+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Ferdinand Freiherr von und zu Lindenmulch (F) studiert Jura im ersten Semester. Seine reichen Eltern bezahlen ausschließlich Fs Miete, damit er „bodenständig“ wird. F ist bereits im ersten Monat knapp bei Kasse und will Es Pferd von der Koppel „mopsen“ und verkaufen.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
...Wird geladen
Einordnung des Falls
Warum braucht man verschiedene Auslegungsmethoden?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F meint, dass § 242 Abs. 1 StGB die Wegnahme von Tieren nicht regelt und er damit „sicher“ ist. Ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 242 Abs. 1 StGB, dass es auch einen Diebstahl von Tieren geben kann?
Nein, das ist nicht der Fall!
Wenn Du Dich fragst, was eine juristische Formulierung bedeuten soll, ist der erste Anknüpfungspunkt der Wortlaut der Norm. Einfach gesagt, solltest Du Dir erst einmal die Frage stellen: „Was steht da eigentlich (wörtlich/grammatikalisch)?“ Nach dem Wortlaut von § 242 Abs. 1 StGB kann Gegenstand eines Diebstahls nur eine „bewegliche Sache“ sein. Zur Beantwortung der Frage, ob Tiere Gegenstand einer Strafbarkeit von § 242 Abs. 1 StGB sind, muss F also ermitteln, ob ein Tier unter den Begriff der „Sache“ fällt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem natürlichen Wortsinn fallen Tiere nicht eindeutig unter den Begriff der Sache. Beispielsweise wird der Begriff im Duden vorrangig als „Ding, Gegenstand, Etwas“ definiert. Die reine Lektüre von § 242 Abs. 1 StGB hilft L bei der Beantwortung seiner Frage damit nicht weiter.
Rechtsgebiet-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Rechtsgebiet-Wissen in nur 5 Minuten.
2. „Tiere“ sind in § 242 Abs. 1 StGB nicht ausdrücklich erwähnt. Bedeutet das automatisch, dass F straffrei bleibt, wenn er Es Pferd „mopst“?
Nein, das trifft nicht zu!
An diesem Beispiel wird deutlich, warum Du Gesetze auslegen musst. Der Gesetzgeber kann in einer Norm nicht jedes Detail oder jeden denkbaren Anwendungsfall regeln. Vielmehr wirst Du immer wieder auf Rechtsbegriffe und Formulierungen stoßen, die Du mit Hilfe der Auslegungsmethoden konkretisieren musst, um sie auf Deinen spezifischen Fall anwenden zu können. Gerade, weil eine Norm nicht alles wortwörtlich regeln kann, ist es in den meisten Fällen nicht ausreichend, sich allein den Wortlaut einer Norm anzuschauen.
3. Lawra weist F auf § 90a BGB hin. Könnte diese Regelung etwas an Fs Einschätzung ändern, dass man Tiere nicht i.S.v. § 242 Abs. 1 StGB stehlen kann?
Ja!
§ 90a BGB regelt, dass Tiere keine Sachen sind (§ 90a S. 1 BGB), aber die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend auf sie anzuwenden sind, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist (§ 90a S. 3 BGB). Diese zivilrechtliche Norm kann man zwar im Strafrecht nicht direkt anwenden. Sie gibt aber eine allgemeine Wertung für alle strafrechtlichen Normen vor, in denen der Begriff der „Sache“ relevant wird.
Nach der Wertung des § 90a S. 1, S. 3 BGB umfasst der reine Begriff der Sache Tiere zwar gerade nicht. Allerdings werden die für Sachen geltenden Normen (und damit auch § 242 Abs. 1 StGB) grundsätzlich auch auf Tiere angewendet. F kann sich daher grundsätzlich nach § 242 Abs. 1 StGB strafbar machen, wenn er Es Pferd „mopst“. Dieses Beispiel zeigt, dass eine reine Wortlautauslegung einer Norm (hier: § 242 Abs. 1 StGB) nicht unbedingt zu einem „vertretbaren“ Ergebnis führt. Daher braucht es neben der Wortlaut-Auslegung weitere Methoden, um den Regelungsgehalt einer Norm zu verstehen. Dazu später mehr!