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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Ts Onkel O vergewaltigt Ts Frau F. O brüstet sich gegenüber T mehrmals mit dieser Tat. T ist schwer gedemütigt. F versucht dreimal, sich das Leben zu nehmen. T geht mit einer Pistole in das Stammcafé des O und erschießt O beim Kartenspielen von hinten.

Einordnung des Falls

Strafmilderung wegen außergewöhnlicher Umstände

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den O "heimtückisch" getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Das objektive Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt der Täter, der die Arg- und die darauf beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt. O hat nicht mit einem Angriff auf sein Leben im Café gerechnet und war infolgedessen auch in seiner Verteidigungsfähigkeit stark eingeschränkt. Bei der Tötung des O handelte T zudem in feindseliger Willensrichtung und er nutzte die Arg- und Wehrlosigkeit des O bewusst aus.

2. Dass T den O getötet hat, ist aufgrund der Umstände in gewisser Weise nachvollziehbar. Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe stünde nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Maß der Schuld.

Ja!

Die Definition der Heimtücke (bewusstes Ausnutzen der Arg- und der darauf beruhenden Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung in feindlicher Willensrichtung) ist relativ weit gefasst und ermöglicht eine sehr weite Auslegung des Mordmerkmals. Das BVerfG folgert aus dem Schuldgrundsatz sowie dem Rechtsstaatsprinzip, dass Tatbestand und Rechtsfolge aufeinander abgestimmt sein und die angedrohte Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld stehen müssen. BGH: Hier sei, bei Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben, eine Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht zu rechtfertigen (RdNr. 10). Rechtsprechung und Literatur versuchen mit verschiedenen Ansätzen die Verfassungswidrigkeit des Heimtückemerkmals zu vermeiden.

3. Nach der Tatbestandseinschränkung der Literatur durch ein zusätzliches Merkmal ("verwerflicher Vertrauensbruch" bzw. "tückisch-verschlagenes Vorgehen") würde die Strafbarkeit des T wegen Mordes entfallen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Literatur regt eine Restriktion auf Tatbestandsebene an. Ein Teil der Literatur verlangt einen verwerflichen Vertrauensbruch (zu unterscheiden von dem Merkmal der "feindlichen Willensrichtung"). Ein anderer Teil verlangt ein tückisch-verschlagenes, also listiges, hinterhältiges Vorgehen. T hat in verwerflicher Weise das Vertrauensverhältnis zwischen Onkel und Neffen gebrochen. Auch ist ein tückisch-verschlagenes Vorgehen des T zu bejahen, indem T, ohne bemerkt zu werden, in einen Bereich eindringt, in dem sich O regelmäßig aufhält und damit dort sicher fühlt und O dann von hinten erschießt.

4. Nach der Rechtsprechung ist T wegen Mordes zu verurteilen. Er profitiert jedoch von einer Strafmilderung.

Ja, in der Tat!

Die Rechtsprechung verurteilt zwar weiterhin wegen Mordes, mindert aber auf Rechtsfolgenseite den Strafrahmen. Der BGH lässt an die Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe den Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB treten, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Ausmaß der Täterschuld erheblich mindern (RdNr. 37). Diese könnten bei Taten angenommen werden, die in notstandsnahen, ausweglos erscheinenden Situationen in großer Verzweiflung, aus tiefem Mitleid oder aufgrund von wiederholter schwerer Provokation begangen werden. Da O den T wiederholt gedemütigt und provoziert hat, indem er sich mit der Tat brüstete, und F mehrfach versucht hat, sich umzubringen, können solche außergewöhnlichen Umstände hier angenommen werden.

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CaitlynCaro

CaitlynCaro

11.8.2020, 21:56:01

Nach der Vertrauensbruchtheorie würde die Strafbarkeit doch entfallen? Die Subsumtion dieser Absicht geht mE nicht ganz klar aus der Antwort hervor.

Johaennzen

Johaennzen

10.4.2021, 15:43:37

Die Vertrauensbruchtheorie führt nur zu einer Restriktion, wenn kein Vertrauensverhältnis zwischen T & O besteht. Anders formuliert: die Vertrauensbruchtheorie fordert gerade eine Vertrauensbeziehung zwischen T und O. Liegt eine solche nicht vor (zB Meuchelmörder), lehnt diese Ansicht §211 ab. Dies ist in Fällen des Meuchelmörders auch der größte Kritikpunkt an der Ansicht. Hier war O jedoch der Onkel des T. Folglich bestand eine Vertrauensbeziehung, sodass die Vertrauensbruchtheorie §211 bejaht.

Hannah B.

Hannah B.

1.3.2022, 12:21:08

Hallo, @[CaitlynCaro](111936) und @[Johaennzen](13948), vielen Dank für eure Anmerkungen. Wir haben den Fall entsprechend überarbeitet. Viele Grüße Hannah - für das Jurafuchs-Team

SEBA

Sebastián

11.2.2023, 23:59:36

Nachdem der Onkel die Ehefrau des Neffen vergewaltigt hat und ihn mehrfach öffentlich damit gedemütigt hat kann man keine Vertrauensbeziehung mehr annehmen Nur weil eine solche Bestanden hat, heißt das nicht, dass diese nicht auch wieder zu Bruch gehen kann aufgrund von solch gravierenden Handlungen

Paul

Paul

24.5.2023, 16:14:01

Ich würde mich hier den Ausführungen anschließen und auf Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB § 211, Rn. 26a verweisen, in welchem ebenfalls die Möglichkeit einer Aufhebung genannt wird. Im Weiteren würde ich in Frage stellen, ob man selbst bei einer Annahme der Vertrauensbeziehung zu diesem Ergebnis kommt. Meines Erachtens fehlt es an einem Ausnutzen ebendieser. Aus dem Sachverhalt geht für mich nicht hervor, dass T einen Vorteil durch die Vertrauensbeziehung hat. Die Handlung des T ist insoweit durch eine beliebige Person austauschbar und er nutzt lediglich den Überraschungsmoment für sich, was dann meines Erachtens nicht ausreicht. (Vgl. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB § 211, Rn. 26a)

BI

Bilbo

31.7.2023, 22:00:22

Sehe das wie Paul, mE geht es bei der Lehre vom Vertrauensbruch ja gerade darum, dass dieses Vertrauensverhältnis ausgenutzt wird. O weiß ja nicht mal, dass jemand hinter ihm steht, geschweige denn, wer.

Dogu

Dogu

6.8.2023, 17:35:46

Ich schließe mich der Auffassung an, die die Vertrauensbeziehung hier nach der vollendeten Vergewaltigung der eigenen Ehefrau negiert. Worauf soll diese denn basieren? Dabei kann doch nicht nur auf eine (nicht mal in gerader Linie) vorhandene Verwandschaftsbeziehung abgestellt werden? Hätten dann zwei bei Geburt getrennte Geschwister auch eine Vertrauensbeziehung, wenn sie sich noch nie im Leben gesehen haben?

IA

Iris A

21.3.2023, 11:38:39

Warum kann man nicht § 213 StGB analog anwenden?

SE.

se.si.sc

21.3.2023, 12:01:36

Darüber könnte man nachdenken, damit würdest du dich allerdings zumindest gegen die ständige Rechtsprechung stellen (jedenfalls fürs 2. Examen damit nicht zu empfehlen). Zunächst ist der Wortlaut vergleichsweise eindeutig und verweist eben nur auf den Totschläger nach § 212 StGB, nicht (auch) auf den Mörder nach § 211 StGB. Damit ließe sich schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ablehnen, zumal ein minder schwerer Fall bei einem Mord als Straftat mit höchstem Unrechtsgehalt schon begrifflich schwierig erscheint. Zudem könnte man argumentieren, dass der Strafrahmen des § 213 StGB auch für einen eventuellen "minder schweren Fall des Mordes" nicht weit genug geht, weil er zwingend "schon" bei 10 Jahren endet (instruktiv zum Ganzen, auch den historischen Hintergründen, BeckOK-StGB, § 213 Rn. 27). In der Sache hast du aber völlig Recht, dass die

lebenslange Freiheitsstrafe

in einem Fall wie hier nicht ganz angemessen scheint, deswegen kommen dann auch die in der Lösung angesprochenen "Korrekturversuche" der Rspr. und der Lit. ins Spiel.

nullumcrimen

nullumcrimen

24.4.2024, 22:59:54

Ist die Vertrauensbeziehung nicht schon spätestens als T herausgefunden hat, dass O seine Frau vergewaltigt hat entfallen?

Skra8

Skra8

14.5.2024, 18:17:27

Hi @[nullumcrimen](224363), meiner Meinung nach ist das eine Frage, die man nicht falsch entscheiden kann, wenn man sie richtig begründet. Eser und Sternberg-Lieben gehen in Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, konkret auf diese Frage ein: Hier heißt es, dass der Begriff Vertrauen nicht mit schlichter Arglosigkeit gleichgesetzt noch auf institutionalisierte Vertrauensbeziehungen familiärer oder freundschaftlicher Art verkürzt werden darf. Es wird in diesem Zusammenhang konkret darauf hingewiesen, dass innerhalb einer Familie infolge eines Konfliktes das Vertrauensverhältnis aufgehoben werden kann (Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 211 Rn. 26a). Entsprechend würde ich meinen, dass sich nach der Vergewaltigung eines Familienmitglieds ein entsprechender Vertrauensbruch vertreten ließe. Das sehen im Übrigen viele Kollegen - so auch ich - ähnlich wie Du, wenn Du Dir die anderen Threads unter der Aufgabe anschaust. Gruß


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