+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Stromlieferant L beliefert S mit Strom. Als S seine Stromrechnung nicht bezahlt, ergeht auf Ls Antrag ein Mahnbescheid und anschließend ein Vollstreckungsbescheid gegen S. Als S auf den Vollstreckungsbescheid hin immer noch nicht zahlt, fragt sich L, was er nun tun kann.
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Einordnung des Falls
Weitere Titel neben dem Urteil (Einführungsfall)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Um die Zwangsvollstreckung zu gegen S zu betreiben, braucht L einen (Vollstreckungs-)Titel gegen S.
Ja, in der Tat!
Der Staat bzw. ein ihm angehörendes Vollstreckungsorgan darf erst mit der Zwangsvollstreckung beginnen, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorliegen. Das sind:
(1) der Titel (§ 750 Abs. 1 ZPO)
(2) die Klausel (§ 724, 725 ZPO)
(3) die Zustellung (§ 750 Abs. 1 ZPO) und
(4) der Antrag (§§ 753, 754 ZPO).
Ein Titel (Vollstreckungstitel) ist eine öffentliche Urkunde, aus der sich ergibt, dass ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch besteht. Als Grundvoraussetzung jeder Zwangsvollstreckung muss er zuerst geschaffen werden. Denn ohne Titel, kann der Gläubiger keine Klausel beantragen und keinen Vollstreckungsantrag stellen. Auch kann man einen Titel (logischerweise) vor dessen Existenz nicht zustellen.
Damit L die Zwangsvollstreckung gegen S betreiben kann, müssen die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorliegen. Hierzu gehört, dass ein Vollstreckungstitel besteht.
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2. Um die Zwangsvollstreckung gegen S betreiben zu können, braucht L also einen Vollstreckungstitel. Muss er hierfür zwangsläufig eine Klage erheben (vgl. § 794 Abs. 1 ZPO)?
Nein!
Ein Urteil ist ein Vollstreckungstitel (§ 704 ZPO). Daneben gibt es weitere Titel. So findet nach § 794 Abs. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung auch aus zahlreichen anderen öffentlichen Urkunden statt, beispielsweise aus Vollstreckungsbescheiden ( § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Ein Vollstreckungsbescheid ist das Ergebnis eines (erfolgreichen) Mahnverfahrens (§§ 688ff. ZPO). Zum Mahnverfahren: Auf Antrag des Gläubigers einer Geldforderung erlässt das Amtsgericht, bei dem der Gläubiger seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 689 Abs. 1, 2 ZPO), oder ein zentrales Mahngericht (§ 689 Abs. 3 ZPO) einen Mahnbescheid, der dem Schuldner zugestellt wird (§ 693 Abs. 1 ZPO). Sofern der Schuldner nicht innerhalb von zwei Wochen Widerspruch einlegt (§§ 692 Abs. 1 Nr. 2, 694 Nr. 1 ZPO), erlässt das Gericht auf Antrag des Gläubigers einen Vollstreckungsbescheid.
L hat bereits einen Titel in Form eines Vollstreckungsbescheids und muss daher nicht mehr klagen.
3. L ahnt nicht, dass er durch den Vollstreckungsbescheid bereits einen Titel gegen S hat und erhebt Klage gegen S. Hat L das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis?
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Die Zulässigkeit einer Klage erfordert unter anderem, dass der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis hat. Er muss durch die Klage ein berechtigtes Interesse verfolgen, welches er nicht auf einfachere, schnellere oder kostengünstigere Art und Weise erreichen kann.
L möchte durch die Klage einen Vollstreckungstitel gegen S erlangen, um die Zwangsvollstreckung gegen S zu betreiben. Durch den Vollstreckungsbescheid hat L jedoch bereits einen Vollstreckungstitel gegen S, aus dem er die Zwangsvollstreckung betreiben kann. Es gibt also einen einfacheren, schnelleren und kostengünstigeren Weg, mit dem S sein Ziel erreichen kann. Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.
4. Für die Zwangsvollstreckung aus einem der in § 794 ZPO genannten Titel gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil (vgl. § 795 ZPO).
Ja, in der Tat!
Nach § 795 ZPO gelten bei der Zwangsvollstreckung aus einem der in § 794 ZPO genannten Titel die üblichen Regeln, sofern sich nicht aus den dort genannten Normen etwas anderes ergibt.
Für die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid normiert § 796 ZPO beispielsweise einige Besonderheiten. So bestimmt § 796 Abs. 1 ZPO, dass man für die Vollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid grundsätzlich keine Vollstreckungsklausel benötigt.
Sofern Du es in der Klausur mit der Vollstreckung aus einem der in § 794 ZPO genannten Titel zu tun hast, solltest Du also stets § 795 ZPO und die dort genannten Normen beachten.