Münzsammlung ein Pfändungspfandrecht entstanden (§ 804 Abs. 1 ZPO ).
Ja, in der Tat!
Nach § 804 Abs. 1 ZPO erwirbt der Vollstreckungsgläubiger durch eine Pfändung ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstand. Die Voraussetzungen, unter denen ein Pfändungspfandrecht entsteht, sind umstritten. Nach der gemischten Theorie (h.M. + BGH) entsteht ein Pfändungspfandrecht, wenn
(1) Verstrickung eingetreten ist (kein schwerwiegender Verfahrensfehler),
(2) die titulierte Forderung besteht,
(3) der Schuldner der Eigentümer der gepfändeten Sache ist und
(4) die wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen eingehalten worden sind.
An der Münzsammlung des K ist Verstrickung eingetreten. Mangels anderer Angaben ist davon auszugehen, dass die titulierte Forderung besteht und die wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen eingehalten worden sind.
Auch innerhalb der gemischten Theorie ist umstritten, welche „wesentlichen Verfahrensvoraussetzungen“ erfüllt sein müssen.
5. Obwohl nun F der neue Eigentümer der Münzsammlung ist, besteht das Pfändungspfandrecht daran fort (siehe § 936 Abs. 1 S. 1 BGB).
Nein!
Ist eine veräußerte Sache mit dem Recht eines Dritten belastet, so erlischt das Recht mit dem Erwerb des Eigentums (§ 936 Abs. 1 S. 1 BGB), wenn der Erwerber in Ansehung des Rechts in guten Glauben ist (§ 936 Abs. 2 BGB). Ein solcher „gutgläubiger, lastenfreier Erwerb“ hat folgende Voraussetzungen:
(1) wirksamer Eigentumserwerb (vom Berechtigten oder vom Nichtberechtigten)
(2) guter Glaube des Erwerbers an Lastenfreiheit
(3) kein Abhandenkommen (der Pfandsache) beim Rechtsinhaber, § 935 BGB analog.
F hat wirksam das Eigentum an der Münzsammlung erworben. Er wusste nichts von der Pfändung bzw. dem Pfändungspfandrecht und war damit gutgläubig in Bezug auf die Lastenfreiheit. K war unmittelbarer Besitzer und hat die Münzsammlung freiwillig weggegeben, sodass kein Abhandenkommen vorliegt. F hat die Münzsammlung daher lastenfrei erworben. Das Pfändungspfandrecht ist erloschen.
6. Der Vollstreckungsgläubiger kann nach §§ 1227 i.V.m. 985 BGB von F die Herausgabe der Münzsammlung verlangen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Nach §§ 804 Abs. 2 HS 1 ZPO, 1227 BGB verschafft das Pfändungspfandrecht dem Vollstreckungsgläubiger die gleichen Ansprüche wie dem Eigentümer einer Sache. Er hat nach §§ 1227 i.V.m. 985 BGB beispielsweise einen Anspruch auf Herausgabe der Pfandsache an den Gerichtsvollzieher.
Das Pfändungspfandrecht an der Münzsammlung ist erloschen. Daher hat der Vollstreckungsgläubiger keinen Anspruch auf Herausgabe der Münzsammlung gegen F. Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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