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Klassiker im Öffentlichen Recht
Islamisches Gebet in der Schulzeit
Islamisches Gebet in der Schulzeit
5. Juli 2025
9 Kommentare
4,6 ★ (37.680 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Am Gymnasium G werden Schülerinnen, die kein Kopftuch tragen, gemobbt. Um die Glaubenskonflikte zu entschärfen, will der Direktor D die Religionsausübung gemäß der Schulordnung nur noch im Rahmen des Religionsunterrichts erlauben. Schüler S (16 J.) ist Muslim. Er will im Schulflur beten.
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Einordnung des Falls
Islamisches Gebet in der Schulzeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 18 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. D bittet S, sein Mittagsgebet nicht mehr in der Schule zu verrichten. S will sich gerichtlich wehren. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO.
Nein, das ist nicht der Fall!
2. S fürchtet, dass ihm das rituelle Mittagsgebet ("as-salat") künftig verboten wird. S muss deshalb eine allgemeine Leistungsklage in Form einer vorbeugenden Unterlassungsklage erheben.
Nein, das trifft nicht zu!
3. S fürchtet, dass ihm das rituelle Mittagsgebet ("as-salat") künftig verboten wird. Statthafte Klageart ist die allgemeine Feststellungsklage, § 43 Abs. 1 VwGO.
Ja!
4. S fehlt in Ermangelung seiner Volljährigkeit die Prozessfähigkeit, § 62 VwGO. Die Klage ist daher unzulässig.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Die Feststellungsklage ist begründet, soweit das geltend gemachte Rechtsverhältnis besteht, S also berechtigt ist, auf dem Schulflur zu beten und D ihm dies nicht verbieten darf.
Ja, in der Tat!
6. Schüler stehen während ihres Schulbesuchs in einem Sonderstatusverhältnis zum Staat (vgl. § 46 Abs. 1 BerlSchulG). S kann sich als Schüler auf Grundrechte des GG überhaupt nicht berufen.
Nein!
7. Die Verrichtung des rituellen Pflichtgebets ist vom sachlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG erfasst.
Genau, so ist das!
8. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit des S aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG umfasst auch die freie Wahl des Ortes der Gebetsverrichtung.
Ja, in der Tat!
9. Ein Verbot, auf dem Schulflur mittags zu beten, wäre ein Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) des S.
Ja!
10. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ist von so hohem Rang, dass sie schrankenlos gewährt wird. Eine Rechtfertigung des Eingriffs scheidet daher aus.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Eine Beschränkung der Religionsfreiheit des S kann sich unmittelbar aus der negativen Religionsfreiheit der anderen Schüler (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) ergeben.
Nein, das trifft nicht zu!
12. Die negative Glaubensfreiheit der Mitschüler (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) erzeugt Schutzpflichten des Staates, die eine Beschränkung von S positiver Glaubensfreiheit gebieten.
Nein!
13. Die Eltern von S' Mitschülern wollen nicht, dass ihre Kinder durch die Gebete des S beeinflusst werden. S' Religionsfreiheit kann daher über das Erziehungsrecht der Eltern beschränkt werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
14. Das Gebot weltanschaulicher Neutralität des Staates (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1, Abs. 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV) besagt, dass staatliche Räume grundsätzlich religionsfrei zu gestalten sind.
Nein, das trifft nicht zu!
15. D denkt, religiöse Konflikte machen eine strengere Neutralität der Schulbehörden nötig. Er kann daher die Religionsfreiheit seiner Schüler mit Verweis auf das Neutralitätsgebot beschränken.
Nein!
16. Die Religionsfreiheit des S findet ihre Schranken in der Wahrung des Schulfriedens. Da es an der Schule religiös motiviertes Mobbing gibt, ist der Schulfrieden (Art. 7 Abs. 1 GG) gefährdet.
Genau, so ist das!
17. Die Ermächtigung zum Erlass von Schulordnungen (§ 76 Abs. 2 Nr. 8 BerlSchulG) erlaubt den Erlass von Gebetsverboten, wenn der Schulfrieden konkret gefährdet ist.
Ja, in der Tat!
18. Ein Verbot von Gebeten im Schulflur wäre verhältnismäßig. S' Feststellungsklage ist daher unbegründet.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
schaumi98
30.8.2023, 11:49:52
Verstehe ich das richtig? Man macht hier eine Täter-Opfer-Umkehr, indem man das Ausüben des Gebetes als "Gefährdung für den Schulfrieden" einstuft? Oh Mann...
asanzseg
10.10.2023, 11:10:08
@[schaumi98](204034) ich finde deinen Gedanken vollkommen berechtigt. In der Überlegung des Bundesverwaltungsgericht müsste mAn vielmehr auf die
Schutzpflichtdes Staates eingegangen werden, die Religionsausübung der muslimischen Schüler und den Schulfrieden in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Der Schulfrieden ist ja in diesem Fall erst dadurch gestört, dass Mobbing stattfindet. Mobbing ist eben kein schützendeswertes Interesse welches mit der Religionsausübung kollidiert. Hier ist auf jeden Fall eine mildere Maßnahme beispielsweise die Etablierung eines Gebetsraumes möglich und zumutbar. Plakativ den Schulfrieden als
konkrete Gefahrdie ihrerseits die Maßnahme des Verbots rechtfertigt, ist auch mAn wie du sagst „Täter Opfer Umkehr“. Nicht umsonst gibt es im
Gefahrenabwehrrrecht die verschiedene Störerbegriffe….

