Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Grundrechte
Prüfungsmaßstab bei Schutzpflichten des Staates zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (BVerfG, 12.05.2020 - 1 BvR 1027/20)
Prüfungsmaßstab bei Schutzpflichten des Staates zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (BVerfG, 12.05.2020 - 1 BvR 1027/20)
31. Mai 2025
13 Kommentare
4,7 ★ (21.841 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bund und Länder einigten sich auf Lockerungen der Corona-Maßnahmen. R gehört zu einer Risikogruppe und fürchtet, infolge eines ansteigenden Infektionsgeschehens infiziert zu werden und schwere Gesundheitsschäden zu erleiden oder sogar zu sterben. Im Wege einer einstweiligen Anordnung will sie Bund und Länder per Verfassungsbeschwerde verpflichten, die Lockerungen zurückzunehmen und die Öffnung der Grundschulen zu untersagen.
Diesen Fall lösen 74,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Prüfungsmaßstab bei Schutzpflichten des Staates zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (BVerfG, 12.05.2020 - 1 BvR 1027/20)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht kann mit einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. R möchte den Staat mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zum Handeln verpflichten. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stellt aber nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe dar.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Werden Rs Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – Leben und körperliche Unversehrtheit – durch die Lockerungsmaßnahmen gefährdet?
Ja, in der Tat!
4. Der Gesetzgeber müsste seine Schutzpflicht verletzt haben. Sofern der Gesetzgeber zu Schutzmaßnahmen verpflichtet ist, verbleibt ihm aber ein weiter Spielraum.
Ja!
5. Die Entscheidungsbefugnis des BVerfG darüber, ob der Gesetzgeber seine Schutzpflicht verletzt hat, ist angesichts des weiten Spielraums des Gesetzgebers begrenzt.
Genau, so ist das!
6. Vorliegend geht es um die Rechtsgüter Leben und körperlicher Unversehrtheit. Durch die Lockerungsmaßnahmen verletzt der Gesetzgeber seine Schutzpflicht.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Eine wissenschaftliche Studie zeigt andere Handlungsmöglichkeiten auf. Indem der Gesetzgeber diese ignoriert, würdigt er nicht ausreichend den Schutz von Leben und Gesundheit.
Nein!
8. R muss den Antrag zur Verfassungsbeschwerde begründen. Dabei muss sie sich nur mit Verfassungsrecht, nicht aber mit dem einfachen Recht oder der Rechtsprechung auseinandersetzen.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Das BVerfG hat Anforderung an die Einhaltung staatlicher Schutzpflichten entwickelt. Im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde erwähnt R diese nicht. Ist Rs Verfassungsbeschwerde hinreichend begründet?
Nein, das trifft nicht zu!
10. Mangels ausreichender Begründung ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Damit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
9.4.2024, 07:58:57
Liebes Jurafuchsteam, zunächst danke ich euch für die anschauliche Aufbereitung der Entscheidung. Zwei Fragen sind bei mit offen geblieben: (1) Ihr erwähnt die aus der Prüfung der Grundrechte als Abwehrrechte bekannten Definitionen (Leben und Gesundheit) erst unter dem Prüfungspunkt „Gefährdung des Schutzgutes“. Ist es nicht zielführender sich mit der sachlichen Reichweite der Grundrechte bereits unter dem Punkt „Bestehen einer Schutzpflicht“ auseinander zusetzen, um bestimmen zu können, worauf sich die mögliche Schutzpflicht bezieht? (2) Außerdem verwendet ihr im Rahmen der Verletzungstrias (Nicht-Handeln - offensichtlich unzureichendes Handeln - deutliches Zurückbleiben hinter dem Schutzziel) den Begriff des Untermaßverbotes. Meint der Begriff nur letzteres, also das Verbot, deutlich hinter dem Schutzziel zurückzubleiben, oder umfasst er alle drei Anknüpfungspunkte?

Johannes Nebe
9.4.2024, 09:15:11
Mir fällt außerdem auf, dass die Abwägung Schutz gegen Freiheit hier gar nicht tangiert wurde. Vielleicht brauchte das BVerfG so weit gar nicht zu prüfen. Am Ende läuft es bei
Schutzpflichtenaber immer auch auf diese Frage hinaus.

Tim Gottschalk
26.2.2025, 15:44:10
Hallo @[QuiGonTim](133054), mit (1) hast du grundsätzlich Recht, man kann bis sollte das durchaus schon bei dem Bestehen einer Schutzpflicht prüfen. Ich finde unsere Darstellung hier aber auch nicht falsch, insbesondere da sie die Fragen schöner didaktisch voneinander trennt. Zuerst, ob überhaupt eine Schutzpflicht vorliegt und dann bei der Gefährdung, was genau der Inhalt ist. (2) Der Begriff des Untermaßverbots beschreibt alle drei Anknüpfungspunkte. Es ist dem Staat verboten, zu wenig zu tun. Dieses Verbot würden alle drei Anknüpfungspunkte verletzen. @[Johannes Nebe](174311) in der Subsumtion zu Frage 6 wird genau auf diese Abwägung eingegangen. Liebe Grüße, Tim - für das Jurafuchs-Team

Whale
14.8.2024, 17:42:37
Weshalb muss sich der oder die Antragstellende mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht beschäftigen, wenn das BVerfG doch nur spezifisches Verfassungsrecht prüft?

Wendelin Neubert
20.8.2024, 17:41:27
Danke für Deine Frage @[Whale](252844). Das liegt an den Anforderungen an die Begründung der Verfassungs
beschwerde gemäß §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG. Die Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht ist geboten, weil die Antragstellerin darlegen muss, inwieweit der Gesetzgeber durch das zugrundeliegende Recht den weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum überschritten hat, den das BVerfG dem Gesetzgeber bei der grundrechtlichen Schutzpflicht zumisst. Setzt sie sich nicht mit dem zugrundeliegenden Recht auseinander, fehlt es an einer substantiierten Darlegung, warum hier eine Grundrechtsverletzung möglich ist. Ich kann Dir dazu die instruktive Lektüre der entsprechenden Passage aus der Entscheidung des BVerfG (RdNr. 4ff.) empfehlen. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Whale
14.8.2024, 17:44:50
Der Dreischritt, der hier zur Prüfung von
Schutzpflichtenvorgeschlagen wird, käme doch gar nicht zum Zuge, da der Antrag direkt als unzulässig erklärt wird, oder?

Wendelin Neubert
20.8.2024, 17:36:41
Das siehst Du vollkommen richtig @[Whale](252844), weil das BVerfG den Antrag bereits für unzulässig erachtete. Das wird in Deiner Klausur aber natürlich nicht der Fall sein. Unsere Aufbereitung der Entscheidung orientiert sich natürlich daran, wie man einen solchen Fall in der Klausur darstellen würde. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team