Ausschluss einzelner zur Wahrung der Ordnung, §§ 176 GVG

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Landgericht angeklagt. Durch Beschluss schließt die Kammer As Bruder B während der Vernehmung der Zeugin Z aus (§ 176 Abs. 1 GVG), da B Z im Vorfeld des Prozesses mehrfach bedroht hatte, um Zs Aussage zu verhindern. B verlässt den Saal. As Verteidiger rügt dies erfolglos.

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Einordnung des Falls

Ausschluss einzelner zur Wahrung der Ordnung, §§ 176 GVG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 Abs. 1 S. 1 StPO) ist verletzt, wenn B zu Unrecht von der Verhandlung ausgeschlossen wurde.

Ja!

Öffentlichkeit bedeutet, dass jedermann aus dem Publikum ohne Rücksicht auf seine Gesinnung oder seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe sich ohne besondere Schwierigkeiten Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung verschaffen kann und ihm im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten der Zutritt eröffnet wird. Auch der faktische Ausschluss eines einzelnen Zuschauers kann damit eine ungesetzliche Beschränkung der Öffentlichkeit darstellen, wenn er Repräsentant der Öffentlichkeit ist und die Voraussetzungen eines gesetzlichen Ausschlussgrundes nicht vorliegen.Sofern für Bs Ausschluss kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, ist der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt.
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2. Durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§§ 176ff. GVG) ist der Ausschluss einzelner Zuschauer möglich, ohne den Öffentlichkeitsgrundsatz zu verletzen.

Genau, so ist das!

§ 176 Abs. 1 GVG bezweckt die Wahrung der Ordnung in der Sitzung und ermächtigt zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern. Die Norm dient dem Schutz der Rechtspflege und der Rechts- und Wahrheitsfindung, sowie dem Schutz der Rechte der Beteiligten oder Dritter.Die möglichen und zulässigen Anordnungen sind vielgestaltig und ergeben sich aus der jeweiligen Situation. Ob ein Ausschluss Einzelner zulässig ist, bestimmt sich im Einzelfall nach dem Zweck, die äußere Ordnung der Verhandlung sicherzustellen. Der Vorsitzende muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Ermessensgrenzen einhalten.§ 175 Abs. 2 GVG und §§ 177f. GVG enthalten speziellere Ermächtigungsgrundlagen zur Aufrechterhaltung der Ordnung.

3. Die Verweisung des A war hier schon rechtswidrig, da statt des Vorsitzenden das ganze Gericht durch Beschluss entschieden hat (§ 176 Abs. 1 GVG).

Nein, das trifft nicht zu!

Zuständig ist nach § 176 Abs. 1 GVG grundsätzlich der Vorsitzende, nicht das Gericht. Entscheidet aber an seiner Stelle das Gericht durch Beschluss, so wird die Maßnahme dadurch nicht unwirksam. Die Zuständigkeit des Vorsitzenden ist keine ausschließliche. Träger der sitzungspolizeilichen Gewalt sind Vorsitzender und Gericht, wobei nach der gesetzlichen Systematik die Entscheidung über schwerwiegendere Maßnahmen dem Gericht vorbehalten sein soll (vgl. etwa § 177 S. 2 GVG). Entscheidet das Gericht über weniger schwerwiegende Maßnahmen, ist dies unschädlich.Auch wenn hier die Kammer entschieden hat, ist dies somit unschädlich.

4. Der Ausschluss des B war rechtmäßig und der Öffentlichkeitsgrundsatz damit nicht verletzt (§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG).

Ja!

Ob eine Maßnahme zulässig ist, bestimmt sich im Einzelfall nach ihrem Zweck, die äußere Ordnung der Verhandlung sicherzustellen. Sie muss verhältnismäßig sein und der Vorsitzende muss die Ermessensgrenzen einhalten.Der Vorsitzende darf mit geeigneten Mitteln darauf hinwirken, dass Zeugen keinem Druck zur Beeinflussung ihres Aussageverhaltens ausgesetzt werden. Je nach den Umständen des Einzelfalls können so auch Zuhörer des Saals verwiesen werden. Da B Z im Vorfeld des Prozesses mehrfach bedrohte und Bs Anwesenheit eine Beeinflussung der Z und eine Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung befürchten lässt, war der Verweis aus dem Saal ein geeignetes und erforderliches Mittel dagegen. Das Interesse an der Wahrheitsfindung und dem Schutz der Z überwiegt hier das Interesse Bs an der Teilnahme.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HME

Hilfloser Melancholiker

4.4.2024, 23:35:00

Mir ist noch ein bisschen unklar, wieso der Sachverhalt unter § 176 GVG fällt. Diese Norm beschäftigt sich ja mit der "Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung", und nicht der Wahrheit der Zeugenaussage oder dem Schutz des Zeugen selbst. Dass Z vor der Verhandlung bedroht wurde, führt ja nicht dazu, dass der Sitzungsablauf gestört wird... oder lese ich da den Wortlaut zu eng? Danke fürs Antworten (:

TI

Timurso

5.4.2024, 10:51:18

Ich denke, dass der Ausschluss des B hier so oder so rechtmäßig ist, da aufgrund des Vorverhaltens eine Störung der Sitzung und der Zeugenvernahme zu befürchten ist und es insofern schon um die Ordnung in der Sitzung selbst geht. Ob man Zuschauer mit dieser Norm auch aus darüber hinausgehenden Zeugenschutz- oder Wahrheitsfindungsgründen ausschließen kann, ist jedoch eine spannende Frage.


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