Öffentliches Recht
Verwaltungsrecht AT
Einführung in das allgemeine Verwaltungsrecht
Leistungsverwaltung: Formelle Privatisierung
Leistungsverwaltung: Formelle Privatisierung
19. Mai 2025
12 Kommentare
4,8 ★ (23.403 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Lawra (L) gründet mit ihren besten Freundinnen eine neue WG. Als L nach Stromanbietern recherchiert, stößt sie auf die Stadtwerke GmbH. Diese gehört zu 100 % zu einer Anstalt öffentlichen Rechts.
Diesen Fall lösen 88,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Leistungsverwaltung: Formelle Privatisierung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Versorgung der Bevölkerung mit Strom gehört grundsätzlich zur staatlichen Daseinsvorsoge.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Staat darf sich zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben nur öffentlich-rechtlichen Handlungsformen bedienen.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Eine GmbH ist eine juristische Person des Privatrechts. Darf die öffentliche Verwaltung Aufgaben der Daseinsvorsoge einer juristische Person des Privatrechts anvertrauen?
Ja!
4. Die Stadtwerke GmbH gehört zu 100% zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Ist sie damit der öffentlichen Verwaltung zuzuordnen?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Vermieterpfandrechtbelastetes Anwartschaftsrecht
31.5.2024, 13:31:21
Hier könnte ggf. noch ein Hinweis ergänzt werden, dass in der Regel der Verwaltungsrechtsweg auch für juristische Personen des Privatrechts in (überwiegend) öffentlicher Hand eröffnet sein muss, weil sonst die Gefahr bestünde, dass eine unzulässige "Flucht ins Privatrecht" erfolgt. Relevant vor allem bei einem
Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen.
Patrick4219
3.6.2024, 20:32:54
Auch weiterführende Informationen dazu wofür die Differenzierung zwischen formeller und materieller Privatisierung
erforderlichist sowie ein Verweis auf die VGH Kassel, Urteil vom 4.3.2010 - 8 A 2613/09 zur Grenze materieller Privatisierung wäre sehr cool.

Linne_Karlotta_
6.6.2024, 09:37:43
Hallo @[
Vermieterpfandrechtbelastetes
Anwartschaftsrecht](169486), hallo @[Patrick4219](231635)! Danke für Eure richtigen Hinweise. Die Privatisierung der Verwaltung ist ein umfangreiches Thema. In diesem Einführungskapitel wollten wir dieses zunächst einmal – überblickshalber – als einen der vielen Bereiche des Verwaltungsrechts vorstellen. Tiefere Auseinandersetzungen, vor allem auch mit der Thematik des Zugangs zu öffentlichen Einrichtungen, erfolgen an anderer Stelle. Wir haben Eure Hinweise aber in dieser und der nächsten Aufgabe (zur materiellen Privatisierung) als Vertiefungshinweise aufgenommen. :) Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Sege
18.2.2025, 17:36:57
Die Zeichnung ist euch sehr gelungen! :)

Wendelin Neubert
28.2.2025, 14:53:45
Hallo Sege, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Wendelin Neubert, für das Jurafuchs-Team
Aleton
6.5.2025, 14:37:50
Dazu hätte ich viele Fragen: 1. Könnte ich dann auch direkt gegen das Unternehmen in öffentlicher Hand vorgehen oder müsste ich die Klage (z.B Anfechtungsklage) gegen den Staat erheben. 2. Wie würde man sowas (abstrakt) tenorieren? 3.Wenn ich erfolgreich gegen den Staats vorgegangen wäre, was müsste der Staats dann tun. Ich meine die können sich doch nicht einfach beim privatrechtlichen unternehmen einmischen (auch wenn die 100 prozent dran halten) Also generell verstehe ich nicht ganz wie so der Vorgang dann aussehen würde.
P K
6.5.2025, 23:37:36
Gegen eine private GmbH ist, unabhängig davon, wer Anteilseigner ist, der Verwaltungsrechtsweg wohl nicht eröffnet, weil streitentscheidend Normen des Privatrechts sind (a.A. vertretbar, wenn man die Vorschriften, aus denen sich die öffentlichen Bindungen ergeben, unmittelbar auf die GmbH anwendet - die h.M. zieht diesen Schluss aber nicht, sondern berücksichtigt dies - wie auch sonst im Zivilrecht - im Rahmen von
Generalklauseln). Überträgt der Staat eine Aufgabe auf eine GmbH, muss er sich zwingend (!) Einwirkungsrechte vorbehalten. Siehe etwa §§ 103 ff. GemO BW. Selbstverständlich kann sich die Körperschaft auch einmischen, zumindest bei einer GmbH. Denn die Geschäftsführung ist weisungsgebunden gegenüber der Gesellschafterversammlung bzw., weil nur ein Gesellschafter besteht, der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, bei Gemeinden dem Bürgermeister (§ 104 Abs. 1 GemO BW). Häufig haben kommunale GmbHs auch einen (fakultativen) Aufsichtsrat, in dem dann verschiedene Gemeinderatsmitglieder sitzen, um die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bürgermeister und Gemeinderat gewissermaßen auch auf die Ebene der GmbH zu verlagern. Bei der AG sieht bekanntermaßen alles anders aus, weil die HV hier gerade kein Weisungsrecht hat und das einschlägige Aktiengesetz nicht alleine wegen öffentlich-rechtlicher Anforderungen plötzlich disponibel wird. Geht es um den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung / Leistung, die in privater Rechtsform betrieben wird, muss man im Wege der allgemeinen
Leistungsklagegegen die Körperschaft, welche Gesellschafterin der GmbH ist, vorgehen und eine entsprechende Einwirkung verlangen. Ein möglicher Tenor könnte lauten: Der Beklagte wird verurteilt, auf die ... GmbH dahingehend einzuwirken, dass diese mit der Klägerin einen Vertrag über die Belieferung mit Strom im Tarif ... abschließt.
