Begriff des Verlöbnisses, § 52 Abs. 2 Nr. 1 StPO

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Die 18-jährige A macht kurz nach einem Ladendiebstahl ihrer 17-jährigen Freundin F einen Heiratsantrag. F nimmt diesen gegen den Willen ihrer Eltern an. Im späteren Prozess gegen A wird F vernommen. Die Vorsitzende belehrt sie nur über ihre Wahrheitspflicht, da „ein Verlöbnis nicht bestehe”. A rügt dies nicht und wird verurteilt.

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Einordnung des Falls

Begriff des Verlöbnisses, § 52 Abs. 2 Nr. 1 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Zeugnisverweigerungsrecht der F als Verlobte (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO) scheidet bereits aus, da das angebliche Verlöbnis zum Zeitpunkt der Tat noch nicht bestand.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Verlobte der Angeklagten hat ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Das Zeugnisverweigerungsrecht muss dabei nicht schon zum Tatzeitpunkt bestanden haben. Da der Interessenkonflikt des Angehörigen im Rahmen der Aussage unabhängig vom Zeitpunkt des Zustandekommens des Zeugnisverweigerungsrechts besteht, kommt es nur auf den Zeitpunkt der Vernehmung an.Auch wenn ein Verlöbnis zum Zeitpunkt der Tat noch nicht bestanden haben sollte, hindert dies allein nicht schon das Bestehen des Zeugnisverweigerungsrechts der F im Prozess.
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2. Das Verlöbnis der minderjährigen F war ohne Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter zivilrechtlich unwirksam. Steht dies einem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO entgegen?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Begriff des Verlöbnisses wird in § 52 StPO weder zivilrechtlich noch strafprozessual definiert und ist daher selbstständig nach den Bedürfnissen der Strafrechtspflege zu bestimmen. Genügend, aber auch erforderlich ist ein gegenseitiges und ernstlich gemeintes Eheversprechen. Auf die zivilrechtliche Wirksamkeit kommt es nicht an, da die Interessenkonflikte, vor denen § 52 StPO schützt, genauso bei der zivilrechtlichen Unwirksamkeit des Verlöbnisses bestehen können.Zwar ist das Verlöbnis zwischen A und F zivilrechtlich unwirksam, da F ohne die Zustimmung ihrer Eltern handelte. Da aber zumindest ein beiderseitig ernstgemeintes Eheversprechen vorlag, besteht das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO dennoch.Eine Unwirksamkeit kommt insbesondere bei Heiratsschwindlern in Betracht, die ein Verlöbnis nur eingehen, um an das Vermögen des Partners heranzukommen.

3. Verneint die Vorsitzende das Vorliegen eines Verlöbnisses, kann dies in der Revision nur geltend gemacht werden, wenn A im Prozess den Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO erhebt.

Ja!

Die Rüge nach § 238 Abs. 2 StPO gibt einer Angeklagten die Möglichkeit, bei sachleitenden Anordnungen der Vorsitzenden, die in ihre Rechte eingreifen, die Gesamtverantwortung des Gerichts für ein rechtmäßiges Verfahrens zu aktivieren. Dies soll Revisionen vermeiden. Die Angeklagte muss diese Möglichkeit nutzen, wenn der Vorsitzenden auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenebene ein Beurteilungsspielraum oder Ermessen eingeräumt ist. Sonst ist sie in der Revision präkludiert.Die Bewertung, ob ein Verlöbnis vorliegt, obliegt der Vorsitzenden im Rahmen der Verhandlungsleitung. Sie hat einen Beurteilungsspielraum, da dies allein vom subjektiven Willen der Parteien abhängt. Nimmt V an, dass kein Verlöbnis vorliegt, kann dies in der Revision nur gerügt werden, wenn im Prozess ein Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wird.

4. Kann A erfolgreich in Revision gehen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Da F nicht gemäß § 52 Abs. 3 S. 1 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde, unterlag ihre Aussage einem Verwertungsverbot. Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der Verwertung ihrer Aussage beruht. Da A allerdings den Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO nicht erhoben hat, ist sie in der Revision mit diesem Einwand präkludiert.Achtung: Dies ist vorliegend eine Besonderheit des Verlöbnisses. Da die übrigen Verwandtschaftsverhältnisse klar feststellbar sind und damit kein Beurteilungsspielraum besteht (die Ehe ist etwa ein streng formbedürftiges Rechtsgeschäft), kann in diesen Fällen nicht verlangt werden, dass der Angeklagte die Rüge nach § 238 Abs. 2 StPO erheben muss.
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