Wahndelikt 3

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T sieht, wie O auf D sitzt und mit seinen Fäusten auf diesen einschlägt. T zieht seine Pistole und droht dem O erst mit dieser. Auch ein Warnschuss beeindruckt O nicht. T möchte vermeiden, O ernsthaft zu verletzen und schießt daher noch einmal eng an dessen Körper vorbei, wobei er billigend in Kauf nimmt, O zu töten. O erschrickt und flieht. Dabei geht T davon aus, dass der Gebrauch von Schusswaffen nie gerechtfertigt ist.

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Einordnung des Falls

Wahndelikt 3

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlages (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).
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2. T hat „Tatentschluss“ hinsichtlich des Tatbestandserfolges.

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T hat Eventualvorsatz, O zu töten.

3. T hat „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

Ja!

Das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB) liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Durch den Schuss hat T alles nach seiner Vorstellung Erforderliche getan, da O bereits dadurch hätte umkommen können.

4. T handelte rechtswidrig.

Nein, das ist nicht der Fall!

T wollte den Angriff von D, d.h. einem anderen, abwehren und handelte im Rahmen der Nothilfe (§ 32 StGB). Seine Verteidigungshandlung war insbesondere erforderlich, da er sich nicht selbst gefährden und versuchen musste, den D mit eigener Körperkraft zu verteidigen. Darüber hinaus handelte er mit der Absicht, den D zu retten, und hatte insoweit Verteidigungsabsicht.

5. T ist trotzdem zu bestrafen, weil er sein Handeln für rechtswidrig hielt.

Nein, das trifft nicht zu!

Wer sich eine Strafbarkeit vorstellt, ist nicht allein aufgrund dieser Vorstellung zu bestrafen. Ansonsten würde dies auch dazu führen, dass Juristen, die die Auffassung der Rechtsprechung kennen, nicht rechtswidrig handeln und in diesen Fällen privilegiert würden. Im umgekehrten Fall muss der Laie die Anforderungen des Verbotsirrtums (§ 17 StGB) einhalten, was selten der Fall sein wird. Auch der vorliegende umgekehrte Erlaubnisirrtum ist daher ein strafloses Wahndelikt und führt nicht zur Strafbarkeit.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

21.10.2021, 18:17:38

Ist nicht bei bloßem Fortfall des Erfolgsunrechts durch Rechtfertigung aber weiter bestehenden Handlungsunrechts mangels Wille zur Rechtfertigung noch aus Versuch zu bestrafen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.10.2021, 13:39:42

Hallo nomamo, sehr gute Frage! Hier sind zunächst zwei Aspekte zu trennen: a) Die Notwendigkeit des

Verteidigungswille

n für die Notwehr und b) der Umgang mit dem irrtum des T.

Verteidigungswille

n liegt ohne weiteres hier vor. T ging es darum, D zu Hilfe zu eilen und nicht etwa darum, im Schutz der Notwehr O zu attackieren. Hinsichtlich des Irrtums befinden wir uns in dem anfangs etwas verwirrenden Bereich zwischen untauglichem Versuch und

Wahndelikt

bei denen jeweils kein Erfolgsunrecht vorliegt. Der untaugliche Versuch stellt sich dabei als Irrtum auf tatsächlicher Ebene dar. Dieser liegt zB dann vor, wenn das

Tatobjekt

oder das Tatmittel untauglich sind, um den Erfolg zu bewirken (vgl. § 23 Abs. 3 StGB):

Tatobjekt

= zB Schuss auf eine Leiche (somit kein Totschlag möglich, da die Person ohnehin tot war); Tatmittel = zB Vergiftung des Opfers mit harmlosem Schmerzmittel (von vorneherein war dadurch der Totschlag nicht zu realisieren). Von diesen Fällen abzugrenzen ist das

Wahndelikt

. Von

Wahndelikt

spricht man, wenn der Täter rehtlich irrig annimmt, sein Verhalten verstoße gegen eine Strafnorm, die es entweder nicht gibt oder die er nachteilig für sich auslegt. Es gibt dabei a) den umgekehrten Verbotsirrtum (Täter stellt sich vor, er verstoße gegen eine Strafvorschrift, die es nicht gibt), b) den umgekehrten

Erlaubnisirrtum

(Täter stellt sich vor, die Grenzen eines bestehenden Rechtfertigungsgrundes seien überschritten) und c)den umgekehrten Subsumtionsirrtum (falsche Subsumtion zuungunsten des Täters): a)umgekehrter Verbotsirrtum: zB Glaube, dass bloße Gebrauchsentziehung bereits strafbar sei; b) umgekehrter

