Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2023

Gemeinschaftlich begangene Körperverletzung bei wechselseitiger Abwesenheit der Täter? (BGH, Beschl. v. 15.11.2023, 1 StR 369/23)

Gemeinschaftlich begangene Körperverletzung bei wechselseitiger Abwesenheit der Täter? (BGH, Beschl. v. 15.11.2023, 1 StR 369/23)

22. Januar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A schlägt in seiner Wohnung auf seinen verhassten Nachbarn N ein. As Mitbewohner M kommt dazu und entschließt sich, N ebenfalls spüren zu lassen, dass M nichts von ihm hält. A findet das gut. A verlässt den Raum, woraufhin M auf N einschlägt. Später geht M. A kehrt zurück, um weiter auf N einzuprügeln.

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Einordnung des Falls

Gemeinschaftlich begangene Körperverletzung bei wechselseitiger Abwesenheit der Täter? (BGH, Beschl. v. 15.11.2023, 1 StR 369/23)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat sich wegen Körperverletzung strafbar gemacht, indem er auf N einschlug (§ 223 Abs. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Dafür müsste A den N körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben (= objektiver Tatbestand). Dabei müsste er vorsätzlich (= subjektiver Tatbestand), rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.A hat auf N eingeschlagen. Er hat damit Ns körperliches Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt (= körperliche Misshandlung). A handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. A hat sich nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Liegt eine Körperverletzung – wie hier – ganz offensichtlich vor, musst Du den Gutachtenstil nicht streng einhalten und solltest Dich eher kurz fassen (Schwerpunktsetzung!). Im Originalfall geschieht die Körperverletzung im Zuge einer Vergewaltigung. Da das Sexualstrafrecht kein Examensstoff ist, haben wir den Fall hier abgewandelt.
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2. Eine Strafbarkeit des M nach § 223 Abs. 1 StGB scheidet aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch M hat auf N eingeschlagen und ihn somit körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt. Das tat er vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft und hat sich mithin nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.Bei derart klaren Fällen kannst Du dich in der Prüfung des Delikts ruhig kurz fassen. Dies gilt hier umso mehr, als dass M ähnliche Handlungen vornimmt, wie N und Du für N bereits die Körperverletzung bejaht hast.

3. A und M könnten sich zudem wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem sie beide auf N einschlugen (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB).

Ja!

Grundsätzlich prüfst Du die Strafbarkeit in einem Gutachten geordnet nach Tatkomplexen und Beteiligten, also im jeweiligen Tatkomplex erst die Strafbarkeit einer Person, dann die der anderen vollständig. Hier ist eine gemeinsame Prüfung von A und M nach voran gegangener einzelner Prüfung der Strafbarkeit nach § 223 StGB möglich: So vermeidest Du bei § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine Inzidentprüfung.Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 sind: (1) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung (= Grunddelikt, § 223 Abs. 1 StGB) (2) Mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (= Qualifikation, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB). A und M müssten dabei vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. A und B haben beide (durch eigenes Handeln) den Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt. Fraglich ist, ob sie auch die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt haben.

4. A und M müsste die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen haben (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB).

Genau, so ist das!

Die Körperverletzung wird gemeinschaftlich begangen, wenn mindestens zwei Personen am Tatort als Angreifer einverständlich zusammenwirken. Die Beteiligten müssen dabei nach h.M. nicht mittäterschaftlich handeln. Im Vergleich zu § 223 Abs. 1 StGB ist bei § 224 Abs. 1 StGB das Strafhöchstmaß verdoppelt. Um das zu rechtfertigen, setzt diese Qualifikation eine Art der Beteiligung voraus, die im konkreten Fall zu einer erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer führt.

5. Für die gemeinschaftliche Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) reicht aus, dass die Beteiligten die Handlungen des anderen jeweils befürworten.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt eine Art der Beteiligung voraus, die im konkreten Fall zu einer erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer führt. Wie genau diese erhöhte Gefährlichkeit ausgestaltet sein muss, ist strittig. Nach Ansicht des BGH kann für die gemeinschaftliche Begehung ausreichen, dass ein Beteiligter (vor oder nach der eigenen Handlung) psychische Beihilfe leistet, und der Täter dadurch in seinem Willen zur Körperverletzung bestärkt wird (RdNr. 15). Eine andere Ansicht lässt eine psychische Unterstützung des anderen nur dann ausreichen, wenn diese die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränken. Hier kommt es auf die Sicht des Opfers an. Eine solche Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit kann z.B. durch die Demonstration von Einsatzbereitschaft eines Täters erfolgen. A hat die Körperverletzung des N durch M befürwortet. Es gibt aber keine Hinweise, dass M dadurch in seinem Tatwillen bestärkt wurde. Das reine subjektive Befürworten reicht nach beiden Ansichten nicht aus, um die Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB anzunehmen. Das LG Rottweil hatte § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB als erfüllt angesehen. Der BGH änderte den Schuldspruch i.R.d. Revision nach § 354 Abs. 1 StPO ab (RdNr. 17).

6. Für eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB genügt, dass die Beteiligten abwechselnd Körperverletzungshandlungen ausführen.

Nein!

Die beiden Beteiligten müssen am Tatort zusammenwirken und dabei die konkrete Gefährlichkeit der Tat erhöhen. Hier waren A und M abwechselnd abwesend. Im Zeitraum ihrer Abwesenheit haben sie nicht dazu beigetragen, dass die Gefährlichkeit der Körperverletzungen erhöht wurden. Sie haben somit nicht am Tatort zusammengewirkt. Eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB scheidet für beide aus.Der BGH hat es auch nicht ausreichen lassen, dass durch die abwechselnden Schläge die Gesamtzahl der Verletzungen bei N erhöht wurde.Achte auf die genaue Gestaltung des Sachverhalts. Schon kleine Änderungen können zu einem anderen Ergebnis führen (z.B., wenn A die Tür abschließt (= aktive physische Unterstützung durch Fluchtverhinderung) oder sich gegenüber M bereit erklärt, bei „Problemen“ jederzeit dazu zu kommen (= Demonstration von Eingriffsbereitschaft)).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

VER

versuchterfahrlässigermord

11.1.2025, 10:35:42

Wäre hier nicht auch grds. eine Mittäterschaft zu thematisieren?

Pilea

Pilea

11.1.2025, 11:14:33

Die Mittäterschaft ist eine Zurechnungsnorm. Deshalb braucht man sie meiner Meinung nach nicht in Fällen, in denen beide Täter jeweils den

Tatbestand

vollständig erfüllen. In diesem Fall würde ich deshalb über Mittäterschaft erst nachdenken, wenn zB nur einer der Täter ein gefährliches Werkzeug benutzt, der andere aber nicht, und wir uns dann fragen, ob wir dem zweiten Täter die Handlung des ersten zurechnen.


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