Objektiver Tatbestand der Nötigung

22. Februar 2025

4 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T drängt O durch mehrmaliges Schubsen in eine Ecke, um ihn zum Unterschreiben eines Schecks zu veranlassen. Der verängstigte O unterschreibt daraufhin.

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Einordnung des Falls

Objektiver Tatbestand der Nötigung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn T „einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt“, verwirklicht er den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) verlangt: (1) ein Nötigungsmittel (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) (2) einen Nötigungserfolg (Handlung, Duldung oder Unterlassung) und (3) einen nötigungsspezifischen Zusammenhang zwischen (1) und (2)Geschütztes Rechtsgut der Nötigung ist nach h.M. die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete persönliche Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung.
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2. Indem T den O durch mehrmaliges Schubsen in eine Ecke gedrängt hat, könnte T an O „Gewalt“ ausgeübt haben (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Der Begriff der Gewalt ist umstritten. Der klassische Gewaltbegriff ist die Grundlage aller Definitionsversuche: nach allen Ansichten liegt zumindest dann Gewalt vor, wenn der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.Indem T den O schubst, entfaltet er körperliche Kraft, und übt dadurch auf O Zwang aus, um erwarteten Widerstand zu überwinden. Damit liegt ein Nötigungsmittel in Form von Gewalt vor.

3. T hat O zu einer Handlung genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).

Ja!

Die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Die Handlung meint ein positives Tun. T hat durch das In-die-Ecke-Drängen mittels Schubsen herbeigeführt, dass O den Scheck unterschreibt, mithin ein positives Tun ausgelöst.

4. § 240 Abs. 1 StGB setzt weiterhin einen Nötigungserfolg voraus. Hat O eine Handlung vorgenommen?

Genau, so ist das!

§ 240 StGB ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Die Handlung meint ein positives Tun. T hat durch das In-die-Ecke-Drängen mittels Schubsen herbeigeführt, dass O den Scheck unterschreibt, mithin ein positives Tun ausgelöst.

5. Scheitert das Vorliegen des objektiven Tatbestand von § 240 Abs. 1 StGB dennoch, weil es an dem notwendigen nötigungsspezifischen Zusammenhang fehlt?

Nein, das trifft nicht zu!

Zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg muss eine kausale Verknüpfung bestehen, d.h. das abgenötigte Verhalten muss unmittelbare und spezifische Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Es finden die allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung Anwendung. Der Zusammenhang fehlt, wenn das Opfer auf eigenen Entschluss oder fremden Rat dem Verlangen des Täters nachgibt.Hier hat O gerade deshalb den Scheck unterschrieben, weil T ihn durch mehrmaliges Schubsen in die Ecke gedrängt hat. T hat den objektiven Tatbestand von § 240 Abs. 1 StGB erfüllt. Die weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB schauen wir uns nach und nach gesondert an.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Geld hat man zu haben!

Geld hat man zu haben!

5.7.2023, 08:51:36

Müsste bei Prüfung der Gewalt im Fall nicht die körperliche Tätigkeit statt der körperlichen Kraftentfaltung erfordert sein?

Sambajamba10

Sambajamba10

1.2.2024, 19:18:14

Jeder körperlichen Tätigkeit ist eine körperliche Kraftentfaltung immanent. Die Begriffe sind mE recht synonym.

Artimes

Artimes

30.5.2024, 18:47:38

Steckt in jeder Körperverletzung zugleich eine Nötigung? Die Körperverletzung stellt ja Gewalt dar. Und der

Nötigungserfolg

könnte ja im Dulden der Körper

verletzungshandlung

liegen. Oder dürfen Nötigungsmittel und

Nötigungserfolg

nicht zusammenfallen?

LUC1502

luc1502

24.9.2024, 17:52:27

Hi @[Artimes](3106) Schönke/Schröder/Eisele StGB § 240 Rn. 40 sagt dazu, dass nicht zwingend in jeder Körperverletzung eine Nötigung steckt. Aber eine

Tateinheit

ist denkbar, wenn die angewandte Gewalt (zur Erreichung eines bestimmten Zwecks) bereits als solche eine Körperverletzung ist; zum anderen soll sie denkbar sein, wenn der Zweck des Täters ist, den durch Gewalt oder

Drohung

Genötigten zur Duldung einer KV zu zwingen.


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