Zivilrecht

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Der Besitzschutz

Besitzschutz unter Miterben bei verbotener Eigenmacht – § 861 Abs. 1 BGB

Besitzschutz unter Miterben bei verbotener Eigenmacht – § 861 Abs. 1 BGB

5. Juli 2025

18 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

S und M bilden eine Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB). Zum Nachlass des Erblassers E gehören ein Wohnhaus und die darin befindlichen Gegenstände. M sieht ihr Erbe gefährdet und bringt daher eine Skulptur aus dem Wohnhaus „zur Sicherheit“ in ihren Besitz.

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Einordnung des Falls

Besitzschutz unter Miterben bei verbotener Eigenmacht – § 861 Abs. 1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hatte Besitz an der Skulptur, bevor M sie an sich genommen hat.

Ja, in der Tat!

Der Besitz des E ist durch seinen Tod auf seine Erben übergegangen (Erbenbesitz, § 857 BGB). Es kommt auf eine tatsächliche Sachherrschaft bei S nicht an. Dem steht nicht entgegen, dass auch M Erbin ist. Als Miterben werden S und M Mitbesitzer (§ 866 BGB).
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2. M hat dem S den Mitbesitz an der Skulptur durch verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) entzogen.

Ja!

Verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) ist jede widerrechtlich vorgenommene Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzers in der Ausübung seiner tatsächlichen Sachherrschaft. Widerrechtlich ist die Besitzbeeinträchtigung, wenn sie ohne den Willen des Besitzers erfolgt und gesetzlich nicht besonders gestattet ist. Die Beeinträchtigung kann in einer Sachentziehung oder in einer sonstigen Störung bestehen.M nahm die Skulptur ohne Willen des S in Besitz. Dies war auch nicht gesetzlich besonders gestattet.

3. Wegen § 866 BGB findet unter den Mitbesitzern S und M kein Besitzschutz statt. Die lässt die verbotene Eigenmacht der M entfallen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter Mitbesitzern ist dem Besitzschutz durch § 866 BGB eine Grenze gesetzt. Besitzschutz findet dabei nicht statt, soweit es um die Grenzen des dem Einzelnen zustehenden Gebrauchs geht.Zwischen S und M geht es hier jedoch nicht um die Grenzen des Gebrauchs, sondern um den Entzug des gesamten Mitbesitzes. Dies erfasst § 866 BGB nicht.

4. Die Erbengemeinschaft hat einen Anspruch auf Herausgabe der Skulptur aus § 861 Abs. 1 BGB gegen M, den S für die Erbengemeinschaft geltend machen kann.

Ja, in der Tat!

Der Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Besitzentzug beim Anspruchsteller durch verbotene Eigenmacht, (2) fehlerhafter Besitz des Anspruchsgegners, (3) kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB, (4) kein Erlöschen nach § 864 BGB. M entzog der Erbengemeinschaft den Besitz mit verbotener Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB). M besitzt auch fehlerhaft gegenüber der Erbengemeinschaft, da sie die verbotene Eigenmacht selbst begangen hat (§ 858 Abs. 2 BGB). Der Anspruch ist auch nicht ausgeschlossen nach § 861 Abs. 2 BGB oder erloschen nach § 864 BGB. Da die Besitzeinräumung eine Nachlassforderung ist, kann S jedoch nicht Herausgabe an sich selbst, sondern nur an die Erbengemeinschaft verlangen (§ 2039 S. 1 BGB). S kann also Einräumung von Mitbesitz verlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

WBEA

Willy Beachum

24.2.2020, 09:58:48

Tolles Bild!

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

3.3.2020, 12:45:32

Vielen Dank!! Finden wir auch 😊

DIAA

Diaa

15.10.2023, 13:15:06

Wieso wird ein Besitzentzug bejaht, wenn sie eh keinen unmittelbaren, sondern nur einen

Mitbesitz

hat?

Dogu

Dogu

9.11.2023, 13:45:26

Mitbesitz

ist un

mittelbarer Besitz

.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

31.5.2025, 10:51:43

Hallo @[Diaa](211889), @[Dogu](137074) gibt schon genau den richtigen Hinweis. Es gibt zwar auch mittelbaren

Mitbesitz

, in unserem Fall hier waren die Erben aber in der Tat unmittelbare

Mitbesitz

er. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

paulmachtexamen

paulmachtexamen

23.3.2024, 20:34:58

In der Aufgabenstellung heißt es „Die Erbengemeinschaft hat einen Anspruch auf Herausgabe der Skulptur aus 861 I BGB,…“. Kann die Erbengemeinschaft aber überhaupt einen Anspruch haben? Schließlich ist sie nicht rechtsfähig. Müsste es deswegen nicht besser lauten, dass S einen solchen Anspruch aus 861 hat?

