+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K hält den bei V gekauften Fernseher für mangelhaft und verlangt Nacherfüllung. Da V sich weigert, erhebt K Klage. Darin verlangt er Nacherfüllung und hilfsweise, falls er damit nicht durchdringt, Schadensersatz. Das Gericht kommt zum Ergebnis, dass eine Nacherfüllung unmöglich ist.
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Einordnung des Falls
Echte, eventuelle Klagenhäufung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es liegt eine echte, eventuelle Klagehäufung vor.
Ja, in der Tat!
Genauso wie bei einer objektiven, kumulativen Klagehäufung macht der Kläger auch bei einer eventuellen Klagehäufung mehrere prozessuale Ansprüche (= Streitgegenstände) in einer Klage gegen denselben Beklagten geltend. Bei einer eventuellen Klagehäufung werden jedoch nicht alle prozessualen Ansprüche gleichsam zur Entscheidung des Gerichts gestellt. Vielmehr wird ein prozessualer Anspruch in einem unbedingten Hauptantrag und der andere in einem bedingten Hilfsantrag geltend gemacht. Der Hilfsantrag wird nur hilfsweise, d.h. für den Fall, dass eine bestimmte innerprozessuale Bedingung eintritt, gestellt. Bei einer echten, eventuellen Klagehäufung, ist der Hilfsantrag an die Bedingung geknüpft, dass der Hauptantrag erfolglos ist.
Der Hilfsantrag des K ist an die innerprozessuale Bedingung geknüpft, dass der Hauptantrag erfolglos ist (Unmöglichkeit der Nacherfüllung).
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2. Bei einer eventuellen Klagehäufung ist zunächst die Zulässigkeit beider Anträge und anschließend ihre Begründetheit zu prüfen.
Nein!
Bei einer echten, eventuellen Klagehäufung ist der Hilfsantrag an die Bedingung geknüpft, dass der Hauptantrag erfolglos ist. Das Gericht ist also erst dann zur Entscheidung über den Hilfsantrag befugt, wenn es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Hauptantrag entweder unzulässig oder unbegründet ist. Dementsprechend sind Haupt- und Hilfsantrag nacheinander und nicht gleichzeitig zu erörtern. Die richtige Prüfungsreihenfolge lautet also:
I. Zulässigkeit des Hauptantrags
II. Begründetheit des Hauptantrags
III. Zulässigkeit des Hilfsantrags
IV. Begründetheit des Hilfsantrags.
3. Auch bei echter, eventueller Klagehäufung sind im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit die Streitwerte der einzelnen Anträge zu addieren (§ 5 ZPO).
Nein, das ist nicht der Fall!
Stellt der Kläger mehrere unbedingte Anträge (objektive, kumulative Klagehäufung), so muss das Gericht befugt sein, über alle positiv zu entscheiden. Dementsprechend gilt für seine sachliche Zuständigkeit § 5 ZPO: die Streitwerte der einzelnen Ansprüche sind zu addieren.
Anders verhält es sich jedoch bei einer echten, eventuellen Klagehäufung. Dort muss das Gericht entweder dem Haupt- oder dem Hilfsantrag, niemals jedoch beiden Anträgen stattgeben. § 5 ZPO gilt daher nicht. Der höhere der beiden Streitwerte ist für die sachliche Zuständigkeit maßgeblich.
Ist der Streitwert des Hilfsantrags höher, ist dieser auch dann maßgeblich, wenn dessen Bedingung (Erfolglosigkeit des Hauptantrags) nicht eingetreten ist.
Auf den Hilfsantrag sollte in der Zulässigkeit des Hauptantrags nur eingegangen werden, wenn der Hauptantrag allein die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht begründet.
4. Der Hauptantrag ist unbegründet.
Ja, in der Tat!
Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB).
Ks Anspruch auf Nacherfüllung ist infolge (anfänglicher oder nachträglicher) Unmöglichkeit erloschen. Der Hauptantrag ist daher unbegründet.
5. Bei einer echten, eventuellen Klagehäufung ergeben sich keinerlei Besonderheiten in der Zulässigkeit des Hilfsantrags.
Nein!
Bei eventuellen Klagehäufungen (egal, ob echt oder unecht) sind in der Zulässigkeit des Hilfsantrags einige zusätzliche Punkte anzusprechen. So ist zunächst
(1) der Eintritt der Bedingung, an die der Hilfsantrag geknüpft ist, festzustellen.
(2) Anschließend ist zu erörtern, ob die Klageerhebung trotz des bedingten Hilfsantrags ordnungsgemäß ist.
(3) Ferner ist darauf einzugehen, dass nur dann ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Anträgen besteht.
(4) Schließlich muss die Zulässigkeit der Klagehäufung gem. § 260 ZPO angesprochen werden, die bei einer eventuellen Klagehäufung eine echte Sachurteilsvoraussetzung darstellt.
6. Die Bedingung des Hilfsantrags ist eingetreten.
Genau, so ist das!
Der Hauptantrag des K ist auf Nacherfüllung gerichtet, der Hilfsantrag auf Schadensersatz. Der Hilfsantrag ist an die Bedingung geknüpft, dass K mit dem Hauptantrag nicht durchdringt. Der Hauptantrag ist unbegründet. Die Bedingung des Hilfsantrags ist eingetreten.
Wenn die Bedingung des Hilfsantrags dagegen nicht eintritt, entfällt dessen Rechtshängigkeit rückwirkend. In diesem Fall ist der Hilfsantrag in den Entscheidungsgründen mit keinem Wort zu erwähnen. Er taucht nur im Tatbestand auf.
7. Der Hilfsantrag ist unzulässig, da er nur bedingt erhoben wurde und dies den Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verletzt.
Nein, das trifft nicht zu!
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift enthalten: die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag (Bestimmtheitsgrundsatz). Aus dieser Norm, die der Vermeidung von Rechtsunsicherheiten dient, lässt sich unter anderem ableiten, dass Klagen bzw. die darin enthaltenen Anträge grundsätzlich bedingungsfeindlich sind. Eine wichtige Ausnahme hiervon ist jedoch bei einer sog. innerprozessualen Bedingung zu machen. Eine solche zeichnet sich dadurch aus, dass das erkennende Gericht deren Eintritt im Laufe des Verfahrens selbst nachprüfen kann. Somit kommen keine Rechtsunsicherheiten auf.
Die Bedingung von Ks Hilfsantrag ist, dass der Hauptantrag erfolglos ist. Da das erkennende Gericht den Bedingungseintritt selbst nachprüfen kann, handelt es sich um eine zulässige innerprozessuale Bedingung. Ks Klageerhebung war somit ordnungsgemäß.
8. Das nötige Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.
Ja!
Bei einer eventuellen Klagehäufung (egal, ob echt oder unecht) ist der Hilfsantrag nur zulässig, wenn der Kläger diesbezüglich ein Rechtsschutzbedürfnis hat. Ein solches ist zu bejahen, wenn ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Haupt- und Hilfsantrag besteht.
K verfolgt mit seinem Haupt- und seinem Hilfsantrag unterschiedliche Mängelgewährleistungsansprüche, die sich allerdings auf denselben Mangel stützen. Der erforderliche Zusammenhang zwischen Haupt- und Hilfsantrag ist gegeben.
9. § 260 ZPO ist bei einer eventuellen Klagehäufung eine echte Sachurteilsvoraussetzung.
Genau, so ist das!
Anders als bei einer objektiven, kumulativen Klagehäufung stellt § 260 ZPO bei einer eventuellen Klagehäufung (egal, ob echt oder unecht) eine echte Zulässigkeitsvoraussetzung dar und zwar für den Hilfsantrag. Denn eine Prozesstrennung nach § 145 ZPO bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 260 ZPO führt gleichzeitig immer auch zur Unzulässigkeit des Hilfsantrags. Sobald der Hauptantrag nämlich Gegenstand eines eigenen Verfahrens ist, verliert dadurch die Bedingung des Hilfsantrags ihre innerprozessuale Natur, da das Gericht des Hilfsantrags ihren Eintritt nicht mehr selbst nachprüfen kann.