Ausschluss einzelner zur Wahrung der Ordnung, §§ 176 GVG

23. November 2024

4,9(1.630 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Landgericht angeklagt. Durch Beschluss schließt die Kammer As Bruder B während der Vernehmung der Zeugin Z aus (§ 176 Abs. 1 GVG), da B Z im Vorfeld des Prozesses mehrfach bedroht hatte, um Zs Aussage zu verhindern. B verlässt den Saal. As Verteidiger rügt dies erfolglos.

Diesen Fall lösen 94,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Ausschluss einzelner zur Wahrung der Ordnung, §§ 176 GVG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 Abs. 1 S. 1 StPO) ist verletzt, wenn B zu Unrecht von der Verhandlung ausgeschlossen wurde.

Ja!

Öffentlichkeit bedeutet, dass jedermann aus dem Publikum ohne Rücksicht auf seine Gesinnung oder seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe sich ohne besondere Schwierigkeiten Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung verschaffen kann und ihm im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten der Zutritt eröffnet wird. Auch der faktische Ausschluss eines einzelnen Zuschauers kann damit eine ungesetzliche Beschränkung der Öffentlichkeit darstellen, wenn er Repräsentant der Öffentlichkeit ist und die Voraussetzungen eines gesetzlichen Ausschlussgrundes nicht vorliegen.Sofern für Bs Ausschluss kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, ist der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§§ 176ff. GVG) ist der Ausschluss einzelner Zuschauer möglich, ohne den Öffentlichkeitsgrundsatz zu verletzen.

Genau, so ist das!

§ 176 Abs. 1 GVG bezweckt die Wahrung der Ordnung in der Sitzung und ermächtigt zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern. Die Norm dient dem Schutz der Rechtspflege und der Rechts- und Wahrheitsfindung, sowie dem Schutz der Rechte der Beteiligten oder Dritter.Die möglichen und zulässigen Anordnungen sind vielgestaltig und ergeben sich aus der jeweiligen Situation. Ob ein Ausschluss Einzelner zulässig ist, bestimmt sich im Einzelfall nach dem Zweck, die äußere Ordnung der Verhandlung sicherzustellen. Der Vorsitzende muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Ermessensgrenzen einhalten.§ 175 Abs. 2 GVG und §§ 177f. GVG enthalten speziellere Ermächtigungsgrundlagen zur Aufrechterhaltung der Ordnung.

3. Die Verweisung des A war hier schon rechtswidrig, da statt des Vorsitzenden das ganze Gericht durch Beschluss entschieden hat (§ 176 Abs. 1 GVG).

Nein, das trifft nicht zu!

Zuständig ist nach § 176 Abs. 1 GVG grundsätzlich der Vorsitzende, nicht das Gericht. Entscheidet aber an seiner Stelle das Gericht durch Beschluss, so wird die Maßnahme dadurch nicht unwirksam. Die Zuständigkeit des Vorsitzenden ist keine ausschließliche. Träger der sitzungspolizeilichen Gewalt sind Vorsitzender und Gericht, wobei nach der gesetzlichen Systematik die Entscheidung über schwerwiegendere Maßnahmen dem Gericht vorbehalten sein soll (vgl. etwa § 177 S. 2 GVG). Entscheidet das Gericht über weniger schwerwiegende Maßnahmen, ist dies unschädlich.Auch wenn hier die Kammer entschieden hat, ist dies somit unschädlich.

4. Der Ausschluss des B war rechtmäßig und der Öffentlichkeitsgrundsatz damit nicht verletzt (§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG).

Ja!

Ob eine Maßnahme zulässig ist, bestimmt sich im Einzelfall nach ihrem Zweck, die äußere Ordnung der Verhandlung sicherzustellen. Sie muss verhältnismäßig sein und der Vorsitzende muss die Ermessensgrenzen einhalten.Der Vorsitzende darf mit geeigneten Mitteln darauf hinwirken, dass Zeugen keinem Druck zur Beeinflussung ihres Aussageverhaltens ausgesetzt werden. Je nach den Umständen des Einzelfalls können so auch Zuhörer des Saals verwiesen werden. Da B Z im Vorfeld des Prozesses mehrfach bedrohte und Bs Anwesenheit eine Beeinflussung der Z und eine Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung befürchten lässt, war der Verweis aus dem Saal ein geeignetes und erforderliches Mittel dagegen. Das Interesse an der Wahrheitsfindung und dem Schutz der Z überwiegt hier das Interesse Bs an der Teilnahme.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen