Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Anfechtung einer bereits ausgeübten Innenvollmacht

Anfechtung einer bereits ausgeübten Innenvollmacht

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

K möchte eine neue Kamera. Per E-Mail bittet er seine Cousine C, die sich mit Kameras auskennt, ein Modell für ihn auszusuchen und in seinem Namen zu kaufen. Beim Preislimit vertippt K sich jedoch. Statt €1.200 tippt er €2.100. C kauft eine Kamera in Ks Namen für €2.000 bei V.

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Einordnung des Falls

Anfechtung einer bereits ausgeübten Innenvollmacht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen K und V ist ein Kaufvertrag über die Kamera zum Preis von €2.000 zustande gekommen.

Genau, so ist das!

Eine wirksame Stellvertretung setzt voraus, dass der Vertreter eine eigene Willenserklärung im Namen des Vertretenen mit entsprechender Vertretungsmacht abgibt (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Umfang der erteilten Vollmacht ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. C hat die Kamera für K erkennbar selbst ausgesucht und damit eine eigene Willenserklärung abgegeben. Dabei handelte sie in Ks Namen. K hat ihr per E-Mail eine Vollmacht erteilt. Eine Auslegung der Bevollmächtigung ergibt, dass die Vollmacht den Kauf einer Kamera bis zu €2.100 umfassen sollte.
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2. Wenn K die der C erteilte Vollmacht widerruft, wird der Kaufvertrag mit V dadurch nichtig.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Widerruf einer Vollmacht wirkt ex nunc. Wenn der Vertreter also bereits wirksam ein Rechtsgeschäft abgeschlossen hat, kann der Vollmachtgeber dies nicht durch Widerruf der Vollmacht rückgängig machen. Eine wirksame Anfechtung wirkt dagegen ex tunc. Die Vollmacht ist danach als von Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 Abs. 1 BGB). Rückwirkend entfällt damit die Vertretungsmacht des Vertreters für das abgeschlossene Geschäft, sodass die Bindungswirkung für den Vertretenen rückwirkend entfällt.

3. Die Anfechtung einer bereits ausgeübten Vollmacht ist nach h.M. zulässig.

Ja!

Die Anfechtung einer Vollmacht hat zur Folge, dass diese als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Erfolgt die Anfechtung, nachdem der Vertreter mit der Vollmacht bereits ein Rechtsgeschäft mit Wirkung für und gegen seinen Geschäftsherrn abgeschlossen hat, führt dies zum rückwirkenden Entfallen der Vertretungsmacht des Vertreters für dieses Geschäft. Dennoch hält die h.M. die Anfechtung einer bereits ausgeübten Vollmacht für zulässig, da sowohl der Geschäftsgegner, als auch der Vertreter ausreichend durch eigene Ansprüche geschützt seien.

4. K kann die Vollmacht anfechten.

Genau, so ist das!

Eine Anfechtung erfordert einen Anfechtungsgrund und eine Anfechtungserklärung gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner innerhalb der Anfechtungsfrist. Ein Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB ist ein Anfechtungsgrund und liegt vor, wenn der Erklärende ein anderes Erklärungszeichen gesetzt hat, als er setzen wollte. Dies ist der Fall, wenn er sich verspricht oder verschreibt. Anfechtungsgegner bei einer Innenvollmacht ist der Vertreter. Die Anfechtung muss ohne schuldhaftes Zögern erfolgen (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). K hat sich bei der Bevollmächtigung vertippt. Er kann die Vollmacht innerhalb der Anfechtungsfrist gegenüber C anfechten.

5. Wenn K die Bevollmächtigung von C anficht, stehen V Ansprüche gegen C und gegen K zu.

Ja, in der Tat!

Bei Anfechtung einer bereits ausgeübten Vollmacht hat der Geschäftsgegner einen Anspruch aus § 179 BGB gegen den Vertreter, da dieser rückwirkend zum Vertreter ohne Vertretungsmacht geworden ist. Handelte es sich bei der Vollmacht um eine Außenvollmacht, so hat er als Anfechtungsgegner zusätzlich einen Anspruch aus § 122 BGB gegen den Vertretenen. Bei einer Innenvollmacht ist zwar der Vertreter der Anfechtungsgegner, jedoch hat der Geschäftsgegner auch hier nach h.M. einen Anspruch aus § 122 BGB analog gegen den Vertretenen.

6. Wenn K die Bevollmächtigung von C anficht, begründet dies einen Anspruch der C gegen K.

Ja!

Der Vertreter ist bei Anfechtung einer bereits ausgeübten Vollmacht ebenfalls nicht schutzlos. Zwar hat der Vertragspartner gegen ihn einen Anspruch aus § 179 BGB, jedoch hat er bei Anfechtung einer Innenvollmacht als Anfechtungsgegner einen Anspruch gegen den Vertretenen aus § 122 BGB. Bei Anfechtung einer Außenvollmacht besteht nach h.M. ein Anspruch gegen den Geschäftsherrn aus § 122 BGB analog.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

20.6.2022, 18:05:42

Haften dann Vertreter und Vertretener nicht als Gesamtschuldner gg. den Dritten?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.6.2022, 15:02:49

Hallo A.F., durch die Anfechtung der ausgeübten Vollmacht wird zunächst der Vertrag zwischen K und V beseitigt, sodass kein Anspruch bzgl. des Kaufpreises mehr besteht. Aber im Hinblick auf etwaige Schäden (zB Versandkosten) haften K und C dem V in der Tat als Gesamtschuldner (§ 421 BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

19.9.2023, 16:16:38

@[Lukas_Mengestu](136780) Könntest du dieses Ergebnis bitte näher begründen? :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.9.2023, 17:11:04

@[QuiGonTim](133054)Hi QuiGonTim, na klar! Eine Gesamtschuld nach § 421 BGB liegt vor, wenn mehrere eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist. Ungeschriebenes Merkmal ist zudem die Gleichstufigkeit der Ansprüche. Da der Kaufvertrag hier infolge der Anfechtung rückwirkend beseitigt wurde, hat V zwar keinen Anspruch mehr auf den Kaufpreis (§ 433 Abs. 2 BGB). In Betracht kommt aber ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens der dadurch eingetreten ist, dass V auf das Bestehen des Vertrages vertraut hat (sog. negativer Schaden). Der Anspruch gegen den Vertreter resultiert dabei aus § 179 BGB (Vertreter ohne Vertretungsmacht). Zudem steht dem Geschäftspartner auch bei Anfechtung der ausgeübten Innenvollmacht zumindest ein Anspruch analog

§ 122 BGB

gegen den Vertretenen zu. Für V ist unerheblich, dass im Innenverhältnis letztlich nur K haftet. Ihm gegenüber haften K und C nach hM gleichrangig, sodass eine Gesamtschuld nach § 421 BGB vorliegt. Ich hoffe, jetzt wird es klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

M.B

M.B.Schott

1.2.2023, 09:01:06

Hallo. Sehr gute Aufgabe, aber wie müsste man dies im Gutachten prüfen? Also in welcher Schrittfolge?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.2.2023, 10:40:17

Hallo M.B. Schott, du würdest mit der Prüfung unter I. Anspruch entstanden beginnen. Dort ist zunächst der Vertragsschluss, also das Vorliegen zweier korrespondierender Willenserklärungen zu prüfen. An dieser Stelle kommt dann auch die Vertretung ins Spiel. Anschließend ist zu prüfen, ob die Willenserklärung des K rückwirkend durch Anfechtung beseitigt wurde. Dann ist anzusprechen, dass er nicht die Willenserklärung gegenüber dem Verkäufer sondern die Vollmachtserteilung beseitigen will. Dann problematisierst du, ob dies bei einer bereits ausgeübten Innenvollmacht überhaupt möglich ist. Durch die Anfechtung entfällt die Vertretungsmacht der C, sodass ihre Willenserklärung nicht mehr für und gegen K wirkt. Es liegen also keine zwei übereinstimmenden Willenserklärungen zwischen K und dem Verkäufer mehr vor. Natürlich gibt es nicht nur einen richtigen Anspruchsaufbau. Da die Anfechtung aber ex-tunc, also rückwirkend wirkt, ist sie noch unter Anspruch entstanden als letztes zu prüfen. Geht sie durch, hat die Willenserklärung quasi nie vorgelegen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchsteam

JJO

JJO

15.6.2023, 11:31:06

Moin, die Unterscheidung zwischen der Anfechtung einer ausgeübten Außenvollmacht und einer ausgeübten Innenvollmacht finde ich hier etwas zu undifferenziert. M.E. ist es sehr strittig, ob eine ausgeübte Innenvollmacht angefochten werden kann. Hier einfach zu sagen "V stehen bei Anfechtung des K Ansprüche gegen C und K zu" ist nicht pauschal richtig. Nach e.A. kann K gar nicht anfechten, weil C die Innenvollmacht bereits ausgeübt hat und nach der h.M. steht grundsätzlich V auch kein Anspruch gegen K zu, da die Anfechtung nur gegenüber C erfolgt, aber sie schränkt das Wahlrecht nach § 143 BGB ein, sodass K die Anfechtung ebenfalls gegenüber V erklären muss. Das hier nur auf die h.M. verwiesen wird und Argumente wie das Liquiditätsrisiko nicht genannt werden, finde ich unzureichend. Wäre super, wenn ihr hier nochmal nachbessern könntet!

