Mitwirkung des Ratsmitglieds durch Entscheidung im Rat - "Stunkstadt - Green City"


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Der Rat der kreisfreien Stadt Stunkstadt will aus der Betonwüste, die sich Innenstadt nennt, einen urbanen und lebenswerten Begegnungsort machen. Der Entwurf eines Bebauungsplans sieht vor, dass die meisten Läden an den Stadtrand verlagert werden sollen. Ratsmitglied R betreibt in dem Plangebiet einen Kosmetiksalon. Bei der finalen Beschlussfassung über den Bebauungsplan sind 30 von 35 Ratsmitgliedern anwesend. R stimmt gegen die Satzung. Die Satzung wird dennoch mit 18 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen.

Einordnung des Falls

Mitwirkung des Ratsmitglieds durch Entscheidung im Rat - "Stunkstadt - Green City"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Sinn und Zweck des Mitwirkungsverbotes (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, 22 Abs. 1 GO SH) ist es, die Integrität der Verwaltung zu fördern und das Vertrauen der Bürgerinnen in die Verwaltung zu wahren.

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Ja!

Die Verwaltung soll ausschließlich dem öffentlichen Wohl dienen. Kommunale Entscheidungsträger sind wegen der besonderen Lebensnähe des Kommunalrechts besonders häufig von ihren eigenen Entscheidungen selbst betroffen. Die persönliche Betroffenheit erhöht die Gefahr, dass die Mitwirkung an Entscheidungen durch individuelle Sonderinteressen und nicht ausschließlich durch das öffentliche Wohl bestimmt wird. Durch Mitwirkungsverbote soll bereits der „böse Schein“ einer parteiischen Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung, mitsamt des damit einhergehenden Ansehensverlustes, vermieden werden. Auch in nicht-kommunalrechtlichen Sachverhalten soll die Mitwirkung befangener Entscheidungsträger zurückgedrängt werden. Die allgemeinen Vorschriften dazu findest Du in §§ 20, 21 VwVfG.

2. Der Rat war beschlussfähig.

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Genau, so ist das!

Die Beschlussfähigkeit liegt vor, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder anwesend ist (z.B. § 37 Abs. 2 S. 1 GemO BW, § 38 Abs. 1 S. 1 KVerf BB, § 44 Abs. 1 S. 1 GO KSVG SL). Bei 35 gesetzlichen Mitgliedern bedarf es der Anwesenheit von 18 Ratsmitgliedern. Mit 30 Ratsmitgliedern waren mehr als die geforderten 18 anwesend.

3. Der Rat hat den Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst.

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Ja, in der Tat!

Grundsätzlich werden Beschlüsse im Rat mit Stimmenmehrheit gefasst. Eine Ausnahme ist in diesem Fall nicht ersichtlich. Bei 30 anwesenden Mitgliedern sind 16 Ja-Stimmen erforderlich. Für den Bebauungsplan stimmten 18 Ratsmitglieder.

4. R hat an der Entscheidung mitgewirkt.

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Ja!

Der Entscheidungsträger darf weder beratend noch entscheidend an der Entscheidung mitwirken (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH). R hat in der Sitzung abgestimmt und somit entscheidend mitgewirkt. Selbst wenn R sich entgegen seines individuellen Sonderinteresses für die für ihn nachteilhafte Angelegenheit gestimmt hätte, hätte er unter Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH an der Entscheidung mitgewirkt.

5. Ist R befangen?

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Genau, so ist das!

Das Mitwirkungsverbot (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH) greift ein, wenn die Entscheidung einen Vorteil oder einen Nachteil bringen kann. Vorteil ist jede Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Lage der betroffenen Person. Ein Nachteil ist im Umkehrschluss jede Verschlechterung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Lage der betroffenen Person. Entscheidend ist, ob ein individuelles Sonderinteresse und gerade kein allgemeines gesellschaftliches, weltanschauliches oder politisches Allgemeininteresse, aus objektiver Sicht (1) konkret möglich und (2) hinreichend wahrscheinlich erscheint. R betreibt einem Kosmetiksalon in dem Plangebiet. Dieser muss wahrscheinlich an den wirtschaftlich unattraktiveren Stadtrand umziehen, wenn der Bebauungsplan beschlossen wird. Daher kann ihm die Entscheidung einen Nachteil bringen. Es steht zwar nicht fest, ob dieser auch an den Stadtrand verlagert wird. Allerdings ist das (1) konkret möglich und (2) hinreichend wahrscheinlich, weil nach dem Bebauungsplan die meisten Läden davon betroffen sein werden.

6. Der Bebauungsplan ist wegen des Verstoßes gegen das Mitwirkungsverbot (z.B. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 1 GO SH) nichtig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Wenn ein Entscheidungsträger trotz Mitwirkungsverbot beratend oder entscheidend mitgewirkt hat, kann die Entscheidung rechtswidrig oder nichtig (insbesondere bei Satzungen) sein. So kann insbesondere ein Ratsbeschluss formell rechtswidrig und damit unwirksam werden. Der Verstoß ist aber nur beachtlich, wenn die Mitwirkung für das Abstimmungsergebnis entscheidend war (Art. 49 Abs. 4 GO BY, § 20 Abs. 1 GO SN, § 22 Abs. 5 Nr. 1 GO SH). Die Mitwirkung war für das Abstimmungsergebnis entscheidend, wenn die Stimme des Befangenen für das Abstimmungsergebnis ausschlaggebend ist. Der Bebauungsplan wurde mit 18 Ja-Stimmen zu 10 Nein-Stimmen beschlossen. R hat mit Nein gestimmt. Die Stimme des R war nicht ausschlaggebend für das Abstimmungsergebnis, weil der Bebauungsplan auch bei Ausschluss des R mit 18 Ja-Stimmen zu 9 Nein-Stimmen angenommen worden wäre. Beachte: Selbst die entscheidungsrelevanten unzulässigen Mitwirkungen können durch rügelosen Fristablauf unbeachtlich werden, wenn das die Kommunalgesetze anordnen (z.B. § 4 Abs. 4 GO SN, § 4 Abs. 3 GO SH).

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