Einführungsfall Nötigung

5. Februar 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Studentin M hat am Tag der Zivilrechtsklausur ihren „Habersack“ vergessen. Ihr Kommilitone K hat seinen dabei. M sagt K, sie werde ihn krankenhausreif prügeln, sollte er ihr für die Klausur nicht seine Gesetze geben. Völlig verängstigt gibt K der M die Gesetze für die Klausur.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall Nötigung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M könnte sich wegen Nötigung strafbar gemacht haben, indem sie K sagte, sie werde ihn krankenhausreif prügeln, worauf K ihr seinen Habersack gab (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja!

Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB sind: (1) Nötigungsmittel: Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel (2) Nötigungserfolg: Handeln, Dulden oder Unterlassen (3) Nötigungsspezifischer Zusammenhang zwischen (1) und (2) M müsste zudem vorsätzlich gehandelt haben. Die Tat müsste auch rechtswidrig und insbesondere verwerflich (§ 240 Abs. 2 StGB) gewesen sein. Zudem müsste M schuldhaft gehandelt haben.
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2. Schutzgut des § 240 StGB ist die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung.

Genau, so ist das!

Nach h.M. soll § 240 StGB die Freiheit der Willensentschließung und - betätigung vor Angriffen, die mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel begangen werden, schützen. Dieser Schutzzweck wird bei der Auslegung verschiedener Tatbestandsmerkmale relevant.Das kann aber stets nur ein beschränkter Schutz sein: Im gesellschaftlichen Zusammenleben treten wechselseitige Freiheitsbeschränkungen und auch Zwänge unvermeidbar auf. Beispiel: Die Chefin droht ihrem Mitarbeiter eine Abmahnung an, sollte er weiter unpünktlich zur Arbeit erscheinen. Daher bedarf es immer einer positiven Feststellung der Verwerflichkeit der Tat im Einzelfall.

3. M hat körperlich auf K eingewirkt als sie sagte, sie werde K verprügeln, sollte er ihr den Habersack nicht überlassen (§ 240 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Im Rahmen von § 240 StGB kommen zwei Tathandlungen in Betracht: Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel. Zunächst solltest Du Dich immer fragen, ob ein Handeln bereits unter den Gewaltbegriff fällt. Der Begriff der Gewalt ist umstritten (dazu später mehr). Der klassische Gewaltbegriff ist die anerkannte Grundlage aller Definitionsversuche. Er setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.M hat lediglich in Aussicht gestellt, dass sie Gewalt anwenden werde. Sie hat aber bisher keinen körperlichen Zwang auf K ausgeübt. M hat keine Gewalt angewandt.

4. M könnte K aber gedroht haben, indem sie ihm sagte, sie werde ihn krankenhausreif schlagen, sollte er ihr das Buch nicht für die Dauer der Klausur überlassen (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja!

Eine Drohung ist das In-Aussicht-stellen eines empfindlichen Übels, auf welches der Täter Einfluss zu haben vorgibt. Unter Übel fällt jeder Nachteil. Empfindlich ist das Übel, wenn es bei objektiver Beurteilung und der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen.M hat K angekündigt ihn zu verprügeln und ihm so ein Übel angedroht. Die Ankündigung von erheblicher Prügel ist auch geeignet, einen besonnen Menschen zur Herausgabe eines Buches zu bestimmen. M hat K mit einem empfindlichen Übel gedroht.

5. Der von M beabsichtigte Erfolg (= Herausgabe des Habersacks) ist eingetreten.

Genau, so ist das!

§ 240 StGB ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (= Nötigungserfolg). Handlung meint dabei ein positives Tun. Bei der Duldung wird das Opfer gezwungen, ohne eigene Entschließung die Tätereinwirkung über sich ergehen lassen zu müssen. Unterlassung ist die Nichtvornahme einer möglichen Handlung.K hat M das Buch gegeben, also aktiv gehandelt. Der Nötigungserfolg ist eingetreten.

6. Ist der Erfolg auch wegen der Drohung mit einem empfindlichen Übel eingetreten?

Ja, in der Tat!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen: das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt.K hat M die Gesetze gegeben, weil M ihm gedroht hat.M handelte während der Tat auch vorsätzlich.

7. Für die Tat greift ein Rechtfertigungsgrund.

Nein!

§ 240 StGB ist ein sog. offener Tatbestand. Das bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit nicht schon durch die Verwirklichung des Tatbestands indiziert ist, sondern positiv festgestellt werden muss. Die Tat ist nur rechtswidrig, wenn sie verwerflich ist. Vor der Verwerflichkeit der Tat musst Du allerdings allgemeine Rechtfertigungsgründe prüfen - denn eine gerechtfertige Tat, kann nicht verwerflich sein.Es ist kein Rechtfertigungsgrund für Ms Handeln ersichtlich.

8. Die Tat müsste auch verwerflich gewesen sein (§ 240 Abs. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Bei § 240 Abs. 1 StGB musst Du die Rechtswidrigkeit in Form der Verwerflichkeit positiv feststellen. Das ist erforderlich aufgrund der Weite des Tatbestands: von § 240 Abs. 1 StGB werden tatbestandlich auch viele sozialadäquate Handlungen erfasst. Die Prüfung der Verwerflichkeit ist nötig, um nur strafwürdiges Nötigungsunrecht als rechtswidriges Verhalten zu erfassen.Verwerflich ist, was sozial unerträglich und wegen seines grob anstößigen Charakters sozialethisch in besonderem Maße zu missbilligen ist. Die Verwerflichkeit ergibt sich aus der Verwerflichkeit des Mittels, des Zwecks, oder der Zweck-Mittel-Relation.Bereits die Androhung, jemanden krankenhausreif zu schlagen ist verwerflich, insbesondere, wenn es darum geht, ein Buch für eine Klausur zu erlangen. Dieser Fall sollte Dir einen ersten Zugang zu § 240 StGP eröffnen. Wir schauen uns die einzelnen Voraussetzungen noch genauer an!
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