falktghl
22.12.2023, 13:42:08
Nein. Sofern eine Releigionsausübung sich in der Gestalt manifestiert, dass sie die staatliche Neutralität überlagert und faktischen Druck auf die Mitschüler auswirkt, ist deren grundrechtlich geschützter Bereich verletzt. Das Gericht welches hier eine Verletzung der negativen Religionsfreiheit noch verneinte, bejaht anscheinend die
Abstrakte Gefahr(über den Schulfrieden). Zuletzt ist wer "Täter" und wer "Opfer" ist eine Wertungsfrage. Das evidente Opfer sind hier diejenigen, die gemobbt werden.
Ł
31.5.2025, 16:10:54
Die Grundrechtsausübung wird hier nicht wegen ihrer eigenen Störwirkung eingeschränkt, sondern wegen der intoleranten Reaktion anderer. Es sollte doch eher gegen die Mobber vorgegangen werden und nicht gegen die Schüler die ihr Grundrecht friedlich ausüben . Grundsätzlich beruht der Schulfrieden auf der gegenseitigen Toleranz aller Schüler, sodass wenn diese fehlt und es zu Konflikten kommt, der Staat reagieren muss. Das BVerwG scheint davon auszugehen, dass die Religionsfreiheit in der Schule grundsätzlich gewährleistet ist, faktisch aber nur so weit, wie sie ohne größere Konflikte umsetzbar ist, und dass sie im Zweifel hinter dem Schulfrieden zurücktreten kann. Im vorliegenden Fall ist das noch nachvollziehbar, jedoch besteht die
Gefahr, dass man intolerantes Verhalten indirekt belohnt, wenn sich das Mobbing gegen die betenden Schüler richtet. Daher wird man im Einzelfall abwägen müssen, wann der Schulfrieden derart gefährdet ist, dass eine Einschränkung hinzunehmen ist. Das BVerwG scheint hierfür eine
konkrete Gefahrzu verlangen,
was meiner Meinung nach der Abwägung letzlich gerecht wird.
G2Mira
4.3.2024, 14:37:55
der Fall lief heute im ersten Examen in Baden-Württemberg als ÖR 1 Liebe Grüße Mira

Lukas_Mengestu
4.3.2024, 14:57:29
Besten Dank, Mira!
bodinho
16.10.2024, 21:17:40
Lief im Mai 2024 in NRW im ersten Examen

Linne Hempel
17.10.2024, 17:41:22
Hallo bodinho, vielen Dank für Deinen Hinweis! Es ist großartig zu hören, dass einer unserer Fälle tatsächlich im Examen dran kam. Wir haben diese Information notiert und werden sie in unserer App entsprechend kennzeichnen, um die Examensrelevanz für die Community sichtbar zu machen. Deine Rückmeldung hilft uns, die Vorbereitung für alle Nutzer zielgerichteter zu gestalten und die Qualität unserer Inhalte stetig zu verbessern. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald die Kennzeichnung in der App sichtbar ist. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team
Mandy
25.6.2025, 20:01:11
Lief im ersten Examen im Juni in Hamburg