Beteiligung an Unterlassungsdelikt
6. November 2025
16 Kommentare
4,7 ★ (37.349 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Mutter M fühlt sich hilflos. Sie schaut untätig zu, als ihr Freund F ihrem 12-jährigen Sohn S zum wiederholten Mal ein paar kräftige Ohrfeigen gibt.
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Einordnung des Falls
Beteiligung an Unterlassungsdelikt
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M hat Beihilfe zur Körperverletzung geleistet, als sie untätig zusah, wie F den S schlug (§§ 223 Abs. 1, 27 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
2. Kann eine strafbare Beihilfe grundsätzlich auch durch das Unterlassen einer Handlung begangen werden?
Ja!
3. Hat M eine Garantenstellung gegenüber S?
Genau, so ist das!
4. F schlägt S und ist damit aktiver Begehungstäter. Kann M durch ihr Unterlassen damit unstrittig lediglich wegen Beihilfe strafbar sein?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Die Rspr. greift für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme auch beim Unterlassen auf den Täterwillen zurück.
Ja!
6. Eine in der Literatur verbreitete Meinung grenzt nach Art der Garantenstellung ab.
Genau, so ist das!
7. Gibt es in der Literatur Stimmen, die auch bei einer Beteiligung durch Unterlassen nach der Tatherrschaftslehre abgrenzen.
Ja, in der Tat!
8. Weil die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid nötig.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Dogu
12.8.2024, 19:48:00
Das Ergebnis der Strafbarkeit von M fehlt.
Tinki
18.8.2024, 18:42:20
Wenn man der
Tatherrschaftslehrefolgt, würde man zu dem Ergebnis kommen, dass sich M wg.
Beihilfe durch Unterlassenstrafbar gemacht hat, indem sie untätig blieb. Richtig?:) @[Dogu](137074)
hardymary
3.8.2025, 14:11:08
@[Tinka](276110) aber doch nur, wenn man annimmt, dass die M das Geschehen nicht hätte beherrschen können, oder? Das wird wahrscheinlich nur durch die Skizze deutlich, indem der Mann ihr körperlich so überlegen ist, oder? Im April ist im Examen in NRW der gleiche Streit gewesen, da hat die Mutter aber das Kind getötet und der Vater „fand es okay“, weil er dann nicht mehr für den Unterhalt zu sorgen hatte und hat somit einfach unterlassen, die Mutter abzuhalten. Hier wurde nur nach der Strafbarkeit des Vaters gefragt und Mord durch Unterlassen angenommen
WayanMajere
17.8.2025, 20:34:46
Das Ergebnis der Strafbarkeit ist ja abhängig von deiner Argumentation und welcher Theorie du folgst. Wenn du nach Art der Garantenstellung unterscheidest ist M Täterin, wenn du der Rspr. folgst liegt eine Beihilfe vor, nach der
Tatherrschaftslehrekommt es auf weitere Faktoren an (das Bild würde hier aber eine Beihilfe nahelegen.)
hardymary
3.8.2025, 14:07:12
Mit einem (etwas) anderen SV ging es im April 2025 in NRW genau um den Streit.
paulmachtexamen
18.10.2025, 18:14:17
Welche Täterschaft läge denn vor, wenn man zu dieser Auffassung gelangt. Alleintäterschaft der Mutter oder Mittäterschaft? Sofern man Mittäterschaft annimmt, fehlt es aber schon vorher im Prüfungsaufbau am gemeinsamen Tatplan oder?
paulmachtexamen
18.10.2025, 18:14:59
@[Foxxy](180364)
Moritz
22.10.2025, 01:13:27
Denkbar ist sowohl eine unmittelbare (Allein-)(Unterlassungs-)Täterschaft (25 I Alt 1) als auch eine
Mittäterschaft durch Unterlassen(25 II). Die Rspr. hat eine
Mittäterschaft durch Unterlassendurchaus schon in ähnlich gelagerten Fällen angenommen (siehe sog. Gaststättenfall), allerdings ohne dogmatische Begründung. Die Voraussetzungen einer
Mittäterschaft durch Unterlassenwären mE vorliegend auch erfüllt, wenn man das Unterlassen def Mutter als täterschaftlichen Tatbeitrag ansieht. Auch an einem gemeinsamen Tatplan würde es nicht fehlen, da ein solcher auch noch im Ausführungsstadium selbst (konkludent) getroffen werden kann (
sukzessive Mittäterschaft) In der Lit. liest man hingegen häufig, dass ein Rückgriff auf die Mittäterschaft hier überflüssig ist (auch wenn die Voraussetzungen des 25 II vorliegen), weil eben schon die Voraussetzungen einer unmittelbaren Alleintäterschaft durch Unterlassen gegeben sind, sodass es nicht den Umweg über die Zurechnung fremden Verhaltens bedarf. Eine
Mittäterschaft durch Unterlassenwird nur in solchen Fällen für erforderlich gehalten, in denen mehrere untätige Garanten den Erfolg nur gemeinschaftlich abwenden konnten (zB Ledersprayfall). Diese Sichtweise finde ich persönlich auch überzeugend, da ich bis jetzt keine plausible Begründung gefunden habe, wieso man auf eine
Mittäterschaft durch Unterlassenzurückgreifen sollte, wenn schon die Voraussetzungen einer Alleintäterschaft durch Unterlassen vorliegen. Nichts desto trotz sollte man natürlich klausurtaktische Erwägungen nicht außer Acht lassen: die Abgrenzung von
Täterschaft und Teilnahmebeim Unterlassen lässt sich besser in einer Prüfung der Mittäterschaft darstellen (im objektiven Tatbestand unter dem Punkt gemeinsame Tatbegehung). Bei der Prüfung der Alleintäterschaft müsstest du dafür vermutlich einen eigenen Prüfungspunkt (zB im Rahmen einer Vorprüfung nach der ggf vorzunehmenden Abgrenzung von Tun und Unterlassen) verwenden. Zudem könnte die Mittäterschaft weitere klausurrelevante Probleme aufwerfen (zB eben
sukzessive Mittäterschaft, etc).
Moritz
22.10.2025, 01:20:09
d.h. die Voraussetzung einer
Beihilfe durch Unterlassenist die (verletzte) Garantenpflicht oder auch die übrigen (auch ungeschriebenen) Voraussetzungen des 13 StGB?
Foxxy
22.10.2025, 01:20:14
Für eine
Beihilfe durch Unterlassenist entscheidend, dass du als Gehilfe eine Garantenstellung hast (§ 13 StGB). Das bedeutet: Du bist rechtlich verpflichtet einzugreifen (z.B. als Mutter gegenüber deinem Kind). Zusätzlich müssen die allgemeinen Voraussetzungen des §
27 StGBerfüllt sein (vorsätzliches, objektiv förderndes Verhalten in Bezug auf die Haupttat). Die übrigen (auch ungeschriebenen) Voraussetzungen des § 13 StGB, wie Möglichkeit und Zumutbarkeit des Eingreifens, gelten ebenfalls. Kurz: Ohne Garantenpflicht keine
Beihilfe durch Unterlassen.
Moritz
22.10.2025, 01:21:54
Aber welche Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts bzw einer Unterlassungstäterschaft dürfen bei einer
Beihilfe durch Unterlassendann fehlen?
Moritz
22.10.2025, 01:22:05
@[Foxxy](180364)
Foxxy
22.10.2025, 01:22:09
@Moritz(230483) Bei der
Beihilfe durch Unterlassenmüssen grundsätzlich alle Voraussetzungen eines unechten Unterlassungsdelikts vorliegen, insbesondere Garantenstellung, Möglichkeit und Zumutbarkeit der Handlung sowie Kausalität zwischen dem Unterlassen und der Haupttat. Allerdings musst du nicht alle subjektiven Merkmale eines Täters erfüllen (z.B. kein Täterwille erforderlich), sondern es reicht der
Gehilfenvorsatz. Die Strafbarkeit richtet sich dann nach §
27 StGBi.V.m. § 13 StGB. Fehlen darf also der Täterwille, alles andere (Garantenstellung, Möglichkeit, Zumutbarkeit, Kausalität) muss erfüllt sein.
Moritz
22.10.2025, 01:24:12
Wie würde dann eine Prüfung einer
Beihilfe durch Unterlassenaussehen? (Schema)
Moritz
22.10.2025, 01:24:22
@[Foxxy](180364)
Foxxy
22.10.2025, 01:24:26
@Moritz(230483) Das Schema für die Prüfung einer
Beihilfe durch Unterlassensieht so aus: 1. Haupttat: Vorliegen und
Rechtswidrigkeit der vorsätzlichen,
rechtswidrigen Haupttat eines anderen. 2. Beihilfehandlung durch Unterlassen: a) Garantenstellung des Unterlassenden (§ 13 StGB) b) Möglichkeit und Zumutbarkeit des Eingreifens c) Objektive Förderung der Haupttat durch das Unterlassen (Kausalität und
objektive Zurechnung) 3.
Vorsatzbezüglich der eigenen Garantenstellung, der Haupttat und der eigenen fördernden Wirkung (
Gehilfenvorsatz) 4.
Rechtswidrigkeit und Schuld Wichtig: Es genügt der
Gehilfenvorsatz, ein Täterwille ist nicht nötig. Alle objektiven Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts müssen aber vorliegen.
