Familientyrannen-Fall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V trinkt täglich 5 Liter Bier und tyrannisiert und misshandelt seine Frau F und sein Kind K jahrelang. K läuft von zu Hause weg. Aus Furcht vor neuen Misshandlungen und vor den Konsequenzen, die K bei dessen Rückkehr erwarten würden, erschießt F den ahnungslosen schlafenden V.
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Einordnung des Falls
Familientyrannen-Fall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. F hat den V heimtückisch getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Dass F den V getötet hat, ist aufgrund der Umstände in gewisser Weise nachvollziehbar. Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe stünde nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Maß der Schuld.
Ja!
3. Nach der Tatbestandseinschränkung der Literatur durch ein zusätzliches Merkmal ("verwerflicher Vertrauensbruch" bzw. "tückisch-verschlagenes Vorgehen") würde die Strafbarkeit des F wegen Mordes entfallen.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Nach der Rechtsprechung ist F wegen Mordes zu verurteilen. F profitiert jedoch von einer Strafmilderung.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
TeamRahad 🧞
28.9.2021, 08:43:48
Kann man hier nicht sogar an eine Rechtfertigung der Tat wegen Notstands denken? (Stichwort Haustyrann, Dauergefahr) 🤔
Lukas_Mengestu
6.10.2021, 12:33:11
Hallo TeamRahad, das könnte man durchaus andenken. Im Hinblick auf den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) bedarf es - anders als bei der Notwehr - indes immer einer Interessenabwägung. Im Hinblick auf die Menschenwürde kann das Rechtsgut Leben aber nicht in Abwägung zu anderen
Rechtsgütern gestellt werden, weshalb dieser letztlich ausscheidet (vgl. auch BGH NJW 2003, 2464). Insofern kommt in den Haustyrannenfällen in der Regel allenfalls noch der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB) in Betracht, der aber voraussetzt, dass die Gefahr nicht anders abwendbar ist. Dies muss im Einzelfall vom Tatrichter festgestellt werden, wird aber mit Blick auf die Heranziehung behördlicher oder karitativer Hilfe in der Regel zu verneinen sein (vgl. hierzu nochmal BGH NJW 2003, 2464). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
TeamRahad 🧞
6.10.2021, 17:33:22
Ah ok, danke Lukas :)
Helena
21.1.2022, 18:43:48
Ich bin etwas verwirrt, wann die Meinung der Literatur jemals angewandt wird. Weil bei all den Konstellationen, die ich jetzt nachvollziehbar finden würde, würde irgendwie immer ein Vertrauensbruch vorliegen beziehungsweise ein tückisches Vorgehen (Insbesondere weil „verschlagen“ ja auch häufig für den eigenen Schutz gedacht ist.)
Lukas_Mengestu
24.1.2022, 10:57:42
Hallo Helena, die Auffassung der Literatur wurde nicht spezifisch für die Fälle des "Haustyrannenmordes" entwickelt, sondern grundsätzlich, um den weiten Begriff der Heimtücke einzuhegen. In der Tat kommt man in der Haustyrannenkonstellation nach der Literatur wohl in der Regel zur Bejahung der Heimtücke. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
nae3
9.9.2022, 20:50:01
Könnte man innerhalb der Literaturmeinung das Vertrauensverhältnis auch mit der Argumentation ablehnen, zwischen Ehepartnern, von denen einer die andere misshandelt bestehe sowieso kein Vertrauensverhältnis mehr?
Sebastián
12.2.2023, 00:02:39
Ja, absolut - das Vertrauensverhältnis war aufgrund der zahlreichen vorherigen Misshandlungen zerrüttet und nicht mehr vorhanden
nullumcrimen
24.4.2024, 23:08:58
sehe ich auch so!
Iris A
21.3.2023, 11:43:46
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass bei Haustyrannen selbst im Schlaf nicht von Arglosigkeit ausgegangen wird, weil sie selber davor eine Notwehrlage bei jemandem anderen ausgelöst haben und daher damit rechnen könnten, dass noch irgendwann ein Gegenangriff kommt. Ist das dann eher eine Mindermeinung?
Nora Mommsen
21.3.2023, 12:08:33
Hallo Iris A, die BGH Rechtsprechung geht beim
Haustyrannenfallnicht davon aus. Allerdings ist der letzte entsprechende Fall, der bis zum BGH gelangt ist ca. 20 Jahre her. In der Literatur wird z.T. die von dir angeführte Meinung vertreten. In den Chantage-Fällen, bei denen es um Arglosigkeit bei Erpressung geht, wurde mittlerweile parallel zu der Literaturmeinung vom BGH vertreten, dass mit einem Angriff gerechnet werden musste. Es bleibt abzuwarten, ob sich der BGH der Literaturmeinung zu Haustyrannen anschließt und dadurch auch einen Gleichlauf mit den Chantage-Fällen erreicht. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team