Referendariat
Die Revisionsklausur im Assessorexamen
Begründetheit II: Verletzungen des Verfahrensrechts (Verfahrensrüge)
Fehlerhafte Mitwirkung einzelner Richter - Persönliche Gründe
Fehlerhafte Mitwirkung einzelner Richter - Persönliche Gründe
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B werden vor der großen Strafkammer verurteilt. In der Verhandlung saß einer der Schöffen während einer Zeugenvernehmung längere Zeit mit geschlossenen Augen, leicht geöffnetem Mund und den Kopf locker nach vorne geneigt auf seinem Platz und schlief, bis ein Beisitzer ihn mit einem Rippenstoß aufweckte.
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Einordnung des Falls
Fehlerhafte Mitwirkung einzelner Richter - Persönliche Gründe
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die große Strafkammer ist immer mit zwei Schöffen besetzt (§ 76 Abs. 1, 2 GVG).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Gericht kann auch fehlerhaft besetzt sein, wenn ein Richter aus in seiner Person liegenden Gründen nicht bei der Verhandlung mitwirken durfte oder konnte.
Ja!
3. Da der Schöffe im Prozess über einen längeren Zeitraum geistig abwesend war, ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt (Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG).
Genau, so ist das!
4. Dass das Urteil auf der geistigen Abwesenheit des Schöffen und damit auf der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beruht, wird nach § 338 Nr. 5 StPO unwiderleglich vermutet.
Nein, das trifft nicht zu!
5. Dass das Urteil auf der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG beruht, wird nach § 338 Nr. 1 StPO unwiderleglich vermutet.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
DavidC10
8.6.2024, 17:02:11
In der Lösung steht: Zwar müssen Schöffen, wie Berufsrichter auch, während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein (vgl. §
261 StPO). Für diese ist aber § 338 Nr. 1 StPO die speziellere Norm. § 338 Nr. 5 StPO findet hier keine Anwendung. Ganz so apodiktisch würde ich das nicht sehen, angesichts dieses BGH-Urteils: [BGH 3 StR 84/16 - Beschluss vom 20. September 2016 (LG Lüneburg), https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/16/3-84-16.php) Rn. 15 Die Abwesenheit des Strafkammervorsitzenden im Sitzungssaal während der Vernehmung der Zeu- gin und somit während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung stellt einen absoluten Revisi- onsgrund nach § 338 StPO dar. Es bedarf dabei keiner abschließenden Entscheidung, ob diese Fälle mit der bisherigen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur als vorschrifts- widrige Gerichtsbesetzung zu bewerten sind und deshalb § 338 Nr. 1 StPO anzuwenden ist […] oder ob - wozu der Senat neigt - Fallkonstellationen der vorliegenden Art unter § 338 Nr. 5 StPO zu sub- sumieren sind, weil die Hauptverhandlung teilweise in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Dies kann insbesondere deshalb dahinstehen, weil die Revisionsrüge auch bei Anwendung des § 338 Nr. 1 StPO nicht
präkludiertist. Die - in § 338 Nr. 5 StPO nicht enthaltenen - Präklusionsregelungen des § 338 Nr. 1 StPO finden dann keine Anwendung, wenn wie hier der Grund für die fehlerhafte Gerichtsbesetzung erst während der Hauptverhandlung entsteht […]. Ein Verständnis des Normengefüges dahin, dass der Angeklagte in der Hauptverhand- lung eine Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen muss, um sich die entsprechende Re- visionsrüge zu erhalten […], kommt wie dargelegt nicht in Betracht.“
Linne_Karlotta_
21.10.2024, 10:15:14
Hallo @[DavidC10](253338), danke für deine Anmerkung. Nach unserer Recherche ist der BGH tatsächlich in einzelnen Entscheidungen in neuester Zeit von der bist dato ganz h.M. (vgl. Franke, in: Löwe-Rosenberg, 26.A. 2012, § 338 RnNr. 38; Gericke, in: KK-StPO, 9.A. 2023, § 338 RnNr. 71) abgewichen. Der Streit spielt allerdings praktisch eigentlich kaum eine Rolle, da es im Kern darum geht, ob die Präklusionsrüge nach § 338 Nr. 1 mit der h.M. anwendbar ist oder nicht. Bei den vorliegenden Fällen entsteht die Fehlbesetzung aber regelmäßig erst während der Hauptverhandlung, wodurch die Präklusion ohnehin ausscheidet (vgl. Kudlich, „Schlaf des Gerechten(?)“, JA 2023, 81; BGH, Beschl. v. 20.09.2016 - 3 StR 84/16;BGH , Beschl. v. 3.4.2019 – 5 StR 87/19). Das entkräftet auch den Hauptvorwurf der Gegenmeinung, die h.M. wolle nur die Präklusion nutzbar machen (vgl. Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 226 StPO, Rn. 27). Insbesondere wendet auch z.B. BGH Beschl. v. 6.9.2022 – 1 StR 63/22 weiterhin die h.M. an, ohne die Gegenmeinung auch nur zu erwähnen. Aus diesen Gründen haben wir den Meinungsstreit hier nicht vertieft dargestellt. Ich habe aber einen entsprechenden Hinweis in die Aufgabe eingefügt. Viele Grüße, Linne – für das Jurafuchs-Team