Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Was ist eine reformatio in peius? Warum ist die reformatio in peius problematisch? (Einführungsfall)

Was ist eine reformatio in peius? Warum ist die reformatio in peius problematisch? (Einführungsfall)

29. März 2025

4 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

reformatio in peius

A beantragt bei Behörde B die Gewährung einer Subvention i.H.v. € 50.000. B bewilligt lediglich € 40.000. Gegen die Entscheidung, nicht mehr als € 40.000 zu bewilligen, legt A Widerspruch ein. Widerspruchsbehörde W weist den Widerspruch zurück und kürzt die Subvention auf € 30.000.

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Einordnung des Falls

Was ist eine reformatio in peius? Warum ist die reformatio in peius problematisch? (Einführungsfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Handeln der Verwaltung, insbesondere der Erlass von belastenden Verwaltungsakten, bedarf grundsätzlich immer einer gesetzlichen Befugnisnorm.

Ja!

Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), konkret dem Vorbehalt des Gesetzes, ergibt sich, dass die Verwaltung grundsätzlich nur in dem Umfang tätig werden darf, wie es durch eine gesetzliche Befugnisnorm vorgesehen ist.
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2. W hat im Rahmen des Widerspruchsverfahrens den angegriffenen Verwaltungsakt zu As Nachteil abgeändert. Ist es umstritten, ob die Behörde dafür eine Befugnis hat?

Genau, so ist das!

Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, ist es umstritten, ob die Widerspruchsbehörde die Befugnis hat, einen Verwaltungsakt im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zum Nachteil des Widerspruchsführers zu ändern. Diese Problematik wird unter dem Begriff der reformatio in peius diskutiert. Eine weitere Bezeichnung ist die Verböserung des Verwaltungsakts. Die Befugnis zur Verböserung steht der Behörde unproblematisch dann zu, wenn dies ausdrücklich durch ein Gesetz vorgesehen ist, was allerdings selten der Fall ist (z.B. in § 367 Abs. 2 S. 2 AO).

3. A hat den Bescheid angegriffen, weil er die Begünstigung für zu gering hielt. Könnte es gegen den Grundsatz des Vertrauensschutz verstoßen, dass A am Ende „noch weniger“ bekommt?

Ja, in der Tat!

Ob eine Verböserung im Widerspruchsverfahren zulässig ist, ist höchst strittig. Im Wesentlichen stehen sich Aspekte des Vertrauensschutzes des Widerspruchsführers und der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gegenüber. Beide Prinzipien werden aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet, sodass sie grundsätzlich auf der selben Stufe stehen und in einen Ausgleich gebracht werden müssen. Nach einer Ansicht darf der Widerspruchsführer auf den Fortbestand einer einmal erteilten Begünstigung vertrauen. Hiernach durfte A darauf vertrauen, dass der Subventionsbescheid mindestens i.H.v. € 40.000 weiterhin bestehen bleibt. Ws Änderung des Bescheids auf € 30.000 wäre daher unzulässig.

4. Die Verwaltung ist zu rechtmäßigem Handeln verpflichtet (Art. 20 Abs. 3 GG). Spricht dieser Grundsatz gegen eine Befugnis zur Verböserung des Verwaltungsakts?

Nein!

Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) der Verwaltung wird als Argument für die Befugnis der Behörde zur Verböserung im Widerspruchsverfahren angeführt. Denn die Behörde ist zu rechtmäßigem Handeln und zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände verpflichtet. Nach einer Ansicht muss die reformatio in peius grundsätzlich zulässig sein. Hiernach wäre Ws Abänderung des angegriffenen Subventionsbescheids grundsätzlich zulässig. In dieser Lerneinheit sollst Du erstmal ein Gefühl dafür bekommen, was die reformatio in peius ist. Wir schauen uns die einzelnen Argumente später noch vertieft an!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

c_p

c_p

9.12.2024, 13:03:25

Wäre das ein Fall nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO oder sind das nur Bauchrechtsfälle mit Drittbezug? Beziehungsweise würde es dem Klagebegehren nicht eher entsprechen in diesem Fall eine

Verpflichtungsklage

auf Erlass der Subvention in voller Höhe zu stellen? Vielen Dank für eine kurze Rückmeldung.

Alv Tny Km

Alv Tny Km

30.1.2025, 12:54:39

Um eine echte Verschlechterung i.S.d.

reformatio in peius

handelt es nur in Fällen des § 79 II VwGO. Der § 79 I Nr.2 VwGO umfasst eben die Problematik der Drittanfechtung -mit erstmaliger

Beschwer

-. Der ursprünglich Begünstigter (Bauherr bekommt die Baugenehmigung) wird auf Grund eines Drittwiderspruchs (durch den Nachbar) nun mit einer Belastung konfrontiert. Beispiel hierfür: Dem B wird die Baugenehmigung erteilt, N (Nachbar) legt gegen die Genehmigung einen Widerspruch ein und dadurch fügt die

Behörde

der Baugenehmigung belastenden

Nebenbestimmung

en hinzu. Der § 79 I Nr.2 VwGO ist dementsprechend auf Fälle mit Drittbezug beschränkt. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor.

OKA

okalinkk

1.3.2025, 12:31:14

@[Alv Tny Km ](78610) inwiefern sind die 30 000 Euro dann aber eine zusätzliche selbstständige

Beschwer

iSv 79 II VwGO? Es ist doch die selbe

Beschwer

die nur verbösert wird

OKA

okalinkk

1.3.2025, 19:08:01

@[Alv Tny Km ](78610) es stimmt übrigens nicht, dass 79 I Nr 2 nur auf Fälle der Drittanfechtung beschränkt ist. Wenn der Kläger zB Subventionen in Höhe von 5000 Euro beantragt hatte und dann 4000 bekommt und er dann dagegen Widerspruch einlegt und die Widerspruchs

behörde

ihm dann die Zahlung gänzlich versagt, würde eine

erstmalige Beschwer

iSv 79 I Nr 2 VwGO vorliegen. Denn die Genehmigung ihv 4000 Euro stellt sich ingesamt als eine Begünsigung dar (auch wenn er ursprünglich 5000 Euro beantragt hat). Wird ihm nun die Zahlung gänzlich versagt, so liegt eine

erstmalige Beschwer

iSv 79 I Nr 2 Vwgo vor. Diese sog. Unechte RIP wird prozessual der echten RIP gleichgestellt. Die Frage ist im obigen Fall, wie es sich verhält wenn nun nicht die Leistung gänzlich versagt wird, sondern noch weniger als ursprünglich genehmigt wird. Vllt könnte da Jura Fuchs helfen. Soweit ich das in Erfahrung gebracht habe, liegt hier dann keinerlei

Beschwer

vor - also nicht mal eine

erstmalige Beschwer

. Somit wäre hier nur eine

Verpflichtungsklage

mgl


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