Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Reformatio in peius oder neue Regelung?

Reformatio in peius oder neue Regelung?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Behörde B erteilt Prinzessin P eine Baugenehmigung für Ps neues Schloss unter der Auflage, dass die Außentreppe mit einem Geländer gesichert wird. P legt gegen die Auflage Widerspruch ein. Die Widerspruchsbehörde W weist diesen zurück und ordnet dazu die Anbringung eines Fallnetzes unter der Treppe an.

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Einordnung des Falls

Reformatio in peius oder neue Regelung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich hat die Widerspruchsbehörde die Kompetenz, den Widerspruch zurückzuweisen (§ 73 Abs. 1 VwGO).

Ja, in der Tat!

Die Widerspruchsbehörde kann dem Widerspruch sowohl abhelfen als auch den Widerspruch zurückweisen. Sie hat eine umfassende Entscheidungsbefugnis. Ihre Befugnis geht damit über die Befugnis der Ausgangsbehörde hinaus, der nur eine Abhilfebefugnis zukommt (vgl. §§ 72, 73 Abs. 1 VwGO). W durfte Ps Widerspruch zurückweisen.
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2. W hat den Ausgangsbescheid zuungunsten der P verändert. Ist dies materiell-rechtlich ausdrücklich zulässig?

Nein!

Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, ist es umstritten, ob die Widerspruchsbehörde die Befugnis hat, einen Verwaltungsakt im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zum Nachteil des Widerspruchsführers zu ändern. Die h.M. geht aber – vor allem mit Verweis auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung – von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Verböserung im Widerspruchsverfahren aus. Nach der h.M. war W grundsätzlich befugt, i.R.d. Widerspruchsverfahrens eine weitere Belastung für P, nämlich die Auflage des Auffangnetzes, zu erlassen.

3. An welchen Maßstäben die Verböserung durch die Widerspruchsbehörde zu messen sind, richtet sich danach, ob eine „echte Reformatio in peius“ oder eine gänzlich neue Entscheidung vorliegt.

Genau, so ist das!

Die Widerspruchsbehörde hat grundsätzlich eine vollumfängliche Prüfkompetenz bezüglich der Recht- und Zweckmäßigkeit des Ausgangsbescheids. Diese Kompetenz setzt zugleich die Grenzen für die Abänderung des Ausgangsbescheids durch die Widerspruchsbehörde: Sie darf den Bescheid nur insoweit verändern, wie dies – bei wertender Betrachtung – noch im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Verwaltungsverfahren steht (qualitative Mehrbelastung). Nur in diesen Fällen liegt eine „echte“ Reformatio in peius vor. Eine gänzlich neue Regelung zu erlassen, überschreitet die Prüfungskompetenz der Widerspruchsbehörde. Ein solcher sog. „Selbsteintritt“ ist nur rechtmäßig, wenn der Widerspruchsbehörde ein Selbsteintrittsrecht zusteht. Dazu später mehr!

4. Nach wertender Betrachtung liegt Ps Belastung noch im Rahmen des Gegenstands des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens.

Ja, in der Tat!

Die Prüfkompetenz der Widerspruchsbehörde begründet die Kompetenz dieser, den Ausgangsbescheid auch zuungunsten des Widerspruchsführer zu verändern. Sie darf den Bescheid jedoch nur soweit verändern, wie dies – bei wertender Betrachtung – noch im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Verwaltungsverfahren steht. Bei der neuen Regelung handelt es sich, wie im Ursprungsbescheid auch, um eine Auflage, die der Sicherheit dient. Es wird keine gänzlich neue Regelung (wie z.B. Verbot des Treppenbaus) getroffen, sondern eine bereits angelegte Auflage „verschärft“. Das Auffangnetz bewegt sich noch im Rahmen des ursprünglichen Verwaltungsverfahrens bezüglich des Treppengeländers. Es liegt eine „echte“ reformatio in peius vor.
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