Was ist die systematische Auslegung?

23. Juni 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lawra (L) und Tariq (T) sind auf einer Gegendemonstration zu einer Versammlung der rechtsextremen Gruppierung „letzter Verteidigungswille“. Bei einem Gerangel bekommt L einen Tritt mit einem Stiefel mit Stahlkappe ab. L will eine Körperverletzung anzeigen.

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Einordnung des Falls

Was ist die systematische Auslegung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L fragt sich, ob der Tritt bereits den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen könnte. Müsste der Schuh dafür eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug sein?

Ja, in der Tat!

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst die Körperverletzung durch eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug. Eine Waffe ist ein Gegenstand, der objektiv zur Verletzung bestimmt ist – etwa ein Messer oder eine Schusswaffe. Ein Schuh (auch mit Stahlkappe) ist grundsätzlich nicht zur Verletzung eines Menschen bestimmt und damit keine Waffe. Ob er ein gefährliches Werkzeug ist, hängt davon ab, wie man diesen Begriff auslegt.
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2. Ausgangspunkt für die Frage, ob der Stiefel ein „gefährliches Werkzeug“ ist, ist der Wortlaut von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Würde man einen Stiefel nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als „gefährliches Werkzeug“ einordnen?

Nein!

Ausgangspunkt Deiner Auslegung ist i.d.R. der Wortlaut der Regelung. Der Gesetzeswortlaut spricht von einem „gefährlichen Werkzeug“. Laut Duden ist ein „Werkzeug“ ein „für bestimmte Zwecke geformter Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas [handwerklich] bearbeitet oder hergestellt wird“. Auch die Bezeichnung „gefährlich“ ist zunächst unbestimmt. Ein Schuh dient in der Regel nicht dazu, etwas zu „bearbeiten“, sondern ist ein Bekleidungsstück. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch würde man einen Schuh – auch mit harter Sohle oder Stahlkappe – nicht als „Werkzeug“ qualifizieren. Nach dem reinen Wortlautverständnis von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB wäre dieser vorliegend also nicht erfüllt.

3. Bei der systematischen Auslegung betrachtet man den Kontext der Norm. Muss man bei § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor allem beachten, dass das „gefährliche Werkzeug“ neben dem Begriff der „Waffe“ steht?

Genau, so ist das!

In der Regel musst Du auf verschiedene Methoden der Auslegung zurückgreifen. Insbesondere die Auslegung nach dem reinen Wortlaut einer Norm reicht oftmals nicht aus. Die systematische Auslegung fragt, wie eine Norm in ihrem rechtlichen Zusammenhang steht – also z. B. mit Blick auf benachbarte Begriffe oder Regelungseinheiten im Gesetz. Sie hilft, unbestimmte Begriffe einzuordnen und Widersprüche im Normgefüge zu vermeiden. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nennt „Waffe“ und „gefährliches Werkzeug“ direkt nebeneinander. Daraus folgt: Das Werkzeug muss in seiner objektiven Gefährlichkeit mit einer Waffe vergleichbar sein. Es reicht nicht, dass ein Gegenstand irgendwie Verletzungen hervorrufen kann – er muss dazu geeignet sein, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Bei einem festen Tritt mit einem Stahlkappenschuh kann diese Schwelle erreicht sein – etwa wenn gezielt gegen den Kopf oder in den Bauchbereich getreten wird. In solchen Fällen hat die Rechtsprechung die Einordnung als „gefährliches Werkzeug“ bejaht.
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