Falsche Gerichtsbesetzung - Grundfall

11. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Schwurgericht verurteilt. Das Gericht war in der gesamten Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt. Dies wurde zwei Wochen vor dem Prozess vom Vorsitzenden ordnungsgemäß mitgeteilt (§ 222a StPO). A reagierte darauf nicht.

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Einordnung des Falls

Falsche Gerichtsbesetzung - Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn das Gericht in der Hauptverhandlung nicht vorschriftsmäßig besetzt war, liegt ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 338 Nr. 1 StPO vor.

Nein!

Achtung! § 338 Nr. 1 StPO regelt nur, dass in den Fällen, in denen das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, unwiderleglich vermutet wird, dass das Urteil auf dieser Gesetzesverletzung beruht. Dagegen stellt § 338 StPO nicht selbst eine Verfahrensvorschrift dar, gegen die das Gericht verstoßen kann. Verfahrensvorschriften sind nur solche Vorschriften, die den Weg beschreiben, auf dem das Gericht zu seinem Urteil gelangt. Der Anwendung des § 338 Nr. 1 StPO vorgelagert ist also ein Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die sich mit der vorschriftsgemäßen Besetzung beschäftigt. In der Klausur sind diese regelmäßig im GVG oder im Recht des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) zu finden.
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2. Das Urteil war rechtsfehlerhaft, da das Schwurgericht in der falschen Gerichtsbesetzung verhandelt und entschieden hat (§ 76 Abs. 1 S.1, Abs. 2 GVG).

Genau, so ist das!

Gemäß § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 1 GVG verhandelt die große Strafkammer am Landgericht mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen, wenn sie als Schwurgericht zuständig ist. Die Kammer verhandelte nur mit zwei Berufsrichtern, obwohl in der hiesigen Konstellation die Besetzung mit drei Berufsrichtern zwingend vorgeschrieben ist. Damit ist das Urteil rechtsfehlerhaft.

3. Es wird unwiderleglich vermutet, dass das Urteil auf der fehlerhaften Gerichtsbesetzung beruht (§ 338 Abs. 1 StPO).

Ja, in der Tat!

Es handelt sich um einen Fehler der Gerichtsbesetzung. Hier greift die Vermutungsregelung des § 338 Nr. 1 StPO. Hintergrund ist die hohe Bedeutung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), das durch die Vorschriften zur Gerichtsbesetzung verwirklicht wird. Die Vermutungswirkung des § 338 StPO entfällt nur, wenn es bereits denkgesetzlich von vorneherein ausscheidet, dass das Urteil tatsächlich anders ausgefallen wäre, wenn die Verfahrensvorschrift nicht verletzt worden wäre.

4. In § 338 Nr. 1 Hs. 2 StPO ist die sogenannte Rügepräklusion normiert. Entfällt die Vermutungswirkung des § 338 Nr. 1 Hs. 1 StPO, wenn die Rügepräklusion greift?

Nein!

War die Besetzungsmitteilung (§ 222a StPO) vorgeschrieben, kann gemäß § 338 Nr. 1 Hs. 2 StPO der Besetzungseinwand in der Revision nur unter bestimmten Voraussetzungen erhoben werden. Diese Regelung bezieht sich nicht auf das Beruhen. Erhebt A trotz Mitteilung keine form- und fristgerechte Rüge (§ 222b StPO), schließt die Regelung allerdings aus, dass die Revision auf die fehlerhafte Besetzung gestützt wird (Präklusion).Die Mitteilung erfolgt spätestens zu Beginn der Verhandlung (§ 222a Abs. 1 StPO). Sinn der Präklusionsregelung ist, dass die Verhandlung nicht von Beginn an unter dem „Damoklesschwert” der Besetzungsrüge stehen soll. Dies sollte die Zahl der wegen Besetzungsrügen aufgehobenen Urteile reduzieren und so Justizressourcen schonen.

5. As Revision hat keinen Erfolg, da er mit dem Besetzungseinwand in der Revision präkludiert ist (§ 338 Nr. 1 Hs. 2 StPO).

Genau, so ist das!

Ist die Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO vorgeschrieben, ist die Revision nur möglich, wenn das Ausgangs- oder Rechtsmittelgericht die falsche Besetzung festgestellt hat (§ 338 Nr. 1 Hs. 2 lit a StPO), oder eine Ausnahme des § 338 Nr. 1 Hs. 2 lit b StPO vorliegt. Vor dem Landgericht ist die Besetzungsmitteilung vorgeschrieben (§ 222a Abs. 1 StPO). Die falsche Besetzung wurde nicht festgestellt (§ 338 Nr. 1 Hs. 2 lit a StPO). Die Besetzungsmitteilung war ordnungsgemäß und erging zwei Wochen vor Prozessbeginn, A hat dennoch keine Rüge erhoben. Damit liegt kein Ausnahmetatbestand des § 338 Nr. 1 Hs. 2 lit. b StPO vor. A ist mit dem Besetzungseinwand präkludiert. Seine Revision hat keinen Erfolg.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

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jurafuchsles

28.8.2024, 14:12:04

wie baut man dass den sinnvoll in der Klausur auf? prüft man das zuerst alles durch und stellt dann als Schlusspunkt fest, dass die Rüge aber

präkludiert

ist?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

18.9.2024, 10:39:18

Hallo @[jurafuchsles](108594), ich würde hier in der

Revisionsklausur

(von der Du vermutlich redest) nicht direkt zur Präklusion springen, weil sie (jedenfalls in NRW) auch nicht aus Gerichtssicht erfolgt, sondern einem anwaltlichen Gutachten zumindest ähneln soll. § 338 Nr 1 StPO, die Besetzung und den Besetzungseinwand im Detail und erst recht im Gutachtenstil darzulegen, scheint mir aber im 2. Examen ebenfalls wenig sinnvoll. Der Aufwand, hier zunächst mit sauberem Normbezug kurz auf die Fehlerhaftigkeit der Besetzung hinzuweisen und dann zu erwähnen, dass ein Fall des § 222a StPO vorliegt, bevor man zu § 338 Nr 1, 2. Hs lit a StPO kommt, düfte sich allerdings sehr in Grenzen halten. Das scheint mir ein guter Kompromiss aus Vollständigkeit und praktischer Effizienz, der Dich in der Klausur auch nicht zu viel Zeit kostet. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


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