+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Es Auto wird im Ausland gestohlen. Wochen später kauft der gutgläubige B das Auto in Deutschland von Verkäufer V, der ihm das Auto auch übergibt. E macht das Auto über die Ortungsdaten ausfindig, nimmt es mit seinem Schlüssel an sich und fährt davon.
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Einordnung des Falls
Eigentümer verschafft sich Besitz an gestohlener Sache – Eigentum vs. Besitzschutz
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B verlangt von E die Herausgabe des Autos. Könnte B gegen E zunächst einen Anspruch aus § 985 BGB haben?
Genau, so ist das!
Der Anspruch auf Herausgabe einer Sache aus § 985 BGB setzt voraus:
(1) Der Anspruchsteller ist Eigentümer
(2) Der Anspruchsgegner ist Besitzer
(3) Der Anspruchsgegner hat kein Recht zum Besitz (§ 986 Abs. 1 BGB) Hierbei handelt es sich um einen Fall aus der aktuellen Berichterstattung (vgl. Tagesschau, „Mann stiehlt eigenes Auto zurück“, Onlinemeldung vom 26.05.2025). Solche Fälle sind insbesondere in mündlichen Prüfungen sehr beliebt.
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2. Ursprünglich war E Eigentümer. Richtet sich Bs möglicher Eigentumserwerb nach deutschem Recht, obwohl das Auto zuvor im Ausland gestohlen wurde (Art. 43 Abs. 1 EGBGB)?
Ja, in der Tat!
Gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB unterliegen Rechte an einer Sache dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet (sog. Belegenheitsrecht, „lex rei sitae“). Das bedeutet, dass es für die Eigentumsverhältnisse darauf ankommt, ob das Eigentum an dem Auto nach dem Recht des jeweiligen Belegenheitsortes wirksam übergegangen ist. Der mögliche Eigentumserwerb des B von V erfolgte in Deutschland, womit deutsches Recht anwendbar ist. Aus dem Sachverhalt ergibt sich nicht, dass E das Eigentum zuvor durch einen Übergang im Ausland verloren hätte. In der Originalkonstellation hat der Besitzer das Auto in England gekauft. Nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB käme es also darauf an, ob er das Eigentum an dem Wagen nach englischem Recht erwerben konnte. In Deiner Klausur wird in aller Regel nicht erwartet, dass Du ausländisches Recht prüfst. Sofern das internationale Privatrecht zur Anwendung kommt, solltest Du möglichst zur Anwendbarkeit des deutschen Rechts gelangen.
3. V hatte kein Eigentum am Auto des E. Konnte B das Eigentum aber nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB gutgläubig von V erwerben (§ 935 BGB)?
Nein!
Der Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB setzt zunächst voraus: (1) Einigung (2) Übergabe (3) Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe (4) Berechtigung des Veräußerers
Fehlt die Berechtigung des Veräußerers, so musst Du an einen gutgläubigen Erwerb nach § 935 BGB denken. Allerdings ist dieser gemäß § 935 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen war. Eine Sache ist abhandengekommen, wenn der unmittelbare Besitzer den Besitz ohne seinen Willen, also unfreiwillig, verloren hat. B war hinsichtlich der Berechtigung von V gutgläubig i.S.v. § 932 Abs. 2 BGB. Allerdings hat E den unmittelbaren Besitz am Auto zuvor gegen seinen Willen durch einen Diebstahl verloren, womit ihm die Sache abhandengekommen ist. Ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB scheidet daher nach § 935 Abs. 1 S. 1 BGB aus. E ist nach wie vor Eigentümer des Fahrzeugs.
4. B hat – mangels Eigentum – keinen Anspruch aus § 985 BGB gegen E. Könnte B aber einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gegen E aus § 861 Abs. 1 BGB haben?
Genau, so ist das!
Neben den Ansprüchen aus Eigentum solltest Du in einer sachenrechtlichen Klausur auch immer an den Besitzschutz denken!
Der Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes aus § 861 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus:
(1) Besitzentzug beim Anspruchsteller durch verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB
(2) Fehlerhafter Besitz des Anspruchsgegners (§ 858 Abs. 2 BGB)
(3) Kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB
(3) Kein Erlöschen nach § 864 BGB. E hat B den Besitz am Auto entzogen, indem er gegen Bs Willen das Auto öffnete, in Betrieb nahm und nach Hause fuhr. Folglich hat B den Besitz aufgrund von verbotener Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB verloren. B hat die verbotene Eigenmacht verübt, womit er gegenüber E fehlerhaft besitzt (§ 858 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Schwerpunkt dieses Falles liegt nicht bei der Frage, ob der Anspruch aus § 861 Abs. 1 S. 1 BGB dem Grunde nach besteht, dies ist hier unproblematisch gegeben. Spannender wird es, wenn wir uns im nächsten Schritt einen möglichen Ausschluss des Anspruchs anschauen.
5. Könnte ein Anspruch von B aus § 861 Abs. 1 BGB nach § 861 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein, weil E den Besitz am Auto zuvor durch einen Diebstahl verlor?
Ja, in der Tat!