ISAB

Isabelle.Sophie

5.11.2023, 11:56:36

Bei Anfechtung einer Innenvollmacht hat der Geschäftsgegner einen Anspruch gegen den Vertreter aus § 179 und gegen den Vertretenen aus § 122 analog. Und hat dann der Vertreter trotzdem auch einen Anspruch gegen den Vertretenen aus § 122 (da er ja eigentlich der Anfechtungsgegner bei der Innenvollmacht ist)? Bei Anfechtung einer Außenvollmacht hat der Geschäftsgegner gegen den Vertreter einen Anspruch aus § 179 und gegen den Vertretenen aus § 122 direkt (da er der Anfechtungsgegner ist), ist das richtig? Hat dann der Vertreter auch einen Anspruch gegen den Vertretenen aus § 122 analog (er ist bei der Außenvollmacht ja nicht der Anfechtungsgegner)?

Paulah

Paulah

12.12.2023, 13:08:54

Genau so wird es zumindest in den Erklärungen zu den Aufgaben und in den angegebenen Fundstellen angegeben. Der Anspruch des Vertreters gegen den Vertretenen aus § 122 analog ist zumindest h. M.

Kathi

Kathi

21.5.2024, 17:47:23

bin bisschen verwirrt, in den Unterlagen eines Repititoriums steht eindeutig, dass nach h.M. kein Anspruch aus § 179 I gegen den Vertreter entsteht, sondern nur wie angegeben aus § 122 gegen den Vollmachtgeber. Oder ist der Knackpunkt, dass § 179 I (+) ist bei bereits ausgeübter Vollmacht?

Niklas3461

Niklas3461

17.6.2024, 12:26:32

Nach meiner Erinnerinung und nach diesem Dokument "https://www.wiwi.uni-siegen.de/rechtswissenschaften/krebs/dokumente/crash_kurs/ws05_06/die_stellvertretung_zusatz_3.pdf", was auf Brox Walker und Flume basiert ist ein Anspruch gegen den Vertreter ausgeschlossen, weil diesem sonst unbilligerweise das Insolvenzrisiko des Vertretenen aufgebürdet würde und der andere Teil durch das Vertretergeschäft zwei Anspruchsgegner hätte, aber in diesem Punkt gar nicht schutzwürdig ist. Ich bitte einmal um eine Erklärung warum das in diesem Fall anders ist. Vielen Dank Niklas

Niklas3461

Niklas3461

20.6.2024, 13:31:45

Ich bitte nochmal um Erklärung, warum das hier in der Aufgabe anders gelöst ist.

Niklas3461

Niklas3461

12.7.2024, 14:12:51

Liebes Jura-Fuchs-Team, es wäre super wenn ihr die Frage beantworten könntet. Danke euch. Beste Grüße Niklas

MAH

Marvin Hort

4.9.2024, 11:18:09

Ich würde eine Antwort auf die Frage auch nochmal begrüßen. Bisher war mein Verständnis so, dass im Falle der Anfechtung einer Innenvollmacht ggü. dem Vertreter grundsätzlich zwar ein Anspruch des Geschäftspartners gegen den Vertretenen aus § 179 Abs. 2 BGB bestünde und der Vertreter seinerseits einen Anspruch aus

§ 122 BGB

gegen den Vertretenen hat. Um aber dem Vertreter nicht das Insolvenzrisiko aufzubürden, soll laut der h.M. (zumindest nach dem wie ich es gelernt habe) der Geschäftspartner den Anspruch aus

§ 122 BGB

analog gegen den Vertretenen erhalten bei gleichzeitigem Entfall des Anspruch aus § 179 BGB gegen den Vertreter und auch dieser soll nicht mehr den Anspruch aus

§ 122 BGB

haben. Ihr schreibt nun allerdings in eurer Lösung, dass der Geschäftspartner sowohl den Anspruch aus § 179 BGB gegen den Vertreter erhält plus einen Anspruch aus

§ 122 BGB

gegen den Vertretenen und das der Vertreter auch einen Anspruch aus

§ 122 BGB

gegen den Vertretenen erhält. Das ist für mich ein wenig verwirrend.

David

David

2.7.2024, 02:35:44

Liebes Jurafuchs-Team, ich würde mich den Vorrednern anschließen und euch zur Erinnerung noch einmal darum bitten, die Aufgabe zur Anfechtung der kundgemachten Vollmacht durch weitere Unteraufgaben zu erweitern und auch die anderen Ansichten zu erwähnen, die hierzu vertreten werden. Ist meines Erachtens eins der Klassikerprobleme des BGB AT, das entsprechend häufig im Examen und Übungsklausuren drankommt. Vielen Dank im Voraus!

STEFU

stefunny

1.9.2024, 17:31:57

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist die Erteilung einer Vollmacht neutral. Allerdings könnte der beschränkt Geschäftsfähige durch eine Anfechtung haften. Wie kann das sein?


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