Abgrenzung: Vertrag – Gefälligkeit

22. November 2024

4,7(49.541 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist Eigentümerin eines Grundstücks mit zwei Doppelhaushälften. Eine Hälfte verkauft sie B. Da diese keine eigene Heizung hat, vereinbaren sie, dass A den B unentgeltlich mitversorgt. Nachdem B das Grundstück an N verkauft, versorgt A zunächst auch N, stellt dann aber die Versorgung am 24.12. ein.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Abgrenzung: Vertrag – Gefälligkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N kann von A die Weiterversorgung mit Heizwärme und Warmwasser verlangen, wenn zwischen A und N ein Versorgungsvertrag (§ 311 Abs. 1 BGB) zustande gekommen ist.

Ja!

Ein Vertrag stellt ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis dar (§ 311 Abs. 1 BGB). Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern (§ 241 Abs. 1 S. 1 BGB). Sofern zwischen N und A ein Versorgungsvertrag besteht, ist A aus diesem rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnis verpflichtet, den N mit Heizwärme und Warmwasser zu versorgen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Da A schon B beliefert hatte, muss sie nun auch N versorgen

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Schuldrecht gilt der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse. Dieser besagt, dass schuldrechtliche Verpflichtungen grundsätzlich nur Rechte und Pflichten zwischen den unmittelbar am Rechtsgeschäft beteiligten Parteien (lat. "inter partes") bewirken.N kann für sich keine Rechte aus dem zwischen A und B bestehenden Versorgungsvertrag beanspruchen. In Abgrenzung dazu gilt im Sachenrecht (Buch 3 des BGB) das Absolutheitsprinzip. So wirkt beispielsweise die Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache (§ 929 S. 1 BGB) gegenüber jedermann.

3. Ein (neuer) Versorgungsvertrag setzt voraus, dass A und N rechtsverbindliche Willenserklärungen abgegeben haben.

Ja, in der Tat!

Unentgeltliche Verträge (wie z.B. der Auftrag) sind von unverbindlichen Gefälligkeiten abzugrenzen. Erklärt sich jemand unentgeltlich zur Übernahme einer Tätigkeit bereit, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob er sich rechtlich binden (Rechtsbindungswille) und so für seine Zusage haften, oder ob er die Tätigkeit nur als typische Gefälligkeit des täglichen Lebens übernehmen möchte. Entscheidend ist, wie sich das Verhalten der Beteiligten bei Würdigung aller Umstände einem objektiven Beurteiler darstellt. Eine vertragliche Bindung liegt nahe, wenn der Begünstigte sich erkennbar auf die Zusage verlässt und für ihn erhebliche Werte auf dem Spiel stehen. Zur Abgrenzung Vertrag / reine Gefälligkeit siehe Grüneberg, 82.A. 2023, § 241 BGB RdNr. 7ff.

4. Indem A den N nach dem Verkauf durch B weiterbelieferte, hat sie ihm den Abschluss eines Versorgungsvertrages angetragen.

Ja!

Ein Vertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen (§§ 145ff. BGB) zustande. Diese können auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen (konkludent), solange die Voraussetzungen einer Willenserklärung vorliegen. Die Versorgung des Hauses mit Warmwasser und Wärme ist für N von erkennbar zentraler Bedeutung für das Bewohnen der Doppelhaushälfte. Vor diesem Hintergrund ist die Weiterversorgung des A nicht als bloße Gefälligkeit zu betrachten, sondern als rechtsverbindliche Erklärung. Ansonsten könnte A jederzeit die Versorgung einstellen, wodurch N unangemessen belastet würde. N hat das Angebot auch konkludent angenommen.

5. A durfte die Versorgung einfach einstellen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei einem unentgeltlichen Vertrag ist die Kündigung jederzeit möglich. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der Regelungen in den gesetzlich geregelten Gefälligkeitsverträgen (§§ 604 Abs. 3, 671 Abs. 1 BGB analog). Die Kündigung muss aber dem Auftraggeber die Möglichkeit anderweitiger Fürsorge lassen. Anderenfalls handelt es sich um eine Kündigung zur Unzeit, die einen wichtigen Grund verlangt (§ 671 Abs. 2 BGB analog). Ohne wichtigen Grund ist die Kündigung zwar wirksam, der Auftragnehmende macht sich aber schadensersatzpflichtig. Zwischen A und N besteht ein unentgeltlicher Versorgungsvertrag. Anhaltspunkte dafür, dass ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung besteht, liegen nicht vor.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

7.11.2021, 19:31:42

Zwei kleine Anmerkungen: 1. Bei der vorletzten Frage wird mir keine Erklärung angezeigt. 2. Bzgl. der Erklärung zur letzten Frage: Bei 627 II, der genau so formuliert ist wie 671 II, ist meines Wissens die Unzeit-Kündigung auch ohne wichtigen Grund wirksam, löst aber eine SE-Pflicht aus. Wenn das hier auch zutrifft, könnte man die Erklärung mE insoweit noch etwas verdeutlichen :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.11.2021, 09:39:07

Danke TeamRahad, die Erklärung haben wir gefixt und auch klargestellt, dass die Kündigung zur Unzeit eine Schadensersatzpflicht auslöst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

jomolino

26.1.2022, 15:42:56

Und ihr wechselt im Geschlecht: in der Aufgabe ist A eine Frau, später dann männlich :)

GEM

GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär

21.3.2023, 20:19:35

Ach weiblich, männlich, das sind doch bürgerliche Kategorien…

JAK

Jakob Köhler

9.4.2024, 16:32:20

Für einen wirksamen Vertragsschluss sind ja zwei korrespondierende WE nötig. Was genau stellt hier eine Annahmeerklärung von Seiten des N dar?

TI

Timurso

9.4.2024, 18:19:10

Die Nutzung der zur Verfügung gestellten Heizung.

PETE

Peter

13.9.2024, 12:39:51

Könnte man hier nicht (zusätzlich) auf § 151 S. 1 BGB abstellen und sagen, dass eine Annahmeerklärung des Versorgungsvertrags-Antrags hier nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist, da man davon ausgehen kann, dass sich der N darüber freut, dass er weiter mit Heizung versorgt wird?


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Wirksamwerden – Abgabe und Zugang bei mündlicher Willenserklärung

G bucht telefonisch im Hotel des H ein Zimmer für den 5.5. H sagt die Buchung zu. Als G am 5.5. eintrifft, ist das Hotel voll besetzt. H hatte sich am Telefon verhört und für den 15.5. ein Zimmer reserviert.

Fall lesen

Jurafuchs Illustration zum Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): F fährt durch die Schranke in ein Parkhaus. In der Einfahrt sind auf einem Plakat die Parkgebühren aufgelistet.

Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Der Hamburger Parkplatzfall ist das Musterbeispiel der sogenannten „Protestatio facto contraria non valet“ (lat.: ein Widerspruch entgegen dem (tatsächlichen) Handeln gilt nicht). Dies ist eine Regel aus dem römischen Recht, wonach ein zum Ausdruck gebrachter Vorbehalt unwirksam ist, der mit dem gleichzeitigen, eigenen Verhalten faktisch in Widerspruch steht. Ein solches Verhalten verstößt auch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Fall lesen

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen