Zivilrecht

Sachenrecht

Der Besitzschutz

Besitzschutz unter Ehegatten, § 1361a als lex specialis gegenüber § 861?

Besitzschutz unter Ehegatten, § 1361a als lex specialis gegenüber § 861?

10. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Ehegatten X und Y wollen sich trennen, die Scheidung ist noch nicht erfolgt. Y zieht aus der Ehewohnung aus. Er nimmt den Kaffeevollautomaten mit, der in seinem Eigentum steht, den aber beide Eheleute stets gemeinsam genutzt haben.

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Einordnung des Falls

Besitzschutz unter Ehegatten, § 1361a als lex specialis gegenüber § 861?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vor der Entfernung des Kaffeevollautomaten aus der Ehewohnung hatten X und Y Mitbesitz (§ 866 BGB) hieran.

Ja!

Zwar ist Y Alleineigentümer des Kaffeevollautomaten. Durch die Einbringung in die gemeinsame eheliche Wohnung haben X und Y jedoch auf Basis der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 S. 2 BGB) Mitbesitz (§ 866 BGB).
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2. Indem Y den Kaffeevollautomaten mitnimmt, begeht er verbotene Eigenmacht.

Genau, so ist das!

Verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) ist jede widerrechtlich vorgenommene Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzers in der Ausübung seiner tatsächlichen Sachherrschaft. Widerrechtlich ist die Besitzbeeinträchtigung, wenn sie ohne den Willen des Besitzers erfolgt und gesetzlich nicht besonders gestattet ist. Die Beeinträchtigung kann in einer Sachentziehung oder in einer sonstigen Störung bestehen.Y entfernte die Kaffeemaschine ohne Willen der X. Dies war auch nicht durch eine gesetzliche Regelung besonders gestattet.

3. Aufgrund von § 866 BGB, der eine Regelung für die Grenzen des Gebrauchs unter Mitbesitzern enthält, liegt dennoch keine verbotene Eigenmacht vor.

Nein, das trifft nicht zu!

Unter Mitbesitzern ist dem Besitzschutz durch § 866 BGB eine Grenze gesetzt. Besitzschutz findet dabei nicht statt, soweit es um die Grenzen des dem Einzelnen zustehenden Gebrauchs geht.Zwischen X und Y geht es hier jedoch nicht um die Grenzen des Gebrauchs, sondern um den Entzug des gesamten Mitbesitzes. Diesen Fall erfasst § 866 BGB nicht.

4. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Herausgabeanspruch X gegen Y (§ 861 Abs. 1 BGB) liegen vor.

Ja!

Der Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Besitzentzug beim Anspruchsteller durch verbotene Eigenmacht, (2) fehlerhafter Besitz des Anspruchsgegners, (3) kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB, (4) kein Erlöschen nach § 864 BGB. Y entzog X den Mitbesitz mit verbotener Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB). Y besitzt auch fehlerhaft gegenüber X, da er die verbotene Eigenmacht selbst begangen hat (§ 858 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Anspruch ist auch nicht ausgeschlossen nach § 861 Abs. 2 BGB (kein Fall von verbotener Eigenmacht des Y als Reaktion auf verbotene Eigenmacht der X) oder erloschen nach § 864 BGB (Jahresfrist ab Verübung der verbotenen Eigenmacht).

5. Der Herausgabeanspruch X gegen Y (§ 861 Abs. 1 BGB) ist ausgeschlossen, da § 1361a BGB für die Verteilung von Haushaltsgegenständen bei getrennt lebenden Ehegatten eine speziellere Regelung enthält.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Voraussetzungen des § 1361a BGB liegen zwar vor: X und Y leben getrennt, da zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft mehr besteht und beide sie erkennbar nicht mehr herstellen wollen. Der Kaffeevollautomat ist auch ein Haushaltsgegenstand, da er für das Zusammenleben und die Wohn- und Hauswirtschaft bestimmt ist. Umstritten ist, ob § 1361a BGB den Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB verdrängt (als lex specialis). Dagegen spricht, dass auch zwischen Ehegatten Selbstjustiz zu vermeiden ist. Des Weiteren haben § 1361a BGB und § 861 Abs. 1 BGB unterschiedliche Zielrichtungen: § 1361a BGB bezweckt die endgültige Verteilung der Haushaltsgegenstände. Demgegenüber regelt § 861 Abs. 1 BGB nur die vorläufige Wiederherstellung der bisherigen Besitzverhältnisse.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEL

gelöscht

9.9.2020, 16:39:29

Wenn der Eigentümer seinen Besitz dann rechtlich wiederhaben möchte, muss er dann der Besitzerin ein Ultimatum stellen? also in etwa, in 2 Wochen werde ich die Kaffeemaschine abholen? Hat dann nach den 2 Wochen der Eigentümer den Herausgabeanspruch?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.10.2021, 12:48:41

Hallo :), grundsätzlich muss der Eigentümer keine gesonderte Frist setzen, sondern kann unmittelbar sein Eigentum einfordern. Um allerdings nicht Gefahr zu laufen, dass in einem Gerichtsprozess der Beklagte direkt den Anspruch anerkennt und die Kosten dann des Verfahrens bei dem Eigentümer hängen bleiben (vgl. §

93 ZPO

), ist zumindest erforderlich, dass der Eigentümer zunächst den Schuldner auffordert, das Eigentum herauszugeben. Dies kann aber mit einer deutlich kürzeren Frist erfolgen. Verweigert der Schuldner die Herausgabe, dann besteht hinreichende Veranlassung die Klage zu erheben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

webuser 2014

webuser 2014

14.9.2022, 14:37:50

Hier ging es um den Mitbesitz. X hat automatisch Mitbesitz erhalten am Kaffeeautomaten; Y muss aber jetzt explizit X darum bitten, den Mitbesitz (ihren Anteil) an Y abzugeben bzw. Aufzugeben. Alleiniger Eigentümer ist Y bereits. Wie soll man das Gericht einfordern lol, X hat ja nichts körperliches, das sie zurückbehalten kann.

GEAS

Geasoph

6.9.2021, 14:45:43

Eine Verlinkung der Normen wäre noch nice!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.10.2021, 12:44:47

Hallo Geasoph, das erfolgt normalerweise automatisch. Wenn Du auf die entsprechende Norm klickst, dann wirst Du zu dem entsprechenden Gesetzestext geleitet. Sofern der Fall neu eingestellt ist oder man noch nicht auf die neueste Appversion geupdated hat, kann es hier manchmal Schwierigkeiten geben. Bei mir hat allerdings gerade alles funktioniert. Solltest Du weiterhin Schwierigkeiten haben, dann gib gerne nochmal Bescheid :). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IN

Insa

21.1.2022, 08:26:55

Warum zählt hier nicht § 903 BGB als gesetzlicher Grund, der dem Eigentümer ges

tat

tet mit seinem Eigentum zu verfahren, wie er will? Steht da das Besitzrecht der X dagegen?

VIC

Victor

21.1.2022, 17:36:15

§ 903 BGB führt nicht zu grenzenlosen Befugnissen des Eigentümers. Insbesondere ist der besonders geschützte possessorische

Besitzschutz

zu berücksichtigen. Besitz ist oft einfacher festzustellen als das Eigentum. Unstreitig bestand ja Mitbesitz, sodass eben

§ 861 BGB

zunächst greift. Hiermit soll lediglich Selbstjustiz verhindert werden. Nichtsdestotrotz besteht der Herausgabeanspruch des „Eigentümers“

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.1.2022, 17:44:16

Völlig richtig, Victor. Das § 903 BGB nicht grenzenlos gilt, ergibt sich hier bereits aus dem Wortlaut. Denn hier heißt es einschränkend, dass gesetzliche Regelungen sowie entgegenstehende Rechte Dritter den Befugnissen des Eigentümers entgegenstehen können. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

14.9.2023, 13:18:21

Wäre § 866 im Prüfungsschema dann auch unter "kein Ausschluss" zu prüfen? Also dort, wo auch § 861 II geprüft wird?

H. Schmidt von Church

H. Schmidt von Church

21.11.2024, 16:23:01

Hallo zusammen, ich habe scheinbar ein Brett vor dem Kopf. Es geht um einen möglichen Herausgabeanspruch der X. Y ist Eigentümer der Sache und nimmt sie mit. § 1361a I passt nicht, weil die Sache ja Y und nicht X gehört. Also kann es doch nur § 1361a II sein, der den Eigentümer verpflichtetet, dem anderen Ehegatten die Sache zum Gebrauch zu

überlassen

(die übrige Anforderung außer Acht gelassen). Des Weiteren kann ich das Argument der Vermeidung von Selbstjustiz nicht nachvollziehen, wenn § 1361a III sogar den Versuch einer Einigung für die gerichtliche Klärung voraussetzt. Grundsätzlich finde ich den Begriff der Selbstjustiz vorliegend etwas befremdlich. Beste Grüße!


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