Erlaubnisirrtum

= unser Fall c)umgekehrter Subsumtionsirrtum = Täter hält die

schriftliche Lüge

(=richtiger Aussteller, aber falscher Inhalt) für eine strafbare Urkundenfälschung Während sich der Täter beim untauglichen Versuch also in einem tatsächlichen Irrtum befindet, handelt der Täter beim

Wahndelikt

in einem rechtlichen Irrtum. Dies ist auch der Grund, warum der untaugliche Versuch strafbar ist, während das

Wahndelikt

straffrei bleibt. Denn da Irrtümer auf tatbestandlicher Ebene (zB Schuss auf einen Baum, der sich als verkleideter Mensch herausstellt) zum Ausschluss der Strafbarkeit führen können(§ 16 Abs. 1 StGB), ist es nur folgerichtig, dass sie im umgekehrten Fall auch strafbarkeitsbegründend wirken. Rechtsirrtümer (zB meine Vorstellung, dass ich im Supermarkt die Waren umsonst mitnehmen kann) sind dagegen grundsätzlich unbeachtlich für die Strafbarkeit (Ausnahme:zB §§ 17, 33 StGB). Umgekehrt können sie dann aber auch keine Strafbarkeit begründen und das entsprechende Verhalten bleibt straffrei. Wird es so etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

jomolino

23.10.2021, 17:56:00

Eine Nachfrage: d.h. angenommen der Täter hätte einfach in Unkenntnis des objektiven Vorliegen von Rechtfertigungsvoraussetzungen gehandelt, läge aber durchaus ein strafbarer Versuch vor. Hier will er aber verteidigen, glaubt nur ein unzulässiges Mittel gewählt zu haben, was vom RFG nicht gedeckt ist - daher strafloses

Wahndelikt

, richtig? Und danke schonmal für die ausführliche Antwort!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.10.2021, 18:19:27

Hi nomamo, auch in dem von Dir gebildeten Fall liegt eigentlich ein

Erlaubnisirrtum

vor. Denn auch da stellt er sich ja vor, dass sein Tun nicht gerechtfertigt ist. Sagen wir mal, ich bin französischer Tourist und werde in Deutschland angegriffen. Wenn ich mich jetzt verteidige, dann kommt es überhaupt nicht darauf an, dass ich weiß, dass es in Deutschland so etwas wie das Recht zur Notwehr gibt und die Schläge die ich gegenüber dem anderen einsetze, insofern gerechtfertigt sind und keine strafbare Körperverletzung. Anders liegt der Fall dagegen, wenn ich angegriffen werde und weiß, dass es so etwas wie Notwehr gibt. Wenn ich nun in Kenntnis dessen primär zuschlage, um den anderen zu verletzen und dies auch mein handlungsleitendes Motiv ist, dann scheidet die Notwehr mangels

Verteidigungswille

n aus (vgl. aus der Praxis auch BGH, Urt. v. 27.10.2015 - 3 StR 199/15 = NStZ 2016, 333). Beste Grüße, Lukas

lennart20

lennart20

26.4.2023, 18:50:53

Wie würde sich der Tatbestand verändern, wenn er wirklich den O treffen würde?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.4.2023, 13:17:54

Hallo lennart20, danke für deine Frage. Dann würde natürlich die Versuchsprüfung an der Vollendung scheitern. Anschließend wäre je nach Verlauf eine vollendete Körperverletzung oder ein vollendeter Totschlag zu prüfen. Aber auch dort kommt die Situation mit D auf der Rechtfertigungsebene zu tragen. Insbesondere durch den zunächst abgegebenen Warnschuss und die Gefahr für Ds Leib und Leben würde auch einen tödlichen Schuss rechtfertigen im Rahmen des Notwehrrechts, wenn es nicht möglich ist einen nicht tödlichen Schuss auf O abzufeuern. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Constanze

Constanze

15.5.2023, 08:06:12

Unter welchem prüfungspunkt würde man diese fehlvorstellung ansprechen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.5.2023, 16:20:38

Hallo Constanze, die Fehlvorstellung könntest Du hier bei der Rechtswidrigkeit ansprechen, indem Du zunächst auf die tatsächliche Lage eingehst und dann hinterherschiebst, dass sich daran auch durch die Fehlvorstellung des T nichts ändert, weswegen die Rechtswidrigkeit entfällt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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