Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Mord, § 211 StGB
Strafmilderung wegen außergewöhnlicher Umstände
Strafmilderung wegen außergewöhnlicher Umstände
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Ts Onkel O vergewaltigt Ts Frau F. O brüstet sich gegenüber T mehrmals mit dieser Tat. T ist schwer gedemütigt. F versucht dreimal, sich das Leben zu nehmen. T geht mit einer Pistole in das Stammcafé des O und erschießt O beim Kartenspielen von hinten.
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Einordnung des Falls
Strafmilderung wegen außergewöhnlicher Umstände
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat den O "heimtückisch" getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Dass T den O getötet hat, ist aufgrund der Umstände in gewisser Weise nachvollziehbar. Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe stünde nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Maß der Schuld.
Ja!
3. Nach der Tatbestandseinschränkung der Literatur durch ein zusätzliches Merkmal ("verwerflicher Vertrauensbruch" bzw. "tückisch-verschlagenes Vorgehen") würde die Strafbarkeit des T wegen Mordes entfallen.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Nach der Rechtsprechung ist T wegen Mordes zu verurteilen. Er profitiert jedoch von einer Strafmilderung.
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
CaitlynCaro
11.8.2020, 21:56:01
Nach der Vertrauensbruchtheorie würde die Strafbarkeit doch entfallen? Die Subsumtion dieser Absicht geht mE nicht ganz klar aus der Antwort hervor.
Johaennzen
10.4.2021, 15:43:37
Die Vertrauensbruchtheorie führt nur zu einer Restriktion, wenn kein Vertrauensverhältnis zwischen T & O besteht. Anders formuliert: die Vertrauensbruchtheorie fordert gerade eine Vertrauensbeziehung zwischen T und O. Liegt eine solche nicht vor (zB Meuchelmörder), lehnt diese Ansicht §211 ab. Dies ist in Fällen des Meuchelmörders auch der größte Kritikpunkt an der Ansicht. Hier war O jedoch der Onkel des T. Folglich bestand eine Vertrauensbeziehung, sodass die Vertrauensbruchtheorie §211 bejaht.
Hannah B.
1.3.2022, 12:21:08
Hallo, @[CaitlynCaro](111936) und @[Johaennzen](13948), vielen Dank für eure Anmerkungen. Wir haben den Fall entsprechend überarbeitet. Viele Grüße Hannah - für das Jurafuchs-Team
Sebastián
11.2.2023, 23:59:36
Nachdem der Onkel die Ehefrau des Neffen vergewaltigt hat und ihn mehrfach öffentlich damit gedemütigt hat kann man keine Vertrauensbeziehung mehr annehmen Nur weil eine solche Bestanden hat, heißt das nicht, dass diese nicht auch wieder zu Bruch gehen kann aufgrund von solch gravierenden Handlungen
Paul
24.5.2023, 16:14:01
Ich würde mich hier den Ausführungen anschließen und auf Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB § 211, Rn. 26a verweisen, in welchem ebenfalls die Möglichkeit einer Aufhebung genannt wird. Im Weiteren würde ich in Frage stellen, ob man selbst bei einer Annahme der Vertrauensbeziehung zu diesem Ergebnis kommt. Meines Erachtens fehlt es an einem
Ausnutzenebendieser. Aus dem Sachverhalt geht für mich nicht hervor, dass T einen Vorteil durch die Vertrauensbeziehung hat. Die Handlung des T ist insoweit durch eine beliebige Person austauschbar und er nutzt lediglich den Überraschungsmoment für sich, was dann meines Erachtens nicht ausreicht. (Vgl. Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB § 211, Rn. 26a)
Bilbo
31.7.2023, 22:00:22
Sehe das wie Paul, mE geht es bei der L
ehrevom Vertrauensbruch ja gerade darum, dass dieses Vertrauensverhältnis ausgenutzt wird. O weiß ja nicht mal, dass jemand hinter ihm steht, geschweige denn, wer.
