Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Tatbestand der Willenserklärung

Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): F fährt durch die Schranke in ein Parkhaus. In der Einfahrt sind auf einem Plakat die Parkgebühren aufgelistet.
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Klassisches Klausurproblem

F fährt durch die Schranke ins Isarparkhaus im Münchner Glockenbachviertel. In der Einfahrt sind auf einem Plakat die Parkgebühren aufgelistet.

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Einordnung des Falls

Der Hamburger Parkplatzfall ist das Musterbeispiel der sogenannten „Protestatio facto contraria non valet“ (lat.: ein Widerspruch entgegen dem (tatsächlichen) Handeln gilt nicht). Dies ist eine Regel aus dem römischen Recht, wonach ein zum Ausdruck gebrachter Vorbehalt unwirksam ist, der mit dem gleichzeitigen, eigenen Verhalten faktisch in Widerspruch steht. Ein solches Verhalten verstößt auch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat das Isarparkhaus mit dem öffentlichen Bereitstellen der Parkplätze ein Angebot zum Abschluss eines Verwahrungsvertrags (§ 688 BGB) abgegeben?

Ja!

Ein Angebot ist eine Willenserklärung, die alle vertragswesentlichen Bestandteile enthält und durch die der Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrages nur noch vom Einverständnis des Empfängers abhängt. Richtet sich das Angebot nicht an eine bestimmte Person, sondern an einen begrenzten Personenkreis oder die Allgemeinheit, liegt ein sog. Angebot ad incertas personas vor.Mit dem öffentlichen Bereitstellen der gebührenpflichtigen Parkplätze trägt das Isarparkhaus einem unbestimmten Personenkreis den Abschluss eines Verwahrungsvertrags an. Die Annahme können Interessenten konkludent durch Nutzen der Parkplätze erklären.
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2. Lässt F's Verhalten auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens schließen? Hat sie das Angebot angenommen?

Genau, so ist das!

Die Annahme ist eine Willenserklärung, mit der das Einverständnis mit dem Antrag ausgedrückt wird. Der objektive Tatbestand einer Willenserklärung liegt in einem äußerlich erkennbaren Verhalten, das auf das Vorliegen eines Handlungs-, eines Rechtsbindungs- und eines Geschäftswillen schließen lässt. Der Rechtsbindungswille liegt vor, wenn der Erklärende sich aus Sicht eines Dritten in irgendeiner Weise rechtlich erheblich erklären will.Dass F in das Parkhaus einfährt, dessen Nutzung erkennbar gebührenpflichtig ist, ist aus Sicht Dritter dahingehend zu verstehen, dass F einen Verwahrungsvertrag abschließen möchte. Auch ein Handlungs- und Geschäftswille der F liegen danach vor.

3. Wenn F sich beim Einfahren und Abstellen des Autos insgeheim denkt, trotz Inanspruchnahme nicht zahlen zu wollen, führt dies zur Nichtigkeit der konkludenten Annahmeerklärung der F?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Willenserklärung kann fehlerhaft sein, weil der Wille des Erklärenden und der durch Auslegung ermittelte Inhalt seiner Erklärung auseinanderfallen. Nach § 116 S. 1 BGB wird jedoch der geheime Vorbehalt des Erklärenden, die Rechtsfolgen seines Verhaltens nicht zu wollen, von der Rechtsordnung nicht anerkannt.Die innere Verwahrung der F dagegen, dass ihr gewolltes tatsächliches Verhalten als konkludente Annahme verstanden wird, ist somit als geheimer Vorbehalt nach § 116 S. 1 BGB von vornherein unbeachtlich. Nichtig ist die Willenserklärung nur dann, wenn der Empfänger den Vorbehalt kennt (§ 116 S. 2 BGB) und deshalb nicht schutzwürdig ist.

4. Hat man sich schon im römischen Recht, wie man mit solch widersprüchlichem Willenserklärungen umzugehen hat?

Ja!

Der vorliegende Fall ist das Musterbeispiel der sogenannten „Protestatio facto contraria non valet (lat.: ein Widerspruch entgegen dem (tatsächlichen) Handeln gilt nicht). Dies ist eine Regel aus dem römischen Recht, wonach ein zum Ausdruck gebrachter Vorbehalt unwirksam ist, der mit dem gleichzeitigen, eigenen Verhalten faktisch in Widerspruch steht. Ein solches Verhalten verstößt auch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

5. Wäre hier ein Vertrag zustande gekommen, auch nach der Lehre vom faktischen Vertrag?

Ja!

Nach der Lehre vom faktischen Vertrag (bzw. sozialtypischen Verhalten) sollte in Fällen widersprüchliche Erklärungen ein Vertrag auch ohne übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommen. Allein die öffentliche Zurverfügungstellung einer Sach- oder Dienstleistung und deren Inanspruchnahme durch Benutzung oder Anschluss genügten. Indem F in das Parkhaus einfährt, hätte sie auch nach dieser Lehre einen Vertrag abgeschlossen. Die Übereinstimmung von Angebot und Annahme wäre egal. Der BGH hatte in dem hier zugrundeliegenden Fall (Hamburger Parkplatzfall) noch die Lehre vom faktischen Vertrag vertreten. Heutzutage wird diese Lehre indes nicht mehr vertreten, da das Gesetz für einen Vertragsschluss zwingend Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB) verlangt.
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