Wahndelikt 3
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T sieht, wie O auf D sitzt und mit seinen Fäusten auf diesen einschlägt. T zieht seine Pistole und droht dem O erst mit dieser. Auch ein Warnschuss beeindruckt O nicht. T möchte vermeiden, O ernsthaft zu verletzen und schießt daher noch einmal eng an dessen Körper vorbei, wobei er billigend in Kauf nimmt, O zu töten. O erschrickt und flieht. Dabei geht T davon aus, dass der Gebrauch von Schusswaffen nie gerechtfertigt ist.
Diesen Fall lösen 85,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Versuch eines Totschlages (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hat „Tatentschluss“ hinsichtlich des Tatbestandserfolges.
Ja, in der Tat!
3. T hat „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.
Ja!
4. T handelte rechtswidrig.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. T ist trotzdem zu bestrafen, weil er sein Handeln für rechtswidrig hielt.
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jomolino
21.10.2021, 18:17:38
Ist nicht bei bloßem Fortfall des Erfolgsunrechts durch Rechtfertigung aber weiter bestehenden Handlungsunrechts mangels Wille zur Rechtfertigung noch aus Versuch zu bestrafen?
Lukas_Mengestu
23.10.2021, 13:39:42
Hallo nomamo, sehr gute Frage! Hier sind zunächst zwei Aspekte zu trennen: a) Die Notwendigkeit des
Verteidigungswillen für die Notwehr und b) der Umgang mit dem irrtum des T.
Verteidigungswillen liegt ohne weiteres hier vor. T ging es darum, D zu Hilfe zu eilen und nicht etwa darum, im Schutz der Notwehr O zu attackieren. Hinsichtlich des Irrtums befinden wir uns in dem anfangs etwas verwirrenden Bereich zwischen untauglichem Versuch und
Wahndeliktbei denen jeweils kein Erfolgsunrecht vorliegt. Der untaugliche Versuch stellt sich dabei als Irrtum auf tatsächlicher Ebene dar. Dieser liegt zB dann vor, wenn das
Tatobjektoder das Tatmittel untauglich sind, um den Erfolg zu bewirken (vgl. § 23 Abs. 3 StGB):
Tatobjekt= zB Schuss auf eine Leiche (somit kein Totschlag möglich, da die Person ohnehin tot war); Tatmittel = zB Vergiftung des Opfers mit harmlosem Schmerzmittel (von vorneherein war dadurch der Totschlag nicht zu realisieren). Von diesen Fällen abzugrenzen ist das
Wahndelikt. Von
Wahndeliktspricht man, wenn der Täter rehtlich irrig annimmt, sein Verhalten verstoße gegen eine Strafnorm, die es entweder nicht gibt oder die er nachteilig für sich auslegt. Es gibt dabei a) den umgekehrten Verbotsirrtum (Täter stellt sich vor, er verstoße gegen eine Strafvorschrift, die es nicht gibt), b) den umgekehrten
Erlaubnisirrtum(Täter stellt sich vor, die Grenzen eines bestehenden Rechtfertigungsgrundes seien überschritten) und c)den umgekehrten Subsumtionsirrtum (falsche Subsumtion zuungunsten des Täters): a)umgekehrter Verbotsirrtum: zB Glaube, dass bloße Gebrauchsentziehung bereits strafbar sei; b) umgekehrter
Erlaubnisirrtum= unser Fall c)umgekehrter Subsumtionsirrtum = Täter hält die
schriftliche Lüge(=richtiger Aussteller, aber falscher Inhalt) für eine strafbare Urkundenfälschung Während sich der Täter beim untauglichen Versuch also in einem tatsächlichen Irrtum befindet, handelt der Täter beim
Wahndeliktin einem rechtlichen Irrtum. Dies ist auch der Grund, warum der untaugliche Versuch strafbar ist, während das
Wahndeliktstraffrei bleibt. Denn da Irrtümer auf tatbestandlicher Ebene (zB Schuss auf einen Baum, der sich als verkleideter Mensch herausstellt) zum Ausschluss der Strafbarkeit führen können(§ 16 Abs. 1 StGB), ist es nur folgerichtig, dass sie im umgekehrten Fall auch strafbarkeitsbegründend wirken. Rechtsirrtümer (zB meine Vorstellung, dass ich im Supermarkt die Waren umsonst mitnehmen kann) sind dagegen grundsätzlich unbeachtlich für die Strafbarkeit (Ausnahme:zB §§ 17, 33 StGB). Umgekehrt können sie dann aber auch keine Strafbarkeit begründen und das entsprechende Verhalten bleibt straffrei. Wird es so etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jomolino
23.10.2021, 17:56:00
Eine Nachfrage: d.h. angenommen der Täter hätte einfach in Unkenntnis des objektiven Vorliegen von Rechtfertigungsvoraussetzungen gehandelt, läge aber durchaus ein strafbarer Versuch vor. Hier will er aber verteidigen, glaubt nur ein unzulässiges Mittel gewählt zu haben, was vom RFG nicht gedeckt ist - daher strafloses
Wahndelikt, richtig? Und danke schonmal für die ausführliche Antwort!
Lukas_Mengestu
23.10.2021, 18:19:27
Hi nomamo, auch in dem von Dir gebildeten Fall liegt eigentlich ein
Erlaubnisirrtumvor. Denn auch da stellt er sich ja vor, dass sein Tun nicht gerechtfertigt ist. Sagen wir mal, ich bin französischer Tourist und werde in Deutschland angegriffen. Wenn ich mich jetzt verteidige, dann kommt es überhaupt nicht darauf an, dass ich weiß, dass es in Deutschland so etwas wie das Recht zur Notwehr gibt und die Schläge die ich gegenüber dem anderen einsetze, insofern gerechtfertigt sind und keine strafbare Körperverletzung. Anders liegt der Fall dagegen, wenn ich angegriffen werde und weiß, dass es so etwas wie Notwehr gibt. Wenn ich nun in Kenntnis dessen primär zuschlage, um den anderen zu verletzen und dies auch mein handlungsleitendes Motiv ist, dann scheidet die Notwehr mangels
Verteidigungswillen aus (vgl. aus der Praxis auch BGH, Urt. v. 27.10.2015 - 3 StR 199/15 = NStZ 2016, 333). Beste Grüße, Lukas
lennart20
26.4.2023, 18:50:53
Wie würde sich der Tatbestand verändern, wenn er wirklich den O treffen würde?
Nora Mommsen
27.4.2023, 13:17:54
Hallo lennart20, danke für deine Frage. Dann würde natürlich die Versuchsprüfung an der Vollendung scheitern. Anschließend wäre je nach Verlauf eine vollendete Körperverletzung oder ein vollendeter Totschlag zu prüfen. Aber auch dort kommt die Situation mit D auf der Rechtfertigungsebene zu tragen. Insbesondere durch den zunächst abgegebenen Warnschuss und die Gefahr für Ds Leib und Leben würde auch einen tödlichen Schuss rechtfertigen im Rahmen des Notwehrrechts, wenn es nicht möglich ist einen nicht tödlichen Schuss auf O abzufeuern. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Constanze
15.5.2023, 08:06:12
Unter welchem prüfungspunkt würde man diese fehlvorstellung ansprechen?
Lukas_Mengestu
15.5.2023, 16:20:38
Hallo Constanze, die Fehlvorstellung könntest Du hier bei der Rechtswidrigkeit ansprechen, indem Du zunächst auf die tatsächliche Lage eingehst und dann hinterherschiebst, dass sich daran auch durch die Fehlvorstellung des T nichts ändert, weswegen die Rechtswidrigkeit entfällt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team