Referendariat

Die ZVR-Klausur

Einführung

Verstrickung und Pfändungspfandrecht bei schuldnerfremder Sache

Verstrickung und Pfändungspfandrecht bei schuldnerfremder Sache

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Gerichtsvollzieher hat im Auftrag von Vollstreckungsgläubigerin H bei Vollstreckungsschuldner K eine Kommode gepfändet. Erst nachdem die Kommode öffentlich versteigert worden ist, stellt sich heraus, dass nicht K, sondern dessen Tante T die Eigentümerin der Kommode war. ‌

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Einordnung des Falls

Verstrickung und Pfändungspfandrecht bei schuldnerfremder Sache

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Obwohl K nicht der Eigentümer der Kommode war, ist durch deren Pfändung Verstrickung eingetreten.

Ja, in der Tat!

Sofern eine Pfändung wirksam ist, führt sie zur Verstrickung des gepfändeten Gegenstands. Auch eine fehlerhaft durchgeführte Pfändung ist grundsätzlich wirksam, wenn auch anfechtbar. Eine Pfändung ist nur dann unwirksam bzw. nichtig, wenn sie an einem besonders schweren Verfahrensfehler leidet. Es liegen keinerlei Verfahrensfehler vor. Die Pfändung ist wirksam. An der Kommode wäre selbst dann Verstrickung eingetreten, wenn offensichtlich gewesen wäre, dass die T deren Eigentümerin ist (sog. evidentes Dritteigentum). Denn die Nichtbeachtung von evidentem Dritteigentum stellt zwar einen Verfahrensfehler dar, jedoch ist dieser nicht ausreichend schwer, um die Nichtigkeit der Pfändung zu begründen. Die Pfändung wäre also auch dann wirksam, wenn auch anfechtbar im Wege einer Vollstreckungserinnerung.
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2. Nach der h.M. kann ein Pfändungspfandrecht nur dann entstehen, wenn der Schuldner Eigentümer an der gepfändeten Sache ist. Ist danach an der Kommode ein Pfändungspfandrecht entstanden (§ 804 Abs. 1 ZPO)?

Nein!

Du musst die Frage, ob Verstrickung eingetreten ist streng von der Frage danach, ob ein Pfädungspfandrecht am gepfändeten Gegenstand entstanden ist, unterscheiden. Nach § 804 Abs. 1 ZPO erwirbt der Vollstreckungsgläubiger durch eine Pfändung ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstand. Die Voraussetzungen, unter denen ein Pfändungspfandrecht entsteht, sind umstritten. Nach der gemischten Theorie (h.M. + BGH) entsteht ein Pfändungspfandrecht, wenn (1) Verstrickung eingetreten ist (also kein schwerwiegender Verfahrensfehler vorliegt), (2) die titulierte Forderung besteht, (3) der Schuldner der Eigentümer der gepfändeten Sache ist und (4) die wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen eingehalten worden sind. An der Kommode ist Verstrickung eingetreten. Jedoch gehörte sie nicht dem Vollstreckungsschuldner K, sondern dessen Tante T. Daher ist kein Pfändungspfandrecht an der Kommode entstanden.

3. Nach h.M. ist die an einem gepfändeten Gegenstand bestehende Verstrickung die Grundlage für dessen Verwertung/Versteigerung.

Genau, so ist das!

Nach der gemischten Theorie (h.M. + BGH) ist die Verstrickung die Grundlage für die Versteigerung des gepfändeten Gegenstands. In der Versteigerung wird dem Meistbietenden, dem der Zuschlag erteilt wurde (§ 817 Abs. 1 ZPO), die ersteigerte Pfandsache gegen Bezahlung der gebotenen Summe übergeben (§ 817 Abs. 2 ZPO). Durch diese Übergabe erwirbt der Meistbietende jedoch nur dann das Eigentum an der Pfandsache (= Eigentumserwerb durch Hoheitsakt), wenn diese auch verstrickt war. Die Verstrickung bildet daher die Grundlage für die Verwertung/Versteigerung bzw. den dort stattfindenden Eigentumserwerb an der Pfandsache.

4. M war der Meistbietende. Nach der Versteigerung wird ihm die Kommode gegen Bezahlung der von ihm gebotenen Summe übergeben. Muss ein Pfandrecht an der Kommode bestehen, damit M Eigentum daran erwerben kann?

