Wahndelikt 4

17. April 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft am Montag an K ein Auto. K soll das Auto Mittwoch bezahlen und abholen. Dabei geht V davon aus, dass das Eigentum bereits durch Kaufvertrag übergegangen ist. Dienstag bietet D dem V einen höheren Kaufpreis. V nimmt an und übergibt D noch am selben Tag das Auto.

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Einordnung des Falls

Wahndelikt 4

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch einer Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Unterschlagung ist ein Vergehen und daher nur im Versuch strafbar, da die Strafbarkeit ausdrücklich bestimmt ist (§§ 246 Abs. 3, 12 Abs. 2 StGB).
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2. V hat nach der herrschenden Meinung „Tatentschluss“ bezüglich einer Unterschlagung.

Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. Hier stellt sich die Frage, ob T Vorsatz hinsichtlich der Fremdheit der Sache hat. Nach der herrschenden Meinung hat T nicht den strafrechtlichen Begriff der Fremdheit falsch ausgelegt. Er irrt sich über die zivilrechtlichen Voraussetzungen des Eigentumsübergangs. Da ein umgekehrter Irrtum darüber den Täter auch entlastet, soll dieser ihn belasten können. T hat tatsächlich die Absicht, Unrecht zu begehen und einen Straftatbestand zu verwirklichen. Die Untauglichkeit des Versuchs wirkt sich auf die Strafbarkeit nicht aus. Problematisch ist dabei vor allem, dass Rechtskundige in solchen Fällen besser stehen würden. Allerdings stünden diese im umgekehrten Fall auch besser da.

3. Eine Mindermeinung nimmt in dem vorliegenden Fall lediglich ein Wahndelikt an.

Ja, in der Tat!

Eine Mindermeinung sieht in jedem umgekehrten Rechtsirrtum, auch außerhalb des Strafrechts, ein Wahndelikt. Nach dieser Ansicht würde der Schutzbereich der strafrechtlichen Norm überdehnt, da die Handlung als solche nicht sanktioniert werden sollte und der Täter den gesamten Sachverhalt kennt. Zum anderen ist die außerstrafrechtliche Norm gerade relevant für das Unrecht, sodass ein Irrtum darüber nicht anders behandelt werden könne, als wenn die Norm strafrechtlicher Natur wäre. Teilweise hänge dies auch vom Zufall ab, ob ein Verweis erfolgt, oder das Strafrecht das Merkmal selbst bestimmt. Daher ist an die Tatsachenvorstellung des Täters anzuknüpfen und diese der rechtlichen Prüfung zu unterziehen, nicht jedoch die rechtlichen Wertungen des Täters selbst.

4. V hat durch die Übergabe an D „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

Ja!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Mit der Übergabe und dem Verkauf an D hat V nach seiner Vorstellung alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan.

5. V handelte rechtswidrig und schuldhaft.

Genau, so ist das!

V hat auch rechtswidrig sowie schuldhaft gehandelt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Mogli

Mogli

26.6.2021, 18:12:40

Inwieweit liegt hier jetzt ein Unterschied zu dem Fall mit dem Vater vor, der den Hund seines Sohnes als „anderen Mensch sieht“ und diesen versucht zu töten. Dort wurde ja der

Tatentschluss

einen andern Menschen zu töten verneint, da es sich um ein falsches Tatobjekt handelt. Hier könnte man doch auch eine falsches Tatobjekt annehmen, da die Sache nicht fremd war. Oder ist der Unterschied darin zu sehen, dass der Laie im ersten Fall klar erkennen kann dass es nicht um einen „Menschen“handelt

Simon

Simon

23.2.2022, 00:04:31

MMn liegt der Unterschied darin, dass der Vater einen Straftatbestand verwirklichen will, den es gar nicht gibt, wohingegen dies bei V anders ist. § 212 verlangt die Tötung eines anderen Menschen. Der Vater weiß natürlich, dass ein Hund kein Mensch ist. Er denkt aber, auch die Tötung eines Tieres, dessen Eigentümer eine innige Beziehung zu diesem hat (vglb. mit der Beziehung zu einem Menschen), sei strafbar. § 246 verlangt das Vorliegen einer fremden Sache. Dabei hat V durchaus verstanden, was "fremd" idS heißt (Stichwort:

Parallelwertung in der Laiensphäre

): nämlich dass die Sache rechtlich einem anderen zugeordnet ist und dieser damit grds. nach Belieben verfahren und andere von der Nutzung ausschließen kann. V irrt sich lediglich darüber, wann diese Zuordnung einer Sache zu einer Person eintritt. MaW: Im ersten Fall verlangt das Gesetz, dass der Täter einen Menschen töten will. Der Täter versteht aber den Begriff des "Menschen" anders als es das Gesetz tut. Im zweiten Fall verlangt das Gesetz, dass sich der Täter eine fremde Sache zueignen will. Der Täter versteht den Begriff der "Fremdheit" wie es das Gesetz tut, irrt aber über das Vorliegen des Merkmals in der Realität.

lennart20

lennart20

26.4.2023, 15:15:04

Liegt hier eine Paralellwertung in der

Laiensphäre

auf

Tatentschluss

ebene vor?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.4.2023, 12:57:52

Hallo lennart20, der

Tatentschluss

muss sich auf alle objektiven und deliktsspezifischen subjektiven

Tatbestandsmerkmale

beziehen. Die

Parallelwertung in der Laiensphäre

kommt dort zu tragen, wo dem Tatbestandsmerkmal nicht nur ein tatsächlicher Sinn anhaftet (wie z.B. Mensch) sondern einer juristischen Würdigung bedarf. Dort kommt es nicht darauf an, dies im einzelnen korrekt erfasst zu haben, sondern eben darauf dass die die Vorstellung des Täter im Rahmen einer

Parallelwertung in der Laiensphäre

auf das Tatbestandsmerkmal bezog. Die Parallelwertung kommt also auch im Rahmen des

Tatentschluss

zum Tragen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

NME

nmew

8.3.2025, 14:09:41

Liegt hier nach der Ersten Ansicht also ein

untauglicher Versuch

vor?

LELEE

Leo Lee

10.3.2025, 14:27:39

Hallo nmew, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Genauso ist es. Da V hier meint, dass das Eigentum bereits übergegangen sei (was nicht stimmt nach dem Zivilrecht), unterliegt er einem Irrtum, hat jedoch

Vorsatz

bzgl. der Unterschlagung, was aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Folglich kommt sehr wohl ein

untauglicher Versuch

in Betracht. Da hier jedoch ein rechtliches TBM betroffen ist, ist der berüchtigte Streit zur Abgrenzung zw. dem untauglichen Versuch und dem

Wahndelikt

zu bringen, wonach entweder 16 oder 17 StGB einschlägig sein wird. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage Hoffmann-Holland § 23 Rn. 45 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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