Der Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB ist nach § 861 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Anspruchsteller oder sein Rechtsvorgänger selbst gegenüber dem Anspruchsgegner bzw. fehlerhaften Besitzer fehlerhaft besessen hat und dieser Besitz im letzten Jahr vor der Entziehung erlangt worden ist. Rechtsvorgänger i.S.v. § 861 Abs. 2 BGB ist der vorherige Besitzer. Der Nachfolger im Besitz muss die Fehlerhaftigkeit des Besitzes nach § 858 Abs. 2 S. 2 BGB nur gegen sich gelten lassen, wenn er hiervon positive Kenntnis hatte. Anders als bei der Gutgläubigkeit i.S.v. § 932 Abs. 2 BGB reicht grobe Fahrlässigkeit nicht. Der Rechtsvorgänger von B war der vorherige Besitzer V. Es ist unklar, ob V das Auto selbst von E gestohlen hat oder nur ein weiteres Glied in der Besitzkette war. Jedenfalls hatte B von einer etwaigen Fehlerhaftigkeit beim Vorbesitzer keine positive Kenntnis. Folglich muss er diese nach § 858 Abs. 2 S. 2 BGB nicht gegen sich gelten lassen und sein Anspruch ist nicht nach § 861 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.
6. B hat gegen E einen Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB. Könnte E dem B grundsätzlich die sog. „dolo-agit“-Einrede (§ 242 BGB) entgegenhalten, wenn er als Eigentümer nach der Rückgabe des Autos gegen B zugleich einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB hätte?
Ja!
Wenn ein Störgefühl bleibt, aber keine ausdrücklich passende Vorschrift mehr zur Verfügung steht, kannst Du zum „letzten Strohhalm“, der Korrektur über § 242 BGB (Treu und Glauben) greifen. Du solltest aber strukturiert an Prinzipien und Fallgruppen argumentieren, statt einfach so „drauf los“ zu schreiben. Die Beanspruchung einer Leistung ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) grundsätzlich mangels schutzwürdiger Interessen unzulässig, wenn die Leistung sofort wieder zurückgewährt werden müsste (sog. „dolo-agit“-Einrede). E ist Eigentümer geblieben. Nach der Rückgabe des Autos wäre B Besitzer. Allerdings hätte B mangels obligatorischer (schuldrechtlicher) oder sonstiger dinglicher Berechtigung kein Recht zum Besitz an dem Auto (§ 986 Abs. 1 S. 1 BGB). Somit könnte E nach der Rückgabe des Autos an B zugleich von diesem die Herausgabe aus § 985 BGB verlangen.
7. Möglicherweise könnte E über § 242 BGB seinen Anspruch aus § 985 BGB Bs Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes (§ 861 Abs. 1 BGB) entgegenhalten. Kann E gegen B unbeschränkt alle in Betracht kommenden Einwendungen geltend machen (§ 863 BGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
Bei der Frage, ob E die „dolo-agit“-Einrede (§ 242 BGB) erheben kann, musst Du die gesetzlichen Wertungen beachten.
§ 863 BGB enthält einen Einwendungsausschluss. Der Anspruchsgegner kann sich nur auf besitzrechtliche (possessorische) Einwendungen berufen. Der Anspruchsgegner kann seine Rechte nur insoweit geltend machen, als sie die Tatbestandsvoraussetzungen eines Besitzschutzanspruchs entfallen lassen. Er kann insbesondere bestreiten, dass der Anspruchsteller Besitzer war und dass er ihm den Besitz mittels verbotener Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB entzogen hat. Die Norm trägt den Wertungen des Besitzschutzrechts Rechnung und dient der Reduzierung von verbotener Eigenmacht. Ausnahmsweise ist eine Berufung auf § 242 BGB möglich, wenn Aspekte betroffen sind, die § 863 BGB nicht erfasst und die nicht mit dessen Wertungen kollidieren. So z.B. bei Gewalttätigkeiten. Zu weiteren Ausnahmefällen, in denen § 242 BGB i.R.v. § 861 Abs. 1 BGB zur Anwendung kommt: _Schäfer_, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, § 863 BGB, RdNr. 7 und _Fritzsche_, in: BeckOK BGB, 73. Edition, Stand: 01.02.2025, § 863 BGB. RdNr. 7, jeweils m.w.N.
8. Ist die Geltendmachung der dolo-agit-Einrede durch E wegen § 863 BGB ausgeschlossen?
Ja, in der Tat!
Die dolo-agit-Einrede betrifft nicht die Tatbestandsvoraussetzungen von § 861 Abs. 1 BGB. E würde damit nicht bestreiten, dass er verbotene Eigenmacht ausgeübt hat oder dass B Besitzer war. Vielmehr würde E mit seiner Geltendmachung sein Recht zum Besitz als Rechtfertigung für seine verbotene Eigenmacht heranziehen. Dies liefe den in § 863 BGB enthaltenen Wertungen des Besitzschutzrechts zuwider. Eine Ausnahme ist hier nicht geboten, weil keine nach dem Gesetz außergewöhnlichen Umstände vorliegen. E ist zwar petitorisch zum Besitz berechtigt, allerdings ist seine verbotene Eigenmacht missbilligt. B hat im Ergebnis einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gegen E aus § 861 Abs. 1 BGB. Der Fall eignet sich gut, um prozessual die „petitorische Widerklage“ (§ 33 ZPO) zu prüfen. Mehr hierzu findest Du in unserem Kurs zur zivilrechtlichen Urteilsklausur.
Der Fall ist auch aus strafrechtlicher Sicht interessant: Eine Strafbarkeit des E gemäß § 242 Abs. 1 StGB scheitert daran, dass das Auto für Alleineigentümer E nicht fremd ist. Im Übrigen scheitert § 248b Abs. 1 StGB daran, dass B mangels obligatorischer oder dinglicher Berechtigung nicht Berechtigter im Sinne der Norm ist.