Nein, das trifft nicht zu!

Ob und wer ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstand hat, spielt für den Eigentumserwerb an der versteigerten Pfandsache keine Rolle. Nach einer öffentlichen Versteigerung wird dem Meistbietenden gegen Bezahlung der gebotenen Summe die ersteigerte Pfandsache übergeben (§ 817 Abs. 2 ZPO). Hierdurch erwirbt der Meistbietende das Eigentum an der Pfandsache (= Eigentumserwerb durch Hoheitsakt), sofern diese verstrickt war. M war der Meistbietende und ihm wurde die verstrickte Kommode gegen Bezahlung der von ihm gebotenen Summe übergeben. Dadurch ist M Eigentümer der Kommode geworden. § 817 Abs. 2 ZPO regelt einen sog. Eigentumserwerb durch Hoheitsakt. Bei einem solchen spielt die Gutgläubigkeit des Erwerbers keine Rolle. Daher erwirbt der Ersteigerer auch dann das Eigentum an der versteigerten Sache, wenn er weiß, dass diese nicht dem Vollstreckungsschuldner, sondern einem Dritten gehört.

5. T kann von M die Herausgabe der Kommode verlangen (§ 985 BGB).

Nein!

Nach einer öffentlichen Versteigerung wird dem Meistbietenden gegen Bezahlung der gebotenen Summe die ersteigerte Pfandsache übergeben (§ 817 Abs. 2 ZPO). Hierdurch erwirbt der Meistbietende das Eigentum an der Pfandsache, sofern diese verstrickt war. Rechtsgrund für den Eigentumserwerb ist der durch den Zuschlag zustande gekommene öffentlich-rechtliche, kaufähnliche Vertrag (§ 817 Abs. 1 S. 3 ZPO, § 156 BGB). Der Eigentumserwerb wird dadurch „kondiktionsfest“. T hat keinen Anspruch gegen M auf Herausgabe der Kommode nach § 985 BGB, da M wirksam das Eigentum an der Kommode erworben hat. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (Eingriffskondiktion) scheidet ebenfalls aus, da M das Eigentum an der Kommode nicht rechtsgrundlos erlangt hat. Der Rechtsgrund für den Eigentumserwerb ist der durch den Zuschlag zustande gekommene Vertrag.

6. Nach der Versteigerung zahlt der Gerichtsvollzieher den Erlös an der Kommode an H aus. Hat H dadurch das Eigentum am Erlös erworben?

Genau, so ist das!

Durch die Auszahlung des Versteigerungserlöses an den Vollstreckungsgläubiger (sog. Erlösauskehr) erwirbt der Vollstreckungsgläubiger das Eigentum am Erlös. Dies gilt auch dann, wenn der Vollstreckungsschuldner nicht der Eigentümer der versteigerten Sache war und deshalb kein Pfändungspfandrecht daran bestanden hat. Durch die Erlösauskehr hat H das Eigentum am Erlös erworben. Unerheblich ist, dass K nicht der Eigentümer der Kommode war und daher kein Pfändungspfandrecht daran bestanden hat.

7. Die T kann von H die Herausgabe des Versteigerungserlöses verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Durch die Erlösauskehr erwirbt der Vollstreckungsgläubiger das Eigentum am Erlös. Ein Rechtsgrund hierfür liegt allerdings nur vor, wenn ein Pfändungspfandrecht (§ 804 Abs. 1 ZPO) an der versteigerten Sache bestanden hat. Nur dann ist der Erlös „kondiktionsfest“. T hat keinen Anspruch gegen M auf Herausgabe des Erlöses nach § 985 BGB, da H dessen Eigentümer ist. Jedoch hat T einen bereicherungsrechtlichen Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (Eingriffskondiktion) gegen H auf Erlösherausgabe. Solange eine schuldnerfremde Sache noch nicht versteigert wurde, kann sich deren Eigentümer durch eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) gegen die Zwangsvollstreckung wehren. Nach der Versteigerung besteht dagegen nur ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Erlösherausgabe gegen den Vollstreckungsgläubiger. Die klageweise Geltendmachung dieses Anspruchs wird auch als „verlängerte Drittwiderspruchsklage“ bezeichnet. Dazu später mehr!
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