+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Journalist J hat recherchiert, dass Bs Betrieb gegen Umweltvorschriften verstößt. Er droht B, seine Recherche in der Zeitung zu veröffentlichen, sollte B ihm nicht die €5.000 geben, die er J noch schuldet. B zahlt aus Angst vor schlechter Presse.
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Einordnung des Falls
Grundfall: Zweck-Mittel-Relation
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat J den Tatbestand der Nötigung erfüllt (§ 240 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB sind:
(1) Nötigungshandlung: Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel
(2) Nötigungserfolg: Handeln, Dulden oder Unterlassen
(3) Nötigungsspezifischer Zusammenhang
A müsste zudem vorsätzlich gehandelt haben.J hat B gesagt, er werde über die Missstände in Bs Betrieb in der Zeitung berichten. Er hat ihm damit ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt (= Drohung). B hat J deswegen €5.000 gegeben (= kausaler Nötigungserfolg). A handelte dabei vorsätzlich. Der Tatbestand von § 240 Abs. 1 StGB ist erfüllt.
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2. Für eine Strafbarkeit des J müsste die Tat auch verwerflich sein (§ 240 Abs. 2 StGB).
Ja!
Der Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB ist sehr weit. Er erfasst auch sozialadäquate Handlungen. Um diese ausufernde Strafbarkeit zu bregrenzen, sind nach § 240 Abs. 2 StGB nur solche Taten rechtswidrig, die „verwerflich” sind. Mit anderen Worten: Ist eine Tat i.R.v. § 240 Abs. 1 StGB nicht verwerflich, kann sie auch nicht strafbar sein.Verwerflich ist eine Verhaltensweise dann, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen (sog. Zweck-Mittel-Relation). Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist.
3. Die Ankündigung, bestehende Missstände in der Presse zu veröffentlichen (= Nötigungsmittel), ist für sich genommen schon sozialethisch missbilligenswert.
Nein, das ist nicht der Fall!
Im Rahmen deiner Prüfung der Zweck-Mittel-Relation bietet es sich an, sich zunächst das Nötigungsmittel und das damit verfolgte Ziel gesondert anzuschauen, bevor Du die beiden ins Verhältnis zueinander setzt.
J darf als Journalist (unter Beachtung der journalistischen Sorgfaltspflichten) wahrheitsgemäß in der Presse über Missstände berichten. Das garantiert auch die Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 GG. Er darf eine Veröffentlichung auch ankündigen. Das Nötigungsmittel für sich genommen ist erlaubt und nicht verwerflich.Aber Vorsicht! Nur weil das Mittel erlaubt ist, heißt es nicht, dass die Tat im Ganzen nicht verwerflich ist. Es kommt gerade auf die Zweck-Mittel-Relation an.
4. B schuldete J tatsächlich €5.000. Könnte das gegen eine Verwerflichkeit des Zwecks sprechen?
Ja, in der Tat!
Ist der Zweck der Nötigung für sich gesehen verwerflich, kann das die Verwerflichkeit der gesamten Tat indizieren. Aber Achtung: Es handelt es sich eben „nur“ um eine Indizwirkung. Um die Verwerflichkeit bejahen zu können, musst Du trotzdem darauf abzustellen, dass die Zweck-Mittel-Relation im konkreten Fall verwerflich ist.Der Zweck der Nötigung erfasst den Nötigungserfolg und die Zielsetzung des Täters insgesamt.Js Ziel war es, €5.000 von B zu erhalten. Dieses Geld stand ihm auch tatsächlich zu. Der von J verfolgte Zweck war damit für sich genommen nicht sozialethisch missbilligenswert und verwerflich.
5. Nötigungsmittel und der von J verfolgte Zweck sind für sich genommen nicht verwerflich. Ist Deine Prüfung der Verwerflichkeit an dieser Stelle zu Ende?
Nein!
Die Verwerflichkeit muss sich stets aus der Zweck-Mittel-Relation der Tat ergeben. Sind bereits das Mittel oder der Zweck für sich genommen verwerflich, indiziert das die Verwerflichkeit der Gesamttat. Auf der anderen Seite kann eine Tat auch dann verwerflich sein, wenn Mittel und/oder Zweck für sich genommen erlaubt sind.Die Verwerflichkeit der Tat kann sich auch daraus ergeben, dass zwischen Mittel und Zweck kein innerer Zusammenhang besteht. Der Täter verknüpft dann willkürlich zwei voneinander unabhängige Vorgänge. Die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation ergibt sich dann aus dieser Inkonnexität.Die Veröffentlichung der Missstände in Bs Betrieb und die Rückzahlung des Geldes stehen in keinerlei Zusammenhang. Sie sind inkonnex. J versuchte, seinen Zahlungsanspruch nicht mit den vom Recht zur Verfügung gestellten Mitteln, sondern durch Drohung durchzusetzen. Das ist als sozialethisch missbilligenswert anzusehen. Die Tat ist damit verwerflich. Aus diesem Fall solltest Du unbedingt mitnehmen, dass Du i.R.d. § 240 Abs. 2 StGB immer Zweck und Mittel der Nötigung in ein Verhältnis setzen musst. Es wäre falsch, wenn Du die beiden Aspekte nur getrennt betrachten würdest. Achte hier auch besonders auf Deine Formulierungen: „Indizwirkung“ ist z.B. ein wichtiges Keyword.