LELEE

Leo Lee

29.3.2024, 03:45:33

Hallo paulmachtexamen, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat ist die Erbengemeinschaft selbst etwa keine jur. Person, sondern eine gesamthänderische Verbundenheit. Diese kann gleichwohl Träger eines Sondervermögens sein und hat insofern eine Rechtsfähigkeit, als sie als Außengesellschaft (also wie bei der GbR vor dem MoPeG handelt)! I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Gergen § 2032 Rn. 19 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

paulmachtexamen

paulmachtexamen

29.3.2024, 11:57:08

Prima, das machts verständlich! Vielen Dank 🙏🏻

OKA

okalinkk

21.4.2025, 18:31:21

@[Leo Lee](213375) @[paulmachtexamen](210803) das versteh ich leider nicht. Ich dachte die Erbengemeinschaft sei nie rechtsfähig?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

18.6.2025, 11:23:52

Ich bin gerade auch darüber gestolpert, als ich zu dieser Frage etwas nachlesen wollte: Die von dir zitierte Stelle @[Leo Lee](213375) gibt doch (jedenfalls in der aktuellen Fassung) an: "Zwar erkennt der II. Zivilsenat des BGH im Wege der Rechtsfortbildung der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts die Rechts- und

Parteifähigkeit

zu, soweit sie als Außengesellschaft durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet. Eine Übertragung dieser Auffassung auf die Erbengemeinschaft kommt jedoch NICHT in Betracht." Auch vgl. BGH NJW-RR 2018, 15 wird die Rechtsfähigkeit von BGH und h.M. allgemein abgelehnt. Hat sich das geändert/ liegt ihr falsch oder übersehen @[okalinkk](253888) und ich was?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

18.6.2025, 11:24:33

Denn ich hab auch mal ein paar Argumente gegen eine Rechtsfähigkeit zusammengetragen - §§ 2032 ff BGB gehen nicht von einer Stellung als Rechtssubjekt aus. - Zweck der Erbengemeinschaft ist allein die Liquidation (die gem. § 2042 BGB jederzeit verlangt werden kann), damit fehlt ein Handlungszweck und eine dahingehende Organisation <-> GbR - Die Erbengemeinschaft entsteht gerade nicht aufgrund eines Vertrags und einer dahingehenden Willensbildung der Gemeinschaftlichkeit, sondern kraft Gesetzes. Damit: keine Rechtsfähigkeit, aber materiellrechtlich

notwendige Streitgenossenschaft

insoweit das BGB dies anordnet. Mich persönlich überzeugt das, bin aber gern für eine Korrektur offen

MaxRaspody

MaxRaspody

14.5.2025, 10:09:03

Woraus leitet sich ab, dass S diesen Anspruch auch im Namen der Erbengemeinschaft geltend machen kann, selbst wenn M dem widerspricht? § 2038 I 2?

K.Attalla

K.Attalla

19.5.2025, 16:09:55

Ich denke aus dem § 2039 S.1 selbst, oder? Dort steht, dass "jeder Miterbe die Leistung nur an alle Erben fordern" kann. Hoffe, ich habe dich richtig verstanden!

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

31.5.2025, 10:46:25

Hallo @[MaxRaspody](162182), @[K.Attalla](217236) hat Deine Frage genau richtig beantwortet, das ergibt sich aus § 2039 S 1 BGB. § 2038 I 2 BGB passt hier nicht. Der 1. Hs begründet lediglich eine Mitwirkungspflicht der anderen Erben, danach könnte S noch nicht unmittelbar alleine klagen. Hs 2 erfasst nur

notwendige

Erhaltungsmaßregeln, die hier ebenfalls nicht gegeben sind, weil allein durch das Wegschaffen der Statue noch kein unmittelbarer

Schaden

am Nachlass droht (näher zu diesem Kriterium statt aller Hk-BGB/Hoeren, 12. Aufl 2024, § 2038 Rn 6). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

FABIA

Fabian7777

9.6.2025, 11:40:02

Der Anspruch aus §861 gehörte doch nicht zum Nachlass sondern entstand erst später als

verbotene eigenmacht

geübt wurde ?

LELEE

Leo Lee

19.6.2025, 10:44:02

Hallo Fabian7777, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat würde man nach engem Verständnis den 2039 ablehnen, da der Anspruch zeitlich nach dem Erbfall entstanden ist und nicht von vornherein vom Erblasser auf die Erben überging. Allerdings ist der 2039 in dieser Hinsicht etwas weiter zu verstehen, weshalb auch solche Ansprüche erfasst werden, die nach dem Erbfall zugunsten der Gemeinschaft entstanden sind. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Gergen § 2039 Rn. 4 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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