Aleton
9.5.2025, 11:57:08
Hey, vielen Dank für deine schnelle und hilfreiche Antwort. Ich hoffe, dass du oder jemand anders diese Frage auch beantworten kann. Wie würde es im Rahmen der materiellen Privatisierung aussehen? Hier hat ja der Staat die Aufgabe dann endgültig abgegeben. Eine Klage gegen den Staat würde hier ja dann nichts bringen, oder nicht? Oder gibt es hier auch die Möglichkeit dass der Staat irgendwelche Einwirkungsmöglichkeiten hat, weil es sich ja um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt. Oder können Aufgaben der Daseinsvorsorge nie unter der materiellen Privatisierung fallen? Wobei mir auch gar kein Fall einfallen würde wo die Verwaltung/Staat unter Grundlage dass hier eine materielle Privatisierung vorliegt eine öffentlich-rechtliche Maßnahme treffen könnte gegen die man (verwaltungsrechtlich) vorgehen kann. Da die Aufgabe ja endgültig abgegeben wurde, können aus dem Bereich keine öffentlich-rechtlichen Maßnahmen auftreten, oder nicht? Oder kann ich im Falle der materiellen Privatisierung nur gegen das Unternehmen privatrechtlich vorgehen? (Aber es gilt doch kein Flucht ins Privatrecht) Bin echt verwirrt. XD
P K
11.5.2025, 16:01:32
Wenn eine materielle Privatisierung gegeben ist, hat sich der Staat dieser Aufgabe - wie du richtig schreibst - entledigt. Eine Flucht ins Privatrecht gibt es in dieser Konstellation nicht, da es ja gerade keine öffentliche Aufgabe mehr ist. Hiervon zu trennen ist die Frage, inwiefern der Staat sich einer Aufgabe entledigen darf, also ob die materielle Privatisierung als solche rechtmäßig ist. Bei Pflichtaufgaben einer Gemeinde bspw. ist das nicht gegeben. Eine Gemeinde darf sich z.B. nicht dazu entschließen, keine Friedhöfe, gleich in welcher Rechtsform, zu betreiben, weil sie schlicht dazu verpflichtet ist. Ob eine Pflichtaufgabe vorliegt, ergibt sich in der Regel aus dem jeweiligen Fachgesetz. Außerhalb der Pflichtaufgaben besteht kein Anspruch auf den Erhalt öffentlicher Einrichtungen bzw., allgemeiner, die Wahrnehmung von Aufgaben der Daseinsvorsorge. Die "Daseinsvorsorge" ist ja kein fester Begriff, der verbindlich festlegt, dass diese Aufgaben hoheitlich betrieben werden müssen (sonst müsste der Staat sicher auch Lebensmittelunternehmen betreiben - denn was ist mehr Daseinsvorsorge als die Ernährung). Es gibt eine Entscheidung des BVerwG zum Betrieb eines Weihnachtsmarktes. Hier hatte das BVerwG tatsächlich entschieden, dass die Gemeinde wegen kultureller Tradition den Weihnachtsmarkt weiter betreiben muss. Die Entscheidung wird aber heftig kritisiert, weil dies dem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG widerspreche. Wird die
Rechtswidrigkeitder materiellen Privatisierung geltend gemacht, ist zwar der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet, denn es entscheidet sich nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften, ob ein Hoheitsträger eine Aufgabe als solche, ungeachtet der Rechtsform, wahrnehmen muss. Häufig wird es aber an der
Klagebefugnisfehlen, weil es eben keinen individuellen Anspruch auf die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben gibt und diese allein im öffentlichen Interesse erfolgt. Nochmal hiervon zu differenzieren sind Rechtsformverbote. Dies betrifft nicht die materielle Privatisierung, sondern die formelle Privatisierung. Im Kernbereich des Eingriffsrechts darf der Staat seine Aufgaben nicht durch Privatrechtssubjekte wahrnehmen. Zum Beispiel wäre es wegen Art. 33 Abs. 4 GG unzulässig, eine JVA durch eine GmbH zu betreiben oder private Sicherheitsdienste mit Aufgaben der Gefahrenabwehr zu beauftragen.