Öffentliche Ordnung: Verfassungsmäßigkeit

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Beamter B findet, dass das „unsittliche“ Anbieten sexueller Dienste in einem modernen Rechtsstaat nicht gebilligt werden dürfe. Er will daher – gestützt auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung – allen Prostituierten ihre weitere Tätigkeit verbieten.

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Einordnung des Falls

Öffentliche Ordnung: Verfassungsmäßigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als zuständiger Beamter darf B seine eigenen Moral- und Sozialvorstellungen als Grundlage zur Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Ordnung heranziehen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Begriff der öffentlichen Ordnung meint die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Das persönliche Befinden des B ist somit irrelevant. Entscheidend ist, dass die herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen betroffen sind. Genau hier liegt ein Problem, denn diese Anschauungen sind praktisch schwer zu ermitteln. Es besteht die Gefahr, dass subjektive Anschauungen Einzelner herangezogen werden. Nach der Rechtsprechung sind hier auf grundlegende Wertungen des Grundgesetzes zurückzugreifen. In der Lehre wird vielfach eine stärkere Ausrichtung anhand der empirischen Sozialforschung gefordert.
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2. Wesentliche grundrechtsrelevante Entscheidungen sind grundsätzlich vom Gesetzgeber durch Rechtsnormen zu treffen.

Ja, in der Tat!

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes sind die wesentlichen Entscheidungen im Bereich der Grundrechte durch den Gesetzgeber selbst zu treffen und dürfen nicht der Exekutive oder den Gerichten überlassen werden (Wesentlichkeitstheorie). Teilweise wird vertreten der Begriff der öffentlichen Ordnung genüge diesen Anforderungen nicht und die Polizei- und Ordnungsbehörden dürfen nicht „Sittenwächter“ spielen. Dem lässt sich entgegnen, dass der Begriff sogar im Grundgesetz verwendet wird (Art. 13 Abs. 7, 35 Abs. 2 S. 1 GG) und der Gesetzgeber auch an anderen Stellen auf gesellschaftliche Anschauungen zurückgreift (§§ 138, 242 BGB). Außerdem erfüllt der Begriff eine wichtige Reservefunktion für unvorhersehbare Störungen des sozialen Friedens. In jedem Fall ist jedoch eine restriktive Handhabung geboten.

3. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ableitbare Bestimmtheitsgebot verlangt eine hinreichende Bestimmtheit von Rechtsnormen. Der Begriff der öffentlichen Ordnung genügt diesem.

Ja!

Mess- und Berechenbarkeit staatlichen Handelns setzen voraus, dass Gesetze und daraus abgeleitete Einzelfallentscheidungen hinreichend bestimmt sind (Bestimmtheitsgebot). Dies schließt jedoch die - oftmals notwendige - Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus. Erforderlich bleibt jedoch die Bestimmbarkeit einer Norm. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist durch die Entwicklungen in Rechtsprechungen und Literatur nach Inhalt, Zweck und Ausmaß präzisiert worden, sodass der Begriff zumindest bestimmbar ist und damit nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstößt. Dieses Problem sollte in einer Klausur kurz angesprochen werden, dann aber unter Hinweis auf die ausreichende Präzisierung und Bestimmbarkeit verworfen werden.

4. Das Anbieten sexueller Dienste verstößt gegen die öffentliche Ordnung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Aus dem Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1, 2 GG folgt, dass eine Tätigkeit die vom Gesetzgeber grundsätzlich erlaubt wurde, nicht unter Rückgriff auf die öffentliche Ordnung verboten werden kann. Auch soweit man die Durchsetzung herrschender Anschauungen durch das Schutzgut der öffentlichen Ordnung zulässt, bleibt es Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers verbindliche Wertvorstellungen zu normieren. Hat er dies für einen Bereich getan, ist die hierdurch getroffene Wertung vorrangig. Das Anbieten sexueller Dienste ist unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 ProstSchG grundsätzlich erlaubt. Der Gesetzgeber hat somit eine verbindliche Wertung getroffen, die nicht unter Rückgriff auf die öffentliche Ordnung revidiert werden kann.
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