Fehlerhafte Mitwirkung einzelner Richter - Persönliche Gründe

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B werden vor der großen Strafkammer verurteilt. In der Verhandlung saß einer der Schöffen während einer Zeugenvernehmung längere Zeit mit geschlossenen Augen, leicht geöffnetem Mund und den Kopf locker nach vorne geneigt auf seinem Platz und schlief, bis ein Beisitzer ihn mit einem Rippenstoß aufweckte.

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Einordnung des Falls

Fehlerhafte Mitwirkung einzelner Richter - Persönliche Gründe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die große Strafkammer ist immer mit zwei Schöffen besetzt (§ 76 Abs. 1, 2 GVG).

Ja, in der Tat!

Die große Strafkammer am Landgericht ist mit zwei oder drei Berufsrichtern (vgl. § 76 Abs. 2 GVG) und zwei Schöffen besetzt (§ 76 Abs. 1 S. 1 GVG).
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2. Das Gericht kann auch fehlerhaft besetzt sein, wenn ein Richter aus in seiner Person liegenden Gründen nicht bei der Verhandlung mitwirken durfte oder konnte.

Ja!

Die Besetzungsrüge kann auch darauf gestützt werden, dass ein Richter oder Schöffe aus in seiner Person liegenden Gründen nicht bei der Verhandlung mitwirken durfte oder konnte, etwa bei Verhandlungsunfähigkeit, fehlender Eignung zum Richteramt oder geistiger Abwesenheit. Letzteres ist aber nur ein Revisionsgrund, wenn der Richter wesentlichen Vorgängen der Verhandlung über einen erheblichen Zeitraum nicht folgte. Dies stellt dann einen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters dar (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG)

3. Da der Schöffe im Prozess über einen längeren Zeitraum geistig abwesend war, ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt (Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG).

Genau, so ist das!

Die Besetzungsrüge kann darauf gestützt werden, dass ein Richter oder Schöffe aus in seiner Person liegenden Gründen nicht bei der Verhandlung mitwirken durfte oder konnte. Bei geistiger Abwesenheit liegt ein Revisionsgrund nur vor, wenn der Richter wesentlichen Vorgängen der Verhandlung über einen erheblichen Zeitraum nicht folgte.Der Schöffe schlief hier über einen längeren Zeitraum und musste erst unsanft geweckt werden. Mit der Zeugenvernehmung verpasste er auch einen wesentlichen Teil der Verhandlung. Denn das Gericht schöpft seine Überzeugung aus dem Inbegriff der ganzen Verhandlung (vgl. § 261 StPO), was dem Schöffen nicht mehr möglich war.Die Fallgruppen der Besetzungsrüge sind in der Kommentierung im Meyer-Goßner zu § 338 StPO aufgelistet. Hieran kann man sich in der Klausur gut orientieren.

4. Dass das Urteil auf der geistigen Abwesenheit des Schöffen und damit auf der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beruht, wird nach § 338 Nr. 5 StPO unwiderleglich vermutet.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 338 Nr. 5 StPO greift, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Zwar müssen Schöffen, wie Berufsrichter auch, während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein (vgl. § 261 StPO). Für diese ist aber § 338 Nr. 1 StPO die speziellere Norm. § 338 Nr. 5 StPO findet hier keine Anwendung.

5. Dass das Urteil auf der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beruht, wird nach § 338 Nr. 1 StPO unwiderleglich vermutet.

Ja!

§ 338 Nr. 1 StPO greift, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Das Gericht ist falsch besetzt, da einer der Schöffen für einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung geistig abwesend war. Damit greift die Vermutungswirkung des § 338 Nr. 1 StPO. Die Vermutungswirkung entfällt nur, wenn ausnahmsweise das Beruhen denkgesetzlich von vorneherein ausgeschlossen ist. Es ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass der Schöffe, wäre er der Zeugenvernehmung gefolgt, einen anderen Einfluss auf die Urteilsfindung genommen hätte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAV

DavidC10

8.6.2024, 17:02:11

In der Lösung steht: Zwar müssen Schöffen, wie Berufsrichter auch, während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein (vgl. §

261 StPO

). Für diese ist aber § 338 Nr. 1 StPO die speziellere Norm. § 338 Nr. 5 StPO findet hier keine Anwendung. Ganz so apodiktisch würde ich das nicht sehen, angesichts dieses BGH-Urteils: [BGH 3 StR 84/16 - Beschluss vom 20. September 2016 (LG Lüneburg), https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/16/3-84-16.php) Rn. 15 Die Abwesenheit des Strafkammervorsitzenden im Sitzungssaal während der Vernehmung der Zeu- gin und somit während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung stellt einen absoluten Revisi- onsgrund nach § 338 StPO dar. Es bedarf dabei keiner abschließenden Entscheidung, ob diese Fälle mit der bisherigen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur als vorschrifts- widrige Gerichtsbesetzung zu bewerten sind und deshalb § 338 Nr. 1 StPO anzuwenden ist […] oder ob - wozu der Senat neigt - Fallkonstellationen der vorliegenden Art unter § 338 Nr. 5 StPO zu sub- sumieren sind, weil die Hauptverhandlung teilweise in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Dies kann insbesondere deshalb dahinstehen, weil die Revisionsrüge auch bei Anwendung des § 338 Nr. 1 StPO nicht präkludiert ist. Die - in § 338 Nr. 5 StPO nicht enthaltenen - Präklusionsregelungen des § 338 Nr. 1 StPO finden dann keine Anwendung, wenn wie hier der Grund für die fehlerhafte Gerichtsbesetzung erst während der Hauptverhandlung entsteht […]. Ein Verständnis des Normengefüges dahin, dass der Angeklagte in der Hauptverhand- lung eine Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen muss, um sich die entsprechende Re- visionsrüge zu erhalten […], kommt wie dargelegt nicht in Betracht.“


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