Dogu
6.8.2023, 17:35:46
Ich schließe mich der Auffassung an, die die Vertrauensbeziehung hier nach der vollendeten Vergewaltigung der eigenen Ehefrau negiert. Worauf soll diese denn basieren? Dabei kann doch nicht nur auf eine (nicht mal in gerader Linie) vorhandene Verwandschaftsbeziehung abgestellt werden? Hätten dann zwei bei Geburt getrennte Geschwister auch eine Vertrauensbeziehung, wenn sie sich noch nie im Leben gesehen haben?
Amelie7
28.10.2024, 18:05:40
Schließe mich den Ausführungen der anderen an, war auch sehr überrascht, dass eine Vertrauensbeziehung hier angenommen wird.
Iris A
21.3.2023, 11:38:39
Warum kann man nicht § 213 StGB analog anwenden?
se.si.sc
21.3.2023, 12:01:36
Darüber könnte man nachdenken, damit würdest du dich allerdings zumindest gegen die ständige Rechtsprechung stellen (jedenfalls fürs 2. Examen damit nicht zu empfehlen). Zunächst ist der Wortlaut vergleichsweise eindeutig und verweist eben nur auf den Totschläger nach § 212 StGB, nicht (auch) auf den Mörder nach § 211 StGB. Damit ließe sich schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ablehnen, zumal ein
minder schwerer Fallbei einem Mord als Straf
tatmit höchstem Unrechtsgehalt schon begrifflich schwierig erscheint. Zudem könnte man argumentieren, dass der Strafrahmen des § 213 StGB auch für einen eventuellen "minder schweren Fall des Mordes" nicht weit genug geht, weil er zwingend "schon" bei 10 Jahren endet (instruktiv zum Ganzen, auch den historischen Hintergründen, BeckOK-StGB, § 213 Rn. 27). In der Sache hast du aber völlig Recht, dass die lebenslange Freiheitsstrafe in einem Fall wie hier nicht ganz angemessen scheint, deswegen kommen dann auch die in der Lösung angesprochenen "Korrekturversuche" der Rspr. und der Lit. ins Spiel.
nullumcrimen
24.4.2024, 22:59:54
Ist die Vertrauensbeziehung nicht schon spätestens als T herausgefunden hat, dass O seine Frau vergewaltigt hat entfallen?
Skra8
14.5.2024, 18:17:27
Hi @[nullumcrimen](224363), meiner Meinung nach ist das eine Frage, die man nicht falsch entscheiden kann, wenn man sie richtig begründet. Eser und Sternberg-Lieben gehen in Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, konkret auf diese Frage ein: Hier heißt es, dass der Begriff Vertrauen nicht mit schlichter Arglosigkeit gleichgesetzt noch auf institutionalisierte Vertrauensbeziehungen familiärer oder freundschaftlicher Art verkürzt werden darf. Es wird in diesem Zusammenhang konkret darauf hingewiesen, dass innerhalb einer Familie infolge eines Konfliktes das Vertrauensverhältnis aufgehoben werden kann (Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 211 Rn. 26a). Entsprechend würde ich meinen, dass sich nach der Vergewaltigung eines Familienmitglieds ein entsprechender Vertrauensbruch vertreten ließe. Das sehen im Übrigen viele Kollegen - so auch ich - ähnlich wie Du, wenn Du Dir die anderen Threads unter der Aufgabe anschaust. Gruß
Felix
7.11.2024, 09:39:27
Würde man diesen Streit schon im objektiven
Tatbestand bei der Prüfung der Heimtücke führen oder erst am Ende auf Rechtsfolgenseite, wo die Ansicht auch wirklich zur Anwendung kommt?
HannaHaas
16.11.2024, 15:17:59
Das würde mich auch interessieren
hannabuma
18.11.2024, 23:29:17
Wir haben das im ersten Semester im Strafrechtstutorium so gelernt, dass der Streit bereits unter dem
Tatbestandsmerkmal „Heimtücke“ angesprochen wird. Nach Prüfung der Grundvoraussetzungen der Heimtücke wird festgestellt, dass das
Tatbestandsmerkmal einer Einschränkung bedarf. An dieser Stelle werden dann die Lösungen der Lit. + Rspr. und der Streitentscheid aufgeführt. Auf Seite 3 wird das in dieser Lösungsskizze verständlich dargestellt: https://www.jura.uni-frankfurt.de/46820366/